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Der Animationsfilm „Guillermo del Toros Pinocchio“ ist anders

Der Animationsfilm „Guillermo del Toros Pinocchio“ ist äußerlich anders als die Vorlagen, aber die grundlegenden Fragen bleiben.
Geppetto und Pinocchio
Foto: tz | Die Figuren selbst unterscheiden sich von denen aus dem Disney-Film: Pinocchio ist noch nicht einmal richtig fertig, weder angemalt noch angezogen.

Ende des 19. Jahrhunderts erfand der italienische Schriftsteller Carlo Collodi die Figur der Holzpuppe „Pinocchio“, die durch eine Fee zum Leben erwacht. Zur weltweiten Verbreitung trug insbesondere der gleichnamige Walt-Disney-Zeichentrickfilm aus dem Jahre 1940 bei. Der Film wurde zu einem Klassiker und zu einem der großen Erfolge des damals noch in den Anfängen steckenden Filmstudios.
Die „Pinocchio“-Verfilmungen rissen nicht ab, wobei es auffällt, dass der Stoff gerade in letzter Zeit mehrfach neu verfilmt wurde: 2019 drehte Matteo Garrone eine Mischung aus Real- und Animationsfilm mit Roberto Benigni in der Rolle des Geppetto. Der Film ist auf der Plattform „Amazon Prime Video“ abrufbar.

Die Neuerungen lassen ihn scheitern

Erst im September 2022 stellte Disney TV+ den Live-Action-Film von Robert Zemeckis mit Tom Hanks online – ein „Eins-zu-Eins“-Remake des Klassikers von 1940: Die Holzpuppe ist die computeranimierte Fassung des klassischen Pinocchio bis in die Farben der Kleidungsstücke hinein. Allerdings lassen gerade die wenigen Neuerungen, die den Film an heutige Verhältnisse anpassen wollen, ihn scheitern.
Nun hat der bekannte Regisseur Guillermo del Toro eine eher düstere Fassung von Collodis Klassiker für Netflix gedreht. In mancher Hinsicht erinnert seine „Pinocchio“-Fassung an seinen Film „Pans Labyrinth“ von 2007, ein Märchen in ebenfalls düsteren Farben auf dem historischen Hintergrund der beginnenden Franco-Ära in Spanien.

Der Filmtitel „Guillermo del Toros Pinocchio“ weist bereits darauf hin, dass hier wesentliche Änderungen gegenüber der Vorlage eingeführt wurden. Der mexikanische Regisseur arbeitet mit dem renommierten Stop-Motion-Animator Mark Gustafson in der Regie sowie mit Patrick McHale im Drehbuch zusammen. Die Filmmusik stammt vom Franzosen Alexander Desplat, der gefühlvolle Lieder mit Texten von Editor Roeban Katz und Del Toro selbst komponiert.

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Kirche als Komplizin des Faschismus

Eine erste wesentliche Änderung betrifft die historische Zeit, in der sein Film angesiedelt ist: Im Italien des aufstrebenden Faschismus, wobei die Kirche als Komplizin des Regimes dargestellt wird. Dies trübt die am Anfang dargestellte christliche Religiosität im Zusammenhang mit einem Gebet vor dem Essen oder mit der Fertigstellung eines großen Kruzifixes für die Dorfkirche.
Im Vergleich zu den erwähnten Verfilmungen fällt die freie Umsetzung auf. „Guillermo del Toros Pinocchio“ bietet viel mehr eigene Elemente sowie Auslassungen als bisherige Verfilmungen. Die Geschichte mit Geppettos Sohn Carlo nimmt einen breiten Platz ein: Während des Ersten Weltkriegs umsorgt liebevoll der wohl verwitwete Holzschnitzer seinen Sohn Carlo. Als der Junge bei einem Bombenangriff getötet wird, beginnt Geppetto zu trinken. Nach einigen Jahren kommt er auf den Gedanken, eine Kiefer an Carlos Grab zu fällen, um sich aus dem Holz einen neuen Jungen zu schnitzen. Die Grille Sebastian J. Cricket, die auch in del Toros Verfilmung als Erzähler fungiert, wird Zeuge, wie die Waldgeister aus Mitleid mit Geppetto die blaue Fee schicken. Sie erweckt die fast fertig geschnitzte Puppe zum Leben und gibt ihr den Namen Pinocchio.

Auch die Figuren selbst unterscheiden sich von denen aus dem Disney-Film. Pinocchio ist noch nicht einmal richtig fertig, weder angemalt noch angezogen. Auch der grantige Geppetto ist weit weg von den freundlichen Interpretationen durch Roberto Benigni und Tom Hanks. Selbst die Grille Sebastian J. Cricket sieht im Gegensatz zur freundlichen Anmutung in den bisherigen Filmen eher unheimlich aus.
Dennoch sind Landschaften, Hintergründe und Animationen äußerst fantasievoll. Guillermo del Toro wollte unbedingt seinen „Pinocchio“ mittels Stop-Motion-Animation realisieren. Deshalb holte er als Co-Regisseur Mark Gustafson, der unter anderem die Animationsregie in Wes Andersons „Der fantastische Mr. Fox“ (2010) übernommen hatte.

Auch wenn hin und wieder die Verknüpfung von Stop-Motion-Techniken und computeranimierten Effekten nicht ganz optimal aussieht, die Zusammenarbeit zwischen der neu gegründeten „Netflix Animation“ und der altgedienten „Jim Henson Company“ hat der bereits aus der Stimmfilmära bekannten Technik neuen Auftrieb gegeben.
Darüber hinaus überzeugen sowohl die Bildkompositionen als auch die visuellen Effekte: Die Verbindung von visuellen, akustischen und musikalischen Elementen ist sehr gelungen.
Obwohl Del Toros „Pinocchio“ nicht mit dem Zeigefinger auf die damit einhergehenden Themen zeigt, gelingt es den Filmemachern, tiefgründige Fragen anzusprechen. Nicht von ungefähr wird Geppettos liebevolles Verhältnis zu seinem Sohn Carlo so ausführlich dargestellt. Wie könnte Pinocchio die Lücke ausfüllen, die ein Sohn hinterlassen hat? Auch wenn das äußere Erscheinungsbild teilweise ganz anders und auch Pinocchios Abenteuer nicht mit denen der Buch- und Filmvorlage ganz übereinstimmen, sind die Grundfragen – Freiheit und Verantwortung, Elternschaft – wohl sehr präsent.


„Guillermo del Toros Pinocchio“, USA 2022, 120 Minuten, auf Netflix

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