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Botho Strauß: "Ich sehe die Verluste und zähle sie."

Am 2. Dezember wird der Schriftsteller und Dramatiker Botho Strauß 75 Jahre alt. Seit Jahrzehnten blickt er mit prophetischem Abstand auf den kulturellen und gesellschaftspolitisch verschuldeten Niedergang – und setzt ihm etwas entgegen.
Schriftsteller Botho Strauß.
Foto: dpa | Am 2. Dezember wird der Schriftsteller und Dramatiker Botho Strauß 75 Jahre alt. Seit Jahrzehnten blickt er mit prophetischem Abstand auf den kulturellen und gesellschaftspolitisch verschuldeten Niedergang – und ...

Botho Strauß, einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller seiner Generation, einst meistgespielter Dramatiker und vielfacher Preisträger (Jean-Paul-Preis, Georg Büchner-Preis, etc.), wird 75 Jahre alt. Anlass genug, sich mit einem Querdenker zu beschäftigen, der sich 2003 einmal bezeichnete als einen „Sonderling, und der ist am wenigsten berufen, eine allgemeine Niedergangstheorie zu entwickeln. Ich sehe die Verluste und zähle sie.“

Botho Strauß wird in der deutschen Öffentlichkeit oft auf die Aussagen seines 1993 im „Spiegel“ veröffentlichten Essays "Anschwellender Bocksgesang" reduziert. Das ist in Anbetracht seines umfassenden Oeuvres sicher reduktionistisch; andererseits aber doch symptomatisch für die Epoche, deren Zeuge er ist; und schließlich in Anbetracht des Inhalts jener kleinen Schrift, die man wohl als Gründungsurkunde des post-modernen deutschen Konservatismus bezeichnen kann, auch psychologisch gar nicht einmal so falsch. Denn, so schrieb Strauß, der „Sündenbock [ist] als Opfer der Gründungsgewalt niemals lediglich ein Objekt des Hasses, sondern ebenso ein Geschöpf der Verehrung. Er sammelt den einmütigen Hass aller in sich auf, um die Gemeinschaft davon zu befreien“ – eigentlich eine passende Charakterisierung des Verhältnisses, das die Deutschen mit einem der interessantesten Dichter und Denker verbindet, der ihnen noch verbleibt.

Häufig auf "Anschwellender Bocksgesang" reduziert

Freilich erstaunt ein solches Unverständnis kaum, wie Strauß selbst wohl bewusst war, als er 2003 sagte: „Manchmal muss ich an Hofmannsthal denken, der sich in seinen späten Jahren fragte, wie er denn von einer Zeit, der er den Rücken gekehrt, erwarten könne, dass sie ihn verehre.“ Zumal, wie der brillante Martin Mosebach in seiner Verteidigung von Botho Strauß einmal ebenso klarsichtig wie unpopulär formulierte: „In den deutschen Feuilletons herrscht der Befehl der Totalaffirmation der Gegenwart und jeder, der nur die bescheidensten Bedenken anzuwenden hat, der spielt nicht mit und ist infolgedessen verdächtig, gefährlich, obszön.“ Dies gilt umso mehr, als Strauß es bekanntlich den Deutschen auch nicht einfach macht, ihn als einen der ihren zu empfinden, schrieb er doch 2015: „Manchmal habe ich das Gefühl, nur bei den Ahnen noch unter Deutschen zu sein. Ja, es ist mir, als wäre ich der letzte Deutsche.“

Damit sind wir aber bereits mitten im Zentrum des Strauß‘schen Schaffens, das sich, von den ersten Anfängen wie „Der Hypochonder“ (1972) bis „Zu oft umsonst gelächelt“ und „Saul“ (2019), in steter Beharrlichkeit mit dem Staunen ob der Vielfältigkeit und letztlich Unergründlichkeit der Weltdinge auseinandersetzt, dabei aber zunehmend auf Abstraktion verzichtet und sich damit zufrieden gibt, dass sich eben nicht alle Phänomene entschlüsseln lassen, sondern oft genug in ihrer unerklärten Sinnhaftigkeit gelten gelassen werden müssen.

Dabei bedeutet das, was Strauß „die Furcht vor dem Theorem, vor der ungeheuren Wurzellosigkeit“ nannte, nicht ein Abdanken vor der Sinnsuche, ganz im Gegenteil: Seit dem „Anschwellenden Bocksgesang“ ist Strauß regelmäßig als einer der klarsichtigsten, gleichzeitig dennoch nachdenklichsten Kritiker der deutschen post-modernen „telekratischen Öffentlichkeit“ hervorgetreten, welche „die unblutigste Gewaltherrschaft und zugleich der umfassendste Totalitarismus der Geschichte“ sei. Ultimative Ursache jenes neuen Regimes sei die selbstgewählte Abwendung der Deutschen von ihrer eigenen Geschichte und Identität: „Intellektuelle sind freundlich zum Fremdem, nicht um des Fremden willen, sondern weil sie grimmig sind gegen das Unsere und alles begrüßen, was es zerstört“, während die „Überlieferungs- und Stimmungsgeschichte [der Jugend] eine der Negationen und des Vaterhasses ist.“

Nachdenklichster Kritiker der "telekratischen Öffentlichkeit"

Diese Abwendung hat dabei aber, Strauß zufolge, keineswegs zu einem wahren Neubeginn und einer Wiederanbindung an die Transzendenz geführt, sondern zu einer flachen Moralisierung von Politik und Verdinglichung des Jenseitigen, denn „alles, was heute ans Transzendente und Theologische rührt, verabscheut unsere kritische Spaßintelligenz“. Nicht von Herzen, sondern nur „per Gesetz zur Güte verpflichtet, […] bedürfte es nachgerade einer Rechristianisierung unseres modernen egoistischen Heidentums, […] um dieses Gebot bis in die Seele der Menschen (nicht nur der Wähler und Wählerinnen) zu versenken“. Und so ist eben (nicht nur in Deutschland) jener Kontinuitätsfaden abgerissen, der uns mit unseren Wurzeln verbindet; wird jegliche Möglichkeit, aus der Kunst der Vergangenheit den Ausgangspunkt für einen neuen Anlauf zu entwickeln, bereits im Keim erstickt, während sich hinter der scheinbaren erinnerungsgeschichtlichen Zerknirschtheit nur eine Mischung von Selbsthass und Hochmut verbirgt: „Die Überlieferung verendet vor den Schranken einer hybriden Überschätzung von Zeitgenossenschaft, verendet vor der politisierten Unwissenheit jener für ein bis zwei Generationen zugestopften Erziehungs- und Bildungsstätten, Horste der finstersten Aufklärung, die sich in einem ewig ambivalenten Lock- und Abwehrkampf gegen die Gespenster einer Geschichtswiederholung befinden.“

Dies erklärt auch Strauß‘ Blick auf die deutsche Migrationspolitik, wobei neben der „Sorge […], dass die Flutung des Landes mit Fremden eine Mehrzahl solcher bringt, die ihr Fremdsein auf Dauer bewahren und beschützen“, auch die bittere Einsicht steht, dass „die Sozial-Deutschen […] nicht weniger entwurzelt sind als die Millionen Entwurzelten, die sich nun zu ihnen gesellen“. Die Konsequenzen sind dramatisch, denn „die Modernität wird nicht mit ihren sanften postmodernen Ausläufern beendet, sondern abbrechen mit einem Kulturschock“. Und doch mag gerade die kommende Krise vielleicht auch eine Chance bergen, ex negativo den Selbsthass zu überwinden und eine Wertschätzung des Eigenen zu entwickeln: „Was aber Überlieferung ist, wird eine Lektion, vielleicht die wichtigste, die uns die Gehorsamen des Islam erteilen.“

"Intellektueller Rechtsradikalismus"?

Ist das „intellektueller Rechtsradikalismus“, wie es Strauß nicht nur von Ignatz Bubis vorgeworfen wurde, gar „krude, und auch perfide“, wie Richard Kämmerlings behauptete, da ein „rein ästhetischer Begriff der Überlieferung selbst, der in seiner praktischen Anwendung alles Hässliche tilgt, [skandalös]“ sei? Man darf es bezweifeln, umso mehr, als es Strauß ja bewusst nicht auf eine Relativierung vergangener Gräuel ankommt, sondern um den Versuch eines positiven Gegenprogramms. Denn wenn es ihm auch fern liegt, politische Utopien zu entwickeln oder gar normative Aussagen zu formulieren, so ist zumindest sein Selbstanspruch, als Einzelner dem allgemeinen Niedergang das eigene Werk und vor allem die eigene humanistische Selbstentfaltung entgegenzusetzen, unbedingt ernst zu nehmen; ein Anspruch, den Strauß einmal metaphorisch beschrieb als den Willen, den „Wilhelm Meister“ nicht nur immer wieder zu lesen, sondern auch weiterzuschreiben. Nicht von ungefähr hat der Autor selbst sich dementsprechend auch nur insoweit als „rechts“ bezeichnet, als er danach trachte, „die Übermacht einer Erinnerung zu erleben, die den Menschen ergreift“; als Vertreter eines „geistigen, ästhetischen Fundamentalismus […]: Man muss seine Gründe behalten, seiner Herkunft begegnen.“ Nur der „Mut zur Sezession, zur Abkehr vom Mainstream“, nur die Besinnung auf das „Geheime Deutschland“, wie Strauß in doppelbödiger Anspielung nicht allein auf die Ästhetik Georges ausführte, mag die dringende Zeitfrage „Was tun?“ beantworten und es wenigstens einem kleinen Kreis ermöglichen, den letzten Rest unverfälschter abendländischer, „hesperialistischer“ Kultur durch die kommenden Jahre der Krise hinweg am Leben zu erhalten und für die Zukunft fruchtbar zu machen – dem einzigen Kreis, der langfristig zählen wird.

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