Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Film "Nostalgia"

Ein Priester gegen die Camorra

Der gemächlich inszenierte Spielfilm „Nostalgia“ handelt von der Rückkehr eines Neapolitaners nach 40 Jahren. Der eigentliche Protagonist ist aber Neapel.
Filmszene aus "Nostalgia"
Foto: Picomedia | Nach 40 Jahren ist Felice (Pierfrancesco Favino, rechts) nach Neapel zurückgekehrt. Allmählich entsteht eine Freundschaft mit dem engagierten Priester Don Luigi (Francesco Di Leva), obwohl Felice, der in Kairo lebt, ...

40 Jahre sind schon eine lange Zeit im Leben eines Menschen. So lange hat Felice (Pierfrancesco Favino) seine Heimatstadt Neapel nicht mehr gesehen. Nun kehrt er aber zurück. Denn vielleicht ist es die letzte Chance, seine alte Mutter Teresa (Aurora Quattrocchi) zu besuchen. Felice hat Probleme mit der Sprache: Manchmal ringt er um Worte, einmal heißt es, er spreche „komisch“.

Alt und gebrechlich ist die Mutter geworden. Außerdem wohnt sie nicht mehr in der alten Wohnung. Sie musste in eine kleinere, viel dunklere Wohnung im Erdgeschoss umziehen. Etwas verwahrlost ist nicht nur die Wohnung. Deshalb besteht Felice drauf, sie zu baden, und ihr Wäsche zu kaufen.

Lange wollte er nicht bleiben, aber die Tage vergehen

Felice schlendert durch die Straßen und Gassen seines Viertels. Regisseur Mario Martone, der zusammen mit Ippolita Di Majo den gleichnamigen Roman von Ermanno Rea zum Drehbuch adaptiert hat, führt dazu aus: „Ich war fasziniert von der Idee, einen Film nicht in einer Stadt, sondern in einem Viertel zu drehen, als wäre es ein Schachbrett, und deshalb stammen alle Straßen, Häuser und Personen, die in ‚Nostalgia‘ auftauchen, ausschließlich aus dem Viertel Sanità, einem neapolitanischen Stadtteil, der ein Stück vom Meer entfernt liegt.“

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Zunächst herrscht eine ruhige Stimmung: Felice trifft auf alte Bekannte, aber auch auf den engagierten katholischen Priester Don Luigi (Francesco Di Leva), der im Viertel vor allem bei jungen Menschen die Hoffnung auf ein besseres Leben jenseits der mafiösen Strukturen der allgegenwärtigen „Camorra“ weckt. 

Bei all diesen Begegnungen erfährt der Zuschauer so einiges über Felice, etwa warum er als ganz junger Mann Neapel verlassen musste. Aber auch: Dass er in Kairo lebt und mit Arlette (Sofia Essaïdi) verheiratet ist, mit der er immer wieder telefoniert. Denn eigentlich wollte er nicht so lange in Neapel bleiben, aber die Tage vergehen. Empfindet er Nostalgie, so der Filmtitel, wenn er nun sein altes Viertel sieht und etwa auf den alten Raffaelle (Nello Mascia) trifft, der ihn sofort wiedererkennt?

Regisseur Mario Martone fügt immer wieder Sequenzen aus Felices Jugend mit ausgedehnten Motorradfahrten zusammen mit seinem besten Freund Oreste Spasiano (Tommaso Ragno). Bei diesen Passagen nimmt die Leinwand das alte 4:3-Format an. 

Hals über Kopf Neapel verlassen

Offensichtlich hängt es mit ihm zusammen, dass Felice damals Hals über Kopf Neapel verlassen musste. Ist Nostalgie im Spiel, als er sich nun ein Motorrad kauft? Dass es bald darauf auf offener Straße verbrannt wird, und außerdem seine Wohnung verwüstet wird, müsste Felice klarmachen, dass er in Neapel nicht willkommen ist. Soll er wieder nach Kairo abreisen? Er will aber noch Oreste wiedersehen, den jeder nun „Malommo“, bösen Mann, nennt, und der inzwischen der gefürchtete Gangsterboss in Sanità ist. 

Der Film „Nostalgia“ baut bei aller Gemächlichkeit in der Inszenierung seine ganze Spannung auf das Aufeinandertreffen der einstigen Freunde.

Die meiste Zeit verbringt aber der Film mit der Schilderung der Stadt oder genauer des Stadtviertels. Die Straßen und Gassen von Sanità werden zum heimlichen Protagonisten des Filmes von Mario Martone. „Nostalgia“ fängt jeden Winkel des Stadtviertels ein, als sei er lebendig. Durch die allmählich sich entfaltende Freundschaft zwischen Felice und Don Luigi lernt der Protagonist – und mit ihm auch der Zuschauer – neue Orte und neue Menschen aus dem Stadtviertel kennen.

„Nostalgia“ war neun Mal für den italienischen Filmpreis „David di Donatello“ nominiert, auch wenn letztendlich nur Francesco Di Leva für seine Rolle des katholischen Priesters gewann. Beim Preis der italienischen Filmjournalisten gewann ihn außer Francesco Di Leva auch Pierfrancesco Favino. Martones Film war auch Italiens Beitrag für den nichtenglischsprachigen Oscar 2023.

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José García

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