Seit einem Jahrzehnt wird nahe des im Naturpark Obere Donau gelegenen Städtchens Meßkirch wie vor 1200 Jahren gebaut. Auf dem 25 Hektar großen Areal entsteht eine Klosterstadt mit mehr als 50 Gebäuden. Sie heißt „Campus Galli“, was Hofgut des (heiligen) Gallus bedeutet. Das ambitionierte Projekt orientiert sich am ältesten erhaltenen Bauplan des Mittelalters. Was hat es mit diesem so genannten „St. Galler Klosterplan“ auf sich? Und wie sieht es auf der Klosterbaustelle aus, auf der nach den Worten des Leiters Hannes Napierala im zehnten Baujahr eine neue Zeit angebrochen ist?
Der weltberühmte St. Galler Klosterplan ist aus fünf Stücken Pergament zusammengenäht und ist 112 mal 77, 5 Zentimeter groß. Er entstand um das Jahr 830. Damals herrschte der Sohn Karls des Großen: Kaiser Ludwig der Fromme. Wegen der braunschwarzen Beischriften zu den in Rot gezeichneten Grundrissen gilt das Kloster der Bodenseeinsel Reichenau als Herstellungsort des Plans. Die Beischriften stammen von Reginbert, dem Leiter der Bibliothek und Schreibwerkstatt, sowie von einer weiteren Hand. „Vermutungen, es handele sich dabei um Reginberts Schüler und Vertrauten Walahfrid Strabo, den berühmtesten Dichter der Reichenau, konnten bisher nicht bestätigt werden“, wie Ernst Tremp erklärt.
„Der Gedanke an dieses monumentale Bauwerk
und die damit verbundenen handwerklichen Herausforderungen
erfüllt uns mit großer Ehrfurcht.“
Tremp war Leiter der St. Galler Stiftsbibliothek, in der man den Klosterplan besichtigen kann. Er weist einen Widmungsbrief auf, den vermutlich Abt Heito geschrieben hat. Der ist an seinen St. Galler Amtsbruder Gozbert gerichtet, dem „diese knappe Aufzeichnung einer Anordnung der Klostergebäude“ nicht etwa zur Belehrung, sondern „zum Studium“ dienen sollte.
Herzstück des Klosterplans ist die Kirche. Sie bezieht sich konkret auf die Bedürfnisse und Gegebenheiten in St. Gallen, denn im Chor ist der der Gottesmutter Maria und dem heiligen Gallus geweihte Hauptaltar eingezeichnet. Der irische Mönch Gallus hatte am Bodensee eine Einsiedelei gegründet, in der er anno 640 starb. Am Grab gründete der später heiliggesprochene Otmar die Abtei St. Gallen. Tremp führt aus: „Der Plan ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein großes Reichskloster mit seinen vielfältigen Bereichen und Aufgaben aufgebaut sein sollte.“
Eine Vorstellung vom idealen Kloster
Der Plan trägt den Bedürfnissen der Mönche, Pilger und anderen Gäste Rechnung. Für jede dieser Gruppen gibt es eine eigene Bäckerei und Bauerei. Eingezeichnet sind Kapellen und der Kreuzgang, Schule und Arzthaus, Stallungen und Kornspeicher, die Werkstätten der Handwerker und viele weitere Gebäude.
Einiges vom St. Galler Klosterplan hat im Campus Galli bereits reale Gestalt gewonnen. Der Plan ist allerdings schwer zu handhaben, wie Napierala erzählt. Aus ihm geht hervor, wie die Gebäude zueinander angeordnet sind. Was aber fehlt, ist ein einheitlicher Maßstab und ebenso die Angabe der Gebäudehöhe sowie des Baumaterials. Die Wege sind auch nicht eingezeichnet. Das lässt viel Spielraum bei den Versuchen, unter Einsatz der Materialien und Handwerkstechniken des 9. Jahrhunderts zu bauen. Oftmals sind die Techniken gar nicht überliefert, so dass eifrig experimentiert wird, wie die Handwerker anno dazumal ihre Produkte hergestellt haben. „Es ist ein stetes Lernen“, wie Napierala sagt. Und selbstverständlich sind die heute gültigen Gesetze und Sicherheitsvorschriften zu beachten.
Museum und Forschungsstätte
Träger des Projektes ist der gemeinnützige Verein „Karolingische Klosterstadt e. V.“. Ihm stehen der Förderverein und der Wissenschaftliche Beirat zur Seite. Finanzielle Unterstützung leistet die Stadt Meßkirch. Doch möglichst bald soll sich das Projekt aus Spendengeldern und den Einnahmen aus Eintritt, Führungen, Bewirtung und Souvenirs selbst finanzieren. Der Trägerverein hat etwa 50 Personen als Handwerker und für den Museumsbetrieb angestellt. Freiwillige Mitarbeiter sind willkommen.
Die Klosterbaustelle versteht sich als Freilichtmuseum und als Forschungsstätte, die die einzigartige Möglichkeit bietet, mittelalterliche Techniken unter realen Bedingungen zu untersuchen. Beim Gang über die weitläufige Klosterbaustelle entdeckt man allerlei Handwerkerhütten. Man kann Korbmachern und Schmieden, dem Töpfer und dem Küfer, Weberinnen und Steinmetzen bei der Arbeit zusehen oder mit ihnen ins Gespräch kommen. Äußerst produktiv sind die Schindelmacher. Allein für die Holzkirche haben sie 14 000 Schindeln aus Fichtenholz hergestellt. Beim Kirchenbau sammelten die Beteiligten wichtige Erfahrungen für den weiteren Verlauf des Projektes.
Der Obstgarten war zugleich Friedhof
Die Holzkirche ist allerdings kein Gebäude des Klosterplans und wird später der großen, aus Stein zu erbauenden Abteikirche weichen. Napierala gesteht: „Der Gedanke an dieses monumentale Bauwerk und die damit verbundenen handwerklichen Herausforderungen erfüllt uns mit großer Ehrfurcht.“
Gemäß des Klosterplans sind bislang die große, mit Roggenstroh gedeckte Scheune, der Gemüsegarten und der Paradiesgarten verwirklicht. In letzterem wachsen dreizehn alte Obstsorten. In der Mitte steht ein großes Holzkreuz, um darauf hinzuweisen, dass in realen Klöstern der Obstgarten zugleich der Friedhof der Mönche war.
Den Paradiesgarten umschließt eine Mauer. Sie „war ein wichtiges Versuchsprojekt, um Mörtelrezepturen zu testen und Erfahrungen mit Materialmengen und Arbeitsaufwand zu sammeln“, so Napierala. Die kommen nun der Errichtung des ersten Steingebäude zugute, mit dem eine neue Zeit auf dem Campus Galli anbricht. Bei ihm handelt es sich um ein Nebengebäude des Abtshofes. Bis zur Verwirklichung der gesamten Klosterstadt werden noch Jahrzehnte vergehen. Daher stellt der dem Wissenschaftlichen Beirat angehörende Frater Jakobus Kaffanke von der benachbarten Erzabtei Beuron fest: „Die größte Herausforderung ist das Durchhalten eines zirka 40 Jahre umfassenden, anspruchsvollen Planes.“
Campus Galli, Am Hackenberg 92, Meßkirch.
Bis 6.11. täglich außer montags 10 bis 18 Uhr.
Informationen: www.campus-galli.de
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.