Eine neue Königsdisziplin für Filmemacher: Der Blick durch das Schlüsselloch der Schlösser. Ob die Netflix-Dokumentation über Prinz Harry und Meghan Markle, die zweite „Sisi“-Staffel bei RTL oder natürlich der Klassiker dieses neuen Genres „The Crown“, das Publikum mag es blaublütig. Eigentlich scheint dieser Trend dem mittlerweile legendären Diktum von Walter Bagehot zu widersprechen. Der englische Journalist formulierte 1867 in seinem Werk „Die englische Verfassung“ über das Königtum: „Sein Mysterium ist sein eigentliches Leben. Wir dürfen kein Tageslicht eindringen lassen in seine Magie.“ Schaut man aber genauer hin, dann zeigt sich, genau diese Magie macht die Faszination aus. Die Menschen wollen verzaubert werden.
Daraus ergibt sich aber auch die Fallhöhe, der die adeligen Protagonisten unterliegen. Die Diskrepanz zwischen dem von Bagehot formulierten Anspruch und der royalen Wirklichkeit wirkt wie ein dramaturgischer Motor. Sorgt das, was hinter dem Schlüsselloch geschieht, dafür, dass der Zuschauer erkennt, derjenige, der ihn verzaubern soll, ist in Wirklichkeit ein ziemlich armer Tropf, der von antiquierten Vorschriften fremdbestimmt wird, so ist das zumindest ziemlich unterhaltsam. Der Zuschauer kann aber auch so etwas erfahren wie Unterhalt: Nämlich dann, wenn er einen Monarchen kennenlernt, der tatsächlich der Magie seines Amtes gerecht wird. Im aktuellen Fall ist das freilich eine Monarchin, die Queen.
„Trotzdem erklärte ausgerechnet Prinz Harry, er schaue lieber ‚The Crown‘
als in den Zeitungen über seine Frau und seine Familie zu lesen“
Und damit wird der Unterschied klar zwischen Harry und Meghan und der RTL-Sisi auf der einen und „The Crown“, dem großen Filmepos über die elisabethanische Ära, auf der anderen Seite. Viel mehr Tageslicht als bei Prinz Harry und seine Meghan kann gar nicht in das royale Alltagsleben fallen. Der Prinz und die Ex-Schauspielerin scheinen geradezu der Öffentlichkeit zuzurufen: „Schaut nur, wie wir die Vorhänge vor den Fenstern herunterreißen. Wir wollen, dass wieder Sonne durch die Palastmauern dringt. Aber man lässt uns nicht.“ Das sorgt für Aufmerksamkeit. Für die sechsteilige Dokumentation konnte Netflix Rekordwerte vermelden: Rund 80 Millionen Menschen sollen bereits in der ersten Woche nach dem Start die erste Folge geschaut haben.
Aber hier bricht sich nicht die Sehnsucht nach königlicher Würde Bahn, eher schon ist das Phänomen mit dem Effekt vergleichbar, der nach Verkehrsunfällen zu beobachten ist. Schrecklich ist, was es da zu sehen gibt, aber die Schaulustigen können einfach nicht weggucken. Das Grausen wird noch dadurch verstärkt, dass die Taktik des königlichen Paares nicht aufgeht. Harry und Meghan schaffen es einfach nicht, sich an die Spitze des royalen Popularitätsrankings zurück zu kämpfen. Da mögen sie noch so sehr über angebliche rassistische Tendenzen im Königshaus und eine ungerechte Behandlung klagen, am Ende stehen sie als Nestbeschmutzer da. Das Publikum mag der Sensationslust frönen, Verehrung kommt für die Zwei nicht auf.
Schaulust und Zeitgeist diktieren die Drehbücher
Ganz ähnlich verhält es sich mit der RTL-„Sisi“: Zu durchschaubar ist das Bemühen, hier den Mythos der Romy Schneider-Sissi zu entzaubern und die österreichische Kaiserin nun zur Ur-Feministin zu stilisieren, die in einer Art habsburgischem „House of Cards“ ihren Weg der Freiheit geht. Den Machern scheint dabei nicht aufzufallen, dass sie mit ihrem Ansatz ziemlich nah an dem 50er Jahre-Epos sind. Denn auch damals wurde das Leben der Elisabeth von Österreich zur Projektionsfläche für den Zeitgeist. Nur sah der eben in der Nachkriegszeit anders aus als in der Gegenwart. Kurz: Die Akzente haben sich geändert, die Absicht ist geblieben. In den nächsten Wochen wird man sehen, wer die besseren Quoten aufweisen kann. Das Romy-Märchen, das auch in diesem Jahr wieder zur Weihnachtszeit im Fernsehen lief, zwar der historischen Elisabeth sicherlich nicht gerecht wird, aber doch wenigstens für eine heimelige Stimmung sorgt oder doch die moderne „Sisi“-Varainte á la RTL?
In einer ganz anderen Liga spielt „The Crown“. Besser hätte das Timing nicht sein können. Gerade noch hatte die ganze Welt Anteil am Tod von Elisabeth II. genommen und wenig später geht die fünfte Staffel bei Netflix an den Start. Dabei wird in den neuen Folgen gerade jenes Kapitel aus der elisabethanischen Ära erzählt, in der zum ersten Mal die britische Monarchie auf dem Kipppunkt steht: Charles und Diana trennen sich, Schloss Windsor brennt, die Queen spricht vom „annus horribilis“.
Keine Dokumentationen, sondern Fiktionen
Diese Konflikte werden nicht weich gezeichnet. Und auch die Queen, gespielt von Imelda Staunton, ist kein Übermensch. Sie leidet unter den Problemen ihrer Familie. Aber – und das ist das Leitmotiv, das sich seit der ersten Staffel durch die von Peter Morgan geschriebenen Drehbücher zieht – die Disziplin siegt, die Verpflichtung, ihrem Dienst an der Krone gerecht zu werden, ist stärker. In den bisher veröffentlichten fünf Staffeln kann der Zuschauer miterleben, wie die Königin über die Jahrzehnte in ihre Aufgabe hineinwächst und sie erfüllt.
So sehr der Eindruck entsteht, hier habe man es mit einer zeitgeschichtlichen Dokumentation zu tun, die Serie ist aber Fiktion. Trotzdem erklärte ausgerechnet Prinz Harry, er schaue lieber „The Crown“ als in den Zeitungen über seine Frau und seine Familie zu lesen. Hätte er sich doch in seinen medialen Ambitionen durch die Serie inspirieren lassen. „The Crown“ macht nämlich vor, wie man Tageslicht in den royalen Alltag scheinen lässt, ohne die Magie der Monarchie zu verdunkeln.
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