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Der brave Kurat Katz

In unserer „Tagespost“-Reihe begegnen wir dieses Mal dem Feldkuraten Otto Katz aus Jaroslav Hašeks „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“.
Der brave Soldaj Schwejk
Foto: Gerhard Maly | Schauspieler Viktor Kautsch bei einer Vorstellung des Stückes „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“.

Wer den braven Soldaten Schwejk ausschließlich durch die Verfilmung mit Heinz Rühmann (1960) kennt, wird sich nicht an den Feldkuraten Otto Katz erinnern. Das liegt aber keineswegs an Gedächtnislücken, sondern daran, dass diese Romanfigur nicht in den Film übernommen wurde. Über die Motive kann nur spekuliert werden. Freilich ist der Roman recht umfangreich, und bei jeder dramatischen Umsetzung muss, will man sich an übliche Längenvorgaben halten, unweigerlich gekürzt werden. Diese konkrete Kürzung führt allerdings zu einem regelrechten Loch in der Handlung, denn Schwejks Weg vom Patienten im Krankenhaus in den Dienst des Oberleutnants Lukasch führt über den Herrn Feldkurat.

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Neben solchen Freiheiten im Umgang mit dem Handlungsablauf steht die Verfilmung von Axel von Ambesser überdies in dem Ruf, weitaus versöhnlicher zu sein als das literarische Original. Der Filmkritiker Claudius Seidl, von 2001 bis 2020 Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, resümiert, der Regisseur habe ein „harmloses Filmchen von geradezu staatstragendem Humor“ geschaffen und dabei die Bösartigkeit, die bittere Ironie und den Sarkasmus der Vorlage übergangen. Wenn diese Analyse zutrifft, so wird verständlich, warum die Rolle des Feldkuraten Katz weichen musste. Denn dieser ist keineswegs harmlos, geschweige denn staatstragend.

Was bisher geschah

Josef Schwejk soll nach Kriegsausbruch an die Front geschickt werden. Seine zahlreichen Versuche, sich vor dem Kriegsdienst zu drücken, bringen ihn zunächst ins Spital, wo man ihn als Simulanten identifiziert. Der Oberstabsarzt überführt ihn daraufhin in den Garnisonsarrest. Gegenüber einem jungen Arzt äußert der Chefmediziner: „Herr Kollege, ich kann Ihnen versichern, dass das alles vergeblich ist. Aus diesen Lumpen hätte nicht einmal Radetzky oder Prinz Eugen Soldaten gemacht. Mit denen kann man sprechen wie ein Engel oder wie ein Teufel, es ist alles für die Katz“ – eine unzweideutige Anspielung auf den Namen des Feldkuraten, dem unser Protagonist nun in die Hände fällt.

„Der Gottesdienst und die Predigten waren eine hübsche Unterbrechung der Langweile des Garnisonsarrestes. Es ging nicht darum, Gott nahezukommen, sondern um die Hoffnung, auf den Gängen und auf dem Weg über den Hof einen Zigaretten- oder Zigarrenstummel zu finden. Gott wurde vollkommen von einem kleinen Stummel verdrängt, der sich hoffnungslos in einen Spucknapf oder irgendwo auf dem Boden in den Staub verirrt hatte. Dieser kleine stinkende Gegenstand siegte über Gott und über die Erlösung der Seele […] Es war ein feierlicher Augenblick, wenn man die Insassen von ,Nummer sechzehn‘ in Unterhosen in die Kapelle führte [...] Weiter rückwärts standen die andern Arrestanten des Garnisonsarrestes und ergötzten sich an den zwanzig Unterhosen unter der Kanzel, auf die der Feldkurat sporenklirrend hinaufkletterte.“

Wer nun meint, der Feldkurat würde diesem frivolen Ambiente mehr Würde verleihen, irrt. „In Offizierskreisen nannte man ihn den Heiligen Vater“, heißt es, aber das kann nur in einen ironischen Sinne gemeint sein. Die Mangelerscheinungen an Heiligkeit, die der Feldkurat im Laufe des Romans an den Tag legt, sind zu zahlreich, um sie an dieser Stelle vollständig aufzuzählen. Am deprimierendsten ist vielleicht die Begründung für seine Berufswahl, von der man lieber nicht wissen möchte, auf wie viele reale Kirchendiener sie zutrifft: „Es ist ein anständig bezahlter Beruf, in dem sich der Mensch nicht zu sehr schindet.“

Habt acht, zum Gebet, alle mir nach

Wie wenig ernst er dieses Amt nimmt, ist vor allem daran zu erkennen, dass er es kaum jemals nüchtern ausführt. „Heute is er wieder ordentlich besoffen, da wird er wieder vom dornigen Pfad der Sünde quatschen“, entfährt es einem der Gefangenen als freudige Vorahnung, mit der dieser übrigens Recht behalten sollte. Kaum in der Lage, aufrecht und geradeaus zu gehen, rutscht der Feldkurat zuweilen sogar mit dem heiligen Sakrament aus. Sein ständiges Rülpsen trägt ebenfalls wenig zur heiligen Atmosphäre der Messe bei. Ganz anders sein Vorgänger! Das war ein Mann, „der mit der fixen Idee behaftet war, die im Garnisonsarrest eingesperrte Mannschaft ließe sich von der Kanzel herab bessern“.

Von solchen Anwandlungen war Otto Katz weitgehend frei: „Habt acht, zum Gebet, alle mir nach, was ich sagen werde! Und du hinten, du Lump, schnäuz dich nicht in die Hand, du bist im Tempel Gottes, oder ich lass dich einsperren. Ob ihr wohl, ihr Saukerle, noch nicht das Vaterunser vergessen habt? Also probieren wirs – No, ich hab gewusst, dass es nicht gehn wird […] Ich bin dafür, euch alle zu erschießen, versteht ihr mich gut? Das behaupte ich von dieser göttlichen Stelle herab, ihr Taugenichtse, denn Gott ist etwas, was sich nicht vor euch fürchtet und was mit euch umspringen wird, bis ihr davon blöd sein werdet, denn ihr zögert, euch Christus zuzuwenden, und geht lieber auf dem dornigen Pfad der Sünde […] Der dornige Pfad der Sünde, ihr vertrottelten Klacheln, ist der Pfad des Kampfes mit dem Laster.“

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Einen eigenen Stil hat er, das muss man ihm lassen. Ob es nun am erhöhten Alkoholspiegel des Feldkuraten liegt oder an dessen mangelnder theologischer Bildung, in jedem Fall gebraucht er dieses Bild vollkommen falsch. Denn nicht der Pfad der Sünde ist der Pfad des Kampfes mit dem Laster. Mit dem Laster kämpft man auf der Pfad der Tugend, und ebendieser Pfad ist es auch, der für gewöhnlich als dornig beschrieben wird, wie es etwa der Dichter Johann Gottlieb Bürde (1753-1831) in einem Lied tut: „Steil und dornig ist der Pfad, der uns zur Vollendung leitet/Selig ist, wer ihn betrat und zur Ehre Jesu streitet/Selig, wer den Lauf vollbringt und nicht kraftlos niedersinkt!“

Weil ihr unverbesserliche Lumpen seid

Die wiederholten Beschimpfungen der Gefangenen gehen womöglich ebenfalls auf das Konto des Alkohols, aber in diesem Fall liegt im Wein vielleicht auch ein wenig Wahrheit. Welcher Pfarrer, Lehrer oder auch Vater kennt nicht das Gefühl von Frust, wenn seine Erziehungsversuche trotz gutem Willen und vielfacher Wiederholung einfach nicht fruchten wollen? Und wer würde dann nicht gerne mal seinen wahren Gefühlen Luft machen? Selbst Jesus ließ sich ja zu so einem Ausbruch hinreißen, als er die Händler aus dem Tempel vertrieb: „Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!“ Die alttestamentlichen Propheten nahmen ebenfalls kein Blatt vor den Mund, wenn sie zu ihren Strafpredigten ansetzten. Beim Propheten Maleachi heißt es etwa: „Siehe, ich will euch den Arm zerbrechen und euch Kot ins Angesicht werfen.“

Der Unterschied ist freilich, dass Otto Katz sich selbst mitnichten angemessen zu benehmen weiß, was ihn eher zu einem Pharisäer denn zu einem Propheten macht. Zu dieser Charakterisierung passt auch eine entsprechende Warnung Jesu: „Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein und die hineinwollen, lasst ihr nicht hineingehen“, denn der Feldkurat tut genau das: „Ich sollte Tag und Nacht für euch beten, dass der barmherzige Gott, ihr blöden Kerls, seine Seele in eure kalten Herzen ergießt und mit seiner heiligen Gnade eure Sünden abwäscht, damit ihr auf Ewigkeit rein seid und damit er euch, ihr Lumpen, immerdar liebt. Da irrt ihr euch aber. Ich werde euch nicht ins Paradies einführen. Nein und nein, nichts werde ich für euch tun, fällt mir gar nicht ein, weil ihr unverbesserliche Lumpen seid.“

Ähnlich wie die Pharisäer begreift auch er nicht, dass es nicht die Gesunden sind, die des Arztes bedürfen, sondern die Kranken: „Dem lieben Gott fällt es gar nicht ein, sich mit solchen Halunken abzugeben, denn die Güte Gottes hat auch ihre Grenzen. Gott ist im höchsten Maß barmherzig, aber nur für anständige Menschen und nicht für den Auswurf der menschlichen Gesellschaft, der sich nicht nach seinen Gesetzen und nicht einmal nach dem Dienstreglement richtet. Das hab ich euch sagen wollen […] Ich verlier Zeit mit euch und seh, dass das alles rein umsonst ist. Wenn der Feldmarschall und der Erzbischof selbst hier wären, würdet ihr euch nicht bessern und Gott zuwenden. Und doch werdet ihr euch einmal an mich erinnern, dass ichs gut mit euch gemeint hab.“

Im Zweifel für den Angeklagten?

Gibt es Anzeichen dafür, dass der Feldkurat es tatsächlich irgendwie gut mit seinen Zuhörern meint? Einige seiner Aussagen, die man ihm als Hartherzigkeit auslegen könnte, haben durchaus ihre Berechtigung: „Ihr denkt, dass in die Kapelle gehen ein Jux ist, ihr denkt, dass hier ein Theater oder Kino ist. Das werde ich euch aus dem Kopf schlagen, damit ihr nicht glaubt, dass ich dazu da bin, damit ich euch unterhalte.“ Mit dieser Haltung hat er absolut Recht, die Messe ist tatsächlich kein Unterhaltungsprogramm, auch wenn Veranstalter sogenannter Event-Gottesdienste das meinen. Sogar biblische Wahrheiten finden sich in den Worten des Herrn Feldkurat. Auf den Ruf der Gefangenen: „Wir melden gehorsamst, dass wir hören“, entgegnet er: „Es genügt nicht, nur zu hören“, womit er sich in Übereinstimmung mit dem Brief des Jakobus befindet: „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.“

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Aber letztlich ist es das Gleichnis vom verlorenen Sohn, das vielleicht mächtigste Gleichnis des Neuen Testaments, welches Otto Katz zu einem wohlmeinenden Abstecher verleitet: „Ihr seid verlorene Söhne, die sich lieber im ,Einzel' wälzen als zum Vater zurückzukehren. Richtet euren Blick nur weiter und höher in die himmlischen Fernen, und ihr werdet siegen, und Frieden wird sich in eure Seele senken, ihr Lausejungen.“ Daraufhin geschieht etwas, was der Feldkurat nach eigener Aussage noch nie erlebt hat: Einer seiner Zuhörer bricht in Tränen aus. An diesen gewandt spricht er: „Du willst dich bessern? Das wird dir nicht so leicht gelingen, mein Lieber. Jetzt weinst du, und bis du von hier in die Zelle zurückkehrst, wirst du wieder grad so ein Lump sein wie vorher. Du musst noch viel über die unendliche Gnade und Barmherzigkeit Gottes nachdenken, dir viel Mühe nehmen, damit deine sündhafte Seele in der Welt den rechten Weg findet, auf dem du schreiten sollst.“

Der Weinende war natürlich niemand anders als Schwejk, den der Feldkurat daher auch nach der Predigt in seine Sakristei bittet. Hier erläutert Schwejk sein Verhalten: „Ich hab gesehen, dass zu Ihrer Predigt ein gebesserter Sünder fehlt, den Sie vergeblich in Ihrer Predigt gesucht ham. So hab ich Ihnen die Freude machen wolln, damit Sie nicht denken, dass es keine ehrlichen Menschen mehr gibt.“ Wer weiß, vielleicht hätte ein ernsthaft geläuterter Sünder wirklich etwas bewirkt. Schließlich soll über diesen ja mehr Freude herrschen als über 99 Gerechte. Jedenfalls findet Otto Katz Gefallen an unserem braven Soldaten Schwejk und nimmt ihn als Gehilfen und sogar Ministranten zu sich, bis er ihn schließlich beim Kartenspiel an Oberleutnant Lukasch verliert. An dieser Stelle setzt dann auch der Film wieder ein.

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