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Lots Frau: Mehr als die „Frau ohne Namen“

In der Bibel wird der Name von Lots Frau nicht erwähnt. Doch sie ist mehr als nur eine zur Salzsäule erstarrte Person, schreibt Martin Ploderer.
Die biblische Flucht von Lot und seiner Familie aus Sodom
Foto: IMAGO/© ACME Imagery 2015 (www.imago-images.de) | Die biblische Flucht von Lot und seiner Familie aus Sodom inspirierte auch den US-amerikanischen Maler Benjamin West (1734-1820).

Sie hat nicht einmal einen eigenen Namen. Zumindest wurde dieser im Alten Testament nicht überliefert. Sie scheint also nur durch ihren Mann zu existieren. Heutzutage ein absolutes „no go“. Zu Recht. Oder auch nicht? „Namen sind Schall und Rauch“, wie es in Goethes „Faust“ so schön heißt - und gerade deshalb wird die Bedeutung von Namen heute oft ziemlich überbewertet, weil wir in einer Zeit leben, in der alles und jedes justament neu interpretiert und analysiert werden muss und weil viele glauben, dass das etwas mit Fortschritt zu tun habe. An Namen meinen viele Menschen ihre Mitmenschen festmachen, um nicht zu sagen „festnageln“ zu können, Namen verleihen Identität und diese trägt wiederum zum Selbstbewusstsein des Individuums bei. Oder macht Namenlosigkeit womöglich erst frei? An irgend etwas aber muss man sich ja anhalten, auch und gerade auf einem sinkenden Schiff, und sei es auch nur Hingehauchtes wie ein Name. Doch davon später.

Eine falsche Bewegung besiegelte ihr Schicksal

Lots Frau hat es mit einer einzigen falschen Bewegung in die Bibel geschafft: Sie hat sich während der Flucht mit ihrer Familie aus Sodom im falschen Moment umgedreht und erstarrte ob dessen, was sie dadurch noch einmal zu sehen bekam, nämlich die eigene Vergangenheit, die sie nicht zurück- und loslassen wollte, zur Salzsäule. Wenn der Herr zu neuem Leben ruft, empfiehlt es sich, keine Kompromisse zu machen, will man in den Genuss dieses versprochenen Lebens in Fülle kommen - denn von Erinnerungen, aber auch und vor allem von Gewohnheiten löst der Mensch sich nur schwer, deshalb ist es empfehlenswert für künftig erfreuliche Erinnerungen zu sorgen, die man gerne mitnimmt und an denen man sich noch möglichst lange erbauen kann. Der Mensch im fortschreitenden Alter ist gerufen, loszulassen was ihn quält, und doch hält er nicht selten gerade daran fest, denn auch das Quälende hat manches Mal etwas wohlig Vertrautes an sich, das man nur ungern gegen die Ungewissheit von Überraschungen eintauscht.

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Im Alter darf man sich endlich zunehmend vom alten Menschen, der man in seiner Jugend gewesen ist, lösen um zu sich selbst zu reifen - doch dazu, und dies sei der Jugend zum Troste verraten, muss man auch erst einmal jung gewesen sein und gegebenenfalls auch Torheiten begangen haben, deren Erkenntnis und Überwindung erst zur wahren Freiheit führt. Weder deren Leugnung ihrer Natur nach, noch der „Blick zurück im Zorn“ (John Osborne) sind Gebrauchsanweisungen für Lebensglück, es gilt eben dem Leben durch die Erwartung dessen, was kommen wird, Raum zu geben, und niemals zu glauben, man hätte jemals alles verstanden und auch niemals zu glauben, es sei alles zu Ende.

Doch ist es auch für die Fiktion der Zukunft unerlässlich, auf Vergangenem aufzubauen und gegebenenfalls aus diesem und seinen Fehlern zu lernen, auch wenn man sich in deren Gesellschaft noch so wohl gefühlt hatte. Wieder einmal begegnen wir hier der Widersprüchlichkeit des Lebens, die Menschen einander gerne an den Kopf werfen, anstatt sie als Gegebenheit anzunehmen, die es, wenn möglich gemeinsam, aufzulösen und im besten Falle sogar fruchtbar zu machen gilt, um so gewissermaßen zum Motor eines sich ständig erneuernden Lebens zu werden. Die Einladung, den Blick nach vorne zu richten, ist nicht gleichbedeutend mit der Leugnung der Vergangenheit, doch darf diese auch nicht im Lichte später erworbener Erkenntnisse beurteilt werden. Der Ablauf der Zeit ist vielleicht eines der größten Geheimnisse und jedenfalls eine gewaltige Herausforderung für den Menschen, der er gerne mit untauglichen Mitteln begegnet – unabhängig davon, in welche Position er sich im Laufe seines Lebens gehievt hat.

Blicke zurück nützen nicht immer

 Was steckt nicht alles in so einer kurzen Körperbewegung und wie schwerwiegend sind deren Folgen! Eine Frau ohne Namen wirft einen Blick zurück und erstarrt. Was kommt, erwächst aus dem, was war - doch wenn man sich an das Gewesene festklammert, hat das Kommende keine Chance. Wir erleben es heute wie zu jeder Zeit, die Überwindung scheint nur ein leeres Wort: Alles will der Mensch besitzen und festhalten und gerade dadurch verliert er es – die virtuelle Scheinwelt verdrängt die Realität und Menschen kennen sich in ihrem eigenen Leben nicht mehr aus, da sie stets nach anderem streben, für das sie nicht geschaffen wurden. Man meint, den Augenblick durch einen Klick auf ein speicherfähiges Medium festhalten zu können, schickt ihn in Windeseile um die Welt und hat ihn genau deshalb auch schon wieder vergessen und damit verloren, denn das innerste Wesen des Menschen hat ihn nicht registriert und alles Materielle ist, ob der Mensch es will und glaubt oder nicht, dem Verfall preisgegeben. Institutionen und Organisationen unterwerfen das nach Veränderung heischende Lebendige der Starrheit ihrer jeweiligen Formulare, verkommen zum Selbstzweck und verhindern so den Fluss des Lebens, dem sie doch zu dienen vorgeben. War dieser verhängnisvolle Rückblick, der uns wie so vieles in der Bibel auf besondere Weise vor allzu menschlichem Verhalten warnen sollte, denn auch nur vergebens?

Die Literatur kennt eine Frau ohne Schatten, hier begegnen wir der Frau ohne Namen. In den Namen begegnen einander Flüchtigkeit und Endgültiges, das sie in sich tragen. Nach Vollendung der Lebensbahn zieren sie zumindest aus irdischer Perspektive vielleicht noch einen Grabstein und hinter jedem dieser Namen verbirgt sich ein lebenslanges Schicksal, zusammengefasst in wenigen Buchstaben, die niemals all das in ihrem Zeichen Erlebte auch nur ansatzweise werden vermitteln können. 

Lots Frau ist Mahnmal bis heute

Alle großen und wichtigen Gestalten der Heiligen Schrift tragen Namen und ihr Schicksal und ihre jeweilige Mission im Rahmen der Heilsgeschichte machen sich bei deren bloßer Nennung sofort im Geiste präsent. Im Alten Testament kommen diese Namen jeweils nur ein Mal vor, im Neuen Testament begegnen wir so manchem vertrauten Namen immer wieder bei anderen Personen. So ist es auch üblich geworden, Kinder auf den Namen großer Heiliger zu taufen, damit deren segensreiches Wirken auf dieser Erde auf die neuen Namensträger übergehen oder wenigstens ausstrahlen möge. Niemand aber trägt nunmehr den Namen von Lots Frau und das womöglich aus gutem Grund: Denn Flüche möchte man ja verständlicher Weise der jeweils neuen Generation ersparen.

Es lässt sich beobachten, dass in letzter Zeit anscheinend immer häufiger vermieden wird, Kinder mit biblischen Namen zu beschenken. Eine Tendenz, die mit einer wachsenden diesbezüglichen Ahnungslosigkeit einhergeht und die verhindert, dass Menschen der kommenden Generationen sich selbst leichter im großen Fluss ihrer eigenen Geschichte einordnen können. Wie soll man im Laufe des irdischen Daseins seinem Namens- und Schutzpatron begegnen, wenn es keine Entsprechung gibt? Es sieht so aus, als wolle der viel beschworene Zeitgeist jegliche Spur der Bibel verwischen und auslöschen, doch kann dies nicht gelingen, denn das Wort Gottes ist so beschaffen, dass es sich auch und ausgerechnet gerade durch seine Leugnung erfüllt.

So besteht Lots Frau bis heute als Mahnmal weiter. Es lohnt sich nicht, dem Herrn zu widerstehen, „denn sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit“ und Niemandes sonst. In neuerer Zeit gemahnt die zu Stein gewordene „Frau Hitt“ hoch oben über Innsbruck an die Folgen von Hochmut und Hartherzigkeit – eine moderne „Frau Lot“? 

Das Kreuz Christi erneuert das eigene Leben

 Gott meint es immer gut mit den Menschen, aber sie tun sich so schwer damit, dies auch zu glauben. Zuweilen sind es wirklich schwere Schicksale, die eine Abwendung von Gott bewirken, was menschlich nachvollziehbar und verständlich ist, bei Lots Frau dürfte dies nicht der Grund gewesen sein, sie hat sich ja auch nicht revoltierend abgewendet, sie war nur ungehorsam. Andere finden gerade durch ein schweres Leiden zu ihrem Schöpfer, weit entfernt, Ihm dafür Vorwürfe machen zu wollen. Lots Frau war einfach ihrem bisherigen Leben zutiefst verhaftet und wollte noch einmal den Ort sehen, der ihr bisher Heimat gewesen ist. Traute sie dem Neuen nicht? Vielleicht war dies auch ein Teil ihrer Motivation. In unseren Tagen mit ihren permanenten Innovationen wäre ein solches Misstrauen ja mehr als angebracht, doch wird dieses eher mittels einer systematisch angefachten Faszination verscheucht. Damals scheint das Neue also noch weniger Attraktivität verströmt zu haben, man musste wohl erst lernen, damit umzugehen, dass Gott doch auch immer Neues anbietet, um Seine Geschöpfe auf Trab und lebendig zu halten. Die jüngste nachhaltige Erneuerung verdankt die Menschheit schließlich Jesu Kreuz, das wohl auch Lots Frau aus der Salzsäule zu neuem Leben erweckt haben wird.

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