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„Now and Then“: Auf einmal sind die „Beatles“ wieder da

Wie klingt das vermeintlich letzte „neue“ Stück der Fab Four? Eine Rezension.
Finaler "Beatles"-Song veröffentlicht
Foto: IMAGO/Gemini (www.imago-images.de) | „Now and Then“ basiert auf einem von John Lennon verfassten Song, den dieser in den späten 1970er-Jahren in einer Demoversion, lediglich von Pianoklängen begleitet, eingespielt hat.

Mehr als 60 Jahre nach Veröffentlichung ihrer Debütsingle „Love Me Do“ im Jahr 1962 sowie mehr als 50 Jahre nach der Trennung 1970 ist heute ein brandneuer, als final angekündigter Song der erfolgreichsten Musikgruppe aller Zeiten erschienen: Denn nur wenige Wochen, nachdem deren zeitweilige Erzrivalen „The Rolling Stones“ ihr jüngstes Album „Hackney Diamonds“ veröffentlicht haben, sind nun auch die „Beatles“ zurück – und sowohl John Lennon als auch Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr sind auf dem neuen Stück „Now and Then“ zu hören.

Ein neuer Song dank hochmoderner Technologie

Doch wer sich darüber wundert, wie es sein kann, dass sowohl der 1980 ermordete John Lennon als auch der 2001 verstorbene George Harrison gemeinsam mit dem heute 81-jährigen McCartney sowie dem 83-jährigen Starr auf einem brandneuen Lied zu hören sind, welches nicht in irgendeinem Archiv in den Londoner Abbey Road Studios schlummerte und lediglich entstaubt werden musste – dem kann ganz einfach geantwortet werden: Dank des technischen Fortschritts. 

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Denn „Now and Then“ basiert auf einem von John Lennon verfassten Song, den dieser in den späten 1970er-Jahren in einer Demoversion, lediglich von Pianoklängen begleitet, eingespielt hat. Ein knappes Jahrzehnt nach dessen Tod übergab Lennons Witwe Yoko Ono den verbliebenen Ex-„Beatles“ eine Demokassette, die neben „Now and Then“ auch Demoversionen der Lennon-Songs „Free as a Bird“ und „Real Love“ enthielten. Beide Songs wurden Mitte der 1990er-Jahre von McCartney, Harrison und Starr musikalisch bearbeitet sowie 1995 und 1996 im Rahmen der aufwendigen „Anthology“-Banddokumentation veröffentlicht - doch im Falle von „Now and Then“ erlaubten es die damaligen technischen Mittel nicht, Lennons Stimme und dessen Pianospiel voneinander zu trennen, welches aufgrund des schlechten Klangzustands der Demokassette notwendig gewesen wäre. Was dazu führte, dass die Aufnahmesessions im Jahr 1995 ergebnislos abgebrochen werden mussten.

John Lennons Stimme sorgt für Gänsehaut

„Da war sie, Johns Stimme, kristallklar“, sagt Paul McCartney in einem kurzen Dokumentarfilm, nachdem es Produzent Giles Martin – dem Sohn des langjährigen „Beatles“-Produzenten George Martin – vergangenes Jahr gelungen war, Lennons Stimme mithilfe neuester Klangseparationstechnologie zu isolieren. Und er ergänzt: „Es ist ziemlich emotional, und wir spielen alle mit. Es ist eine echte ‚Beatles‘-Aufnahme.“ Denn in der Tat: Nicht nur John Lennons Gesang von 1977 und George Harrisons Gitarrenaufnahmen von 1995, sondern auch neu eingespielte musikalische Passagen von Paul McCartney und Ringo Starr aus dem Jahr 2022 sind auf „Now and Then“ zu hören. 

Doch wie klingt das fertige Stück selbst? Kurz gesagt: Elegisch und berührend - ganz im Stil späterer „Beatles“-Alben wie „Abbey Road“ und „Let It Be“, allerdings mit kleinen Verweisen auf die psychedelische „Revolver“- und „Sgt. Pepper“-Phase Mitte der 1960er-Jahre. Nicht nur sorgt Lennons technologisch aufgewertete Stimme für Gänsehaut - auch die musikalische Performance von McCartney, Harrison und Starr sowie die im besten „Beatles“-Stil arrangierten Streicher lassen ein vertrautes Gefühl entstehen. Zudem unterstreichen clever in den fertigen Song hinein gemixte Gesangspassagen aus „Here, There and Everywhere“, „Eleanor Rigby“ oder „Because“ den intro- beziehungsweise retrospektiven Charakter von „Now and Then“ ausdrücklich.

Eine gelungene Coda beziehungsweise Zugabe

Jedoch - kann „Now and Then“, in welchem es klanglich durchaus einiges zu entdecken gibt, mit dem phänomenalen Backkatalog der „Fab Four“ mithalten oder besser gefragt: Taugt das Lied als ultimativer Abschlusssong der „Beatles“? Möglicherweise ist die Frage falsch gestellt: Denn neben „The End“ vom finalen Studioalbum „Abbey Road“ erwiesen sich sowohl „Let it Be“ (in Großbritannien) als auch „The Long and Winding Road“ (in den USA) 1970 zwar jeweils als geniale letzte Singleveröffentlichungen, zeigten jedoch eine Band in Streit und Auflösung und nicht wie nun bei „Now and Then“ als miteinander versöhnt und über den Tod hinaus geeint. Insofern darf das Lied durchaus als spätes musikalisches Happy End der erfolgreichsten Band der Musikgeschichte gelten.

So oder so wird man der puren Existenz von „Now and Then“ auf jeden Fall gegenüber gerecht, wenn man dieses als (glücklicherweise gelungene) Coda, Zugabe oder unverhofften Bonustrack betrachtet, der auf einmal, scheinbar aus dem Nichts auftauchend, urplötzlich am Musikhimmel erschienen ist und brilliant zum Ausdruck bringt, was die „Beatles“ einmal musikalisch ausgemacht hat. Denn egal, ob eine bis dato unbekannte Bach-Kantate wiederentdeckt, ein verloren geglaubtes John-Coltrane-Album plötzlich auf einem privaten Dachboden gefunden oder eben ein neuer „Beatles“-Song veröffentlicht wird: Auf einmal verwandelt sich diese krisengeplagte Welt in einen besseren Ort.

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