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Die Leiden des Herbert Grönemeyer

Unteilbar? Warum Prominente lieber über Integration als Migration sprechen und damit großen Schaden anrichten können. Von Philipp Mauch
Herbert Grönemeyer
Foto: IN | Ungeteilt: Herbert Grönemeyer.

Jetzt singt Herbert Grönemeyer also ein Lied auf deutsch und türkisch – „Doppelherz/ Iki Gönlüm“. Gegen so eine schöne Geste ist natürlich nichts einzuwenden. Die „Tagesschau“ zitiert ihn danach mit einer sogenannten „Kachel“, einem socialmedia-tauglichen Bild/Zitat-Flyer: „Das sind Deutsche, die gehören genauso hierher, wie ich.“ Wenn damit gemeint ist, dass wir alle einen Schritt aufeinander zugehen sollten, gibt es auch hier volle Zustimmung. Denn dass türkischstämmige wie auch alle andersstämmigen Deutschen das Gefühl haben sollten, dazu zu gehören, versteht sich wohl von selbst.

Wenn aber der Popstar mit Wohnsitz in England – die Bild-Zeitung darf ihn mit richterlichem Segen weiterhin den „in London lebenden Millionär“ nennen – vermitteln wollte, dass jeder türkisch lernen sollte, weil keiner das Gefühl haben darf, er sei in der Fremde, geht der Schuss nach hinten los. Denn Integration ist keine Einbahnstraße und egal wo man politisch steht, an dem Umstand, dass sich viele Deutschtürken Erdogan näher fühlen als Steinmeier oder Merkel, obwohl ganze Stadtviertel von ihnen kulturell und also auch sprachlich mitgeprägt wurden, ist schwerlich vorbeizukommen.

Nun liegt die Vermutung nicht ganz fern, Grönemeyer singe in polarisierender Absicht, zumindest gemessen an seinen sonstigen Einlassungen. Viele werden sich an den Auftritt bei Günther Jauch während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 erinnern, wo er die Terrorgruppe IS als ein „Resultat des Westens“ bezeichnete und George Bush sowie Tony Blair ein Kriegsverbrechertribunal in Den Haag an den Hals wünschte. Die FAZ titelte damals „Verbale Brandstifter sind immer die anderen“ und schrieb: „Schlecht gelaunt und aggressiv, um keine Parole verlegen, zeigt er anschaulich, wie man die Debatte über ein wahrlich nicht unbedeutendes Thema in hochfahrendem Habitus versaubeuteln kann.“

Herbert Grönemeyer leidet an seinen Landsleuten

Offenbar leidet Grönemeyer an einer vermeintlichen Engstirnigkeit und Herzensenge seiner Landsleute. Zumindest ist es ihm ein Anliegen, der Welt zu zeigen, wie Deutschland eigentlich ist, beziehungsweise zu sein hätte, nämlich genauso wie er. Dabei ist das sogenannte „Zeichensetzen“ leider nicht so harmlos und lupenrein, wie von seinen Absendern getan wird. Im Hintergrund laufen nämlich regelrechte gesellschaftspolitische Stellvertreterkriege ab, bei denen sich Repräsentanten für Menschen streiten, die eigentlich ganz gut miteinander auskommen. In diese Rubrik fällt leider auch die #Unteilbar-Demonstration in Berlin, auf deren Abschlusskonzert Grönemeyer selbstverständlich nicht gefehlt hat. Ein möglichst breiter Konsens gegen jede Art von Extremismus und Rassismus ist richtig und wichtig. Nur muss es dabei glaubwürdig und integer zugehen. Und ganz so integer, ein anders Wort für unteilbar, ging es bei der Demo leider nicht zu.

Das zeigt bereits der Blick auf die muslimische Community, deren liberaler Teil die unkritische Haltung der Organisatoren gegenüber dem Zentralrat der Muslime in Deutschland beklagt hat. Seyran Ates, Deutschlands erste Imamin, zeigte sich irritiert, dass die Organisatoren die Verflechtungen des Zentralrats mit islamistischen und rechtsextremen Gruppen nicht störe. „Es ist eine sehr naive Idee von Toleranz“, sagte sie, „wenn man mit Leuten auf die Straße geht, die keine Toleranz wollen.“

Ali Ertan Toprak, einer der prominentesten Köpfe der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, ließ ähnliches vernehmen: „Ich kann nicht zusammen mit migrantischen Rechten gegen deutsche Rechte marschieren. Wir müssen uns gegen jede Art von Rassismus wenden. Die Linksliberalen gehen mit diesen Vereinen unkritisch und inkonsequent um. Sie verbünden sich mit den Falschen.“

Bedauerlicherweise laufen beim Thema Islam die ohnehin schon leidgeprüften unbescholtenen Muslime Gefahr, von ihren Fürsprechern und Interessenvertretern instrumentalisiert zu werden. Aiman Mazyek, Vorsitzender des besagten Zentralrats der Muslime zum Beispiel nutzt Polarisierungen, anstatt sie auszuräumen, eher als willkommenen Nachweis für die Existenzberechtigung seiner Organisation. Jedenfalls erweist er dem friedlichen Zusammenleben jedes Mal einen Bärendienst, wenn er der Gesellschaft wie zuletzt in der Causa Özil in provokanter Weise erklärt, was sie im Umgang mit seiner Glaubensgemeinschaft alles falsch macht. Man könnte dann nämlich irrig annehmen, alle Muslime seien so wie Mazyek. Und umgekehrt, könnten die Muslime trüglich schließen, dass wer von Funktionären wie Mazyek genervt ist, etwas gegen sie habe.

Wer hat in diesem Sinn noch nicht die Erfahrung gemacht, dass bei Begegnung auf Elternabenden oder während Fußballspielen der Kinder auf einmal ein politisch geschaffenes und intellektuell zugespitztes Identitätsproblem im Raum steht? Unbehagen und Befremden sind dann oftmals die Folge. Gut gemeint oder nicht, in diesen oder ähnlichen Situationen müssen Probleme gelöst werden, die man ohne Grönemeyer oder Mazyek wahrscheinlich gar nicht hätte.

Brücken baut nicht, wer anderen die Leviten liest

Beim „Zeichensetzen“ gilt für Demos im Grunde das Gleiche wie für Promis: Brücken lassen sich nicht dadurch bauen, dass sich die einen für den besseren, helleren Teil Deutschlands erklären, um dem anderen, dunklen die Leviten zu lesen. Es ist schlicht wenig bis gar nicht hilfreich, wenn von abgehobenen Galionsfiguren einer bestenfalls infantilen, schlimmstenfalls radikalen Weltoffenheitsvorstellung – es gibt selbstredend auch eine rationale, aber das ist ein anderes Thema – gerne so getan wird, als wären die Probleme der Migration erfunden, gleichzeitig aber immer wieder die Integration auf die Agenda gebracht wird. Denn wer das eine isoliert vom anderen betrachten will, leugnet einen objektiv bestehenden Zusammenhang und betreibt auch damit Spalterei. Schließlich mag man sich nur ungern für dumm verkaufen lassen. An der Stelle dürfen sich auch die Konservativen Gedanken machen, wie sie sich in der Debatte um eine „deutsche Leitkultur“ glaubhafter positionieren können, ohne zu polarisieren.

Im alltäglichen Leben ist es freilich völlig gleich, meistens sogar überhaupt nicht feststellbar, wer einen Migrationshintergrund hat und wer nicht. Interessant ist doch nur, wer zu Deutschland gehören will, sei es als Kulturdeutscher oder deutscher Staatsbürger oder was auch immer. Warum immer diese Fixierung auf die Herkunft? Wer morgens aufsteht und sich denkt „Was für ein tolles Land!“, gehört dazu. Und wer sich denkt „Mieses Stück Dreck, verrecke!“, gehört eben nicht dazu. Das ist glücklicherweise eine freie Entscheidung. Und sich für Deutschland zu entscheiden, sollte für Grönemeyer oder andere Weltbürger genauso attraktiv sein wie für ANTIFA-Aktivisten oder Freunde der Muslimbruderschaft. Wer aber partout nicht will, der hat eben schon. Da hilft dann auch kein Singen mehr.

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28.11.2023, 07 Uhr
Maria Croce

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