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Leben und Lernen am selben Ort

„Homeschooling“ entfaltet ein Potential, an das Schulen selten heranreichen – das ist die Erfahrung von Franziska und Theresa, die in Österreich zuhause zur Schule gegangen sind.
Homeschooling birgt großes Potenzial 
Foto: Imago/Panthermedia | Talente seien besser zu fördern, das Lernpensum könne leichter an die Fähigkeiten des Schülers angeglichen werden: So argumentieren Franziska und Theresa, die selbst im Homeschooling unterrichtet worden sind.

Es klingt nach einer Frage aus dem Geschichtsunterricht: Was haben Albert Einstein, Agatha Christie, Claude Monet und Isaac Newton mit der bekannten US-amerikanischen Surferin und bekennenden Christin Bethany Hamilton gemeinsam, der im Alter von 23 Jahren ein Tigerhai den linken Arm abbiss? Sie alle sind zuhause „in die Schule gegangen“.

Das konnte jedoch nur passieren, weil keiner von ihnen in den letzten gut 85 Jahren in Deutschland aufgewachsen ist: Denn schon seit 1938 ist das Konzept „Hausschule“ dort illegal. Davor galt es als Privileg, sich für seine Kinder einen Hauslehrer leisten zu können. „Häuslichen Unterricht“ erlauben bis heute die meisten westlichen Länder. Zu ihnen gehören Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Österreich und Polen, die USA, Kanada und Australien. Sie nehmen es in dem Fall sogar häufig in die Verfassung auf. Es besteht dann nur Schulpflicht, aber kein Schulzwang.

„Relikt aus dem Nationalsozialismus"

„Es sind immer totalitäre Staaten, die die Hausschule verbieten. In Deutschland ist das Verbot noch ein Relikt aus dem Nationalsozialismus“, sagt Franziska, eine junge Frau aus München, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Sie ist das zweite Kind einer Großfamilie. Ab ihrem achten Lebensjahr unterrichteten ihre Eltern sie zuhause in Österreich. „Meine Schwester und ich haben aus der Schule mitgebrachten Frust nachmittags aneinander ausgelassen“, erinnert die 29-Jährige sich an ihre kurze „staatliche“ Schulzeit.

Der Wechsel zur Hausschule habe mehr Frieden und weniger Streit zwischen Geschwistern in ihre Familie gebracht. „Das Umfeld prägt. Da Kinder heutzutage mehr Zeit in der Schule als mit den Eltern verbringen, wird der Klassenverbund sie mehr prägen als das Elternhaus. Das kann sehr negative Auswirkungen haben“, sagt sie.

Langeweile, Frustration und Wissenslücken

„Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates“, so steht es im deutschen Grundgesetz (Artikel 7, Absatz 1). Dafür ist das Land international schon mehrmals in die Kritik geraten. „Entweder ist der Lehrer zu langsam oder zu schnell für die Schüler. Das führt zu Langeweile oder Frustration und zu Wissenslücken.

Zuhause kann man sich den Lernstoff frei zuteilen. An manchen Tagen ist man motivierter als an anderen. An den guten Tagen nimmt man den ganzen Schwung und schafft viel Lernstoff“, zieht Franziska einen Vergleich zwischen ihrer Zeit in der Grundschule und der Hausschule. Sie studierte später Modedesign, und baute bereits mit Anfang 20 ihr eigenes Modeunternehmen auf.

„Hausschule" birgt großes Potenzial 

„Wenn Schule zuhause gut vorbereitet ist, kann sie ein Potential entfalten, an das reguläre Schulen nie heranreichen“, fährt die ehemalige „Hausschülerin“ fort. Beispielsweise seien die Fächer Geschichte und Religion in dem Curriculum, das ihren Lernstoff vorgab, ihrer Meinung nach mittelmäßig bis schlecht aufbereitet gewesen.

Darum habe sie mit zwölf Jahren angefangen, auf eigene Faust Klassiker und Wissensbücher zu lesen. „Mein Vorbild war ein Universalgelehrter aus dem 18. Jahrhundert. Ich war sehr fasziniert davon, wie gebildet und intellektuell er war, und wollte auch so sein. Es hat sich mir darin eine ganz neue Welt aufgetan“, so Franziska.

Seit ihrer Jugend und bis heute sammelt sie in einem eigenen „Hausschul-Curriculum“ Lernmaterialien sowie Lektüreempfehlungen für Eltern, die ihre Kinder zuhause unterrichten wollen. Denn, so meint die Münchnerin, die Schulen in Deutschland seien eher schlechter als besser geworden: „Die Schulen sind ideologisiert. Nicht nur in Geisteswissenschaften, sondern mittlerweile auch in Naturwissenschaften. Auch ist das Lernsystem veraltet - dass ein Lehrer vorne steht und den Kindern etwas erklärt. Es stammt aus einer Zeit, in denen Lehrer teuer und Bücher billig waren. Heute ist das genau anders herum. Darüber hinaus ist es nicht förderlich und sogar unnatürlich, ausschließlich gleichaltrige Kinder zusammen zu unterrichten. Im normalen Leben hat man nun mal sowohl ältere Menschen um sich, zu denen man aufblickt und von denen man etwas lernen kann, als auch jüngere, für die man lernt, Verantwortung zu übernehmen.“

Homeschooling beschäftigt immer wieder die Gerichte

Das Thema Homeschooling in Deutschland hat in der Vergangenheit auch immer wieder die Gerichte beschäftigt. Bei der Familie Wunderlich aus Hessen stand 2013 eines Morgens das Jugendamt vor der Tür und nahm spontan die vier Kinder mit. Der Grund: Sie waren nicht in der Schule. 2019 versuchten die Wunderlichs, das Recht auf Homeschooling am Europäischen Gerichtshof einzuklagen. Am 11. Januar 2019 entschied dann der Gerichtshof, das Vorgehen des Staates sei keine Verletzung der Rechte der Familie gewesen. 

Auch Theresa hat Unterricht bei ihren Eltern bekommen. Sie ist als viertes von sechs Kindern in Österreich aufgewachsen. Durchs Telefon schwingt die Begeisterung der 23-Jährigen über das Konzept mit. „Das Zuhause ist ein Ort der Geborgenheit, im Gegensatz zur Schule. Gerade als Kind ist das wichtig, denn man ist ja offen für alle möglichen Einflüsse und noch komplett formbar“, sagt sie. Die Freude am Lernen sei zuhause groß, so Theresa, die neben Deutsch und Englisch fließend Französisch und Italienisch spricht. Die beiden romanischen Sprachen brachte sie sich teils mit Buch und Lexikon, teils durch Auslandsaufenthalte bei.

Das Vorurteil, soziale Kontakte kämen bei zuhause unterrichteten Kindern zu kurz, widerlegen Theresas Erinnerungen: „Sozialerfahrungen haben wir auch ohne Klassenkameraden gesammelt. Darum haben sich meine Eltern gekümmert. Wir hatten vielleicht nicht jeden Tag Kontakt zu Gleichaltrigen, sind aber dafür häufig zum Beispiel übers Wochenende zu befreundeten Familien oder im Sommer zum Pfadfinderlager gefahren. Es kam auch oft Besuch“, blickt sie zurück. „Außerdem spielt die Familie eine entscheidende Rolle. Viele Geschwister zu haben ist natürlich umso besser, weil man nie alleine ist. Bis ich zehn Jahre alt war, haben unsere Cousins nebenan gewohnt, da haben wir jeden Tag miteinander gespielt.“ Zieht sie einen Vergleich mit Freunden, die das normale Schulsystem in Deutschland oder Österreich durchlaufen haben, fiele ihr auf: Die wenigsten unter ihnen hätten enge Freundschaften aus der Schule gehalten. Nach dem Abitur studierte Theresa in München, Rom und Wien Theologie und Philosophie. Eine Gefahr sieht sie besonders im deutschen Schulsystem: „Die Sexualerziehung ist katastrophal. In frühestem Alter müssen sich Kinder mit Sexualität auseinandersetzen und ihr Geschlecht hinterfragen.“

Freie Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes

Die Persönlichkeit des Kindes könne sich durch die Hausschule frei entwickeln, individuelle Talente seien leichter zu fördern, sieht Theresa einen weiteren Vorteil in dem in Deutschland verbotenen Schulmodell. „Mein jüngerer Bruder setzt sich seit Langem gründlich mit Politik auseinander. Er hatte Zeit, aufmerksam Zeitung zu lesen und das Tagesgeschehen zu verfolgen. Der andere Bruder hat sich auf Mathe konzentriert und unglaublich viel gerechnet“, so Theresa. Zusammen hätten die beiden Jungen viel gebastelt, zum Beispiel Gummipistolen und Gewehre, Bücherregale geschreinert und selber eine Direktsaatmaschine entworfen und geschweißt.

„Man ist flexibler mit der Zeit, kann sich die Ferien besser einteilen“, sammelt Theresa weiter Pluspunkte für Homeschooling. „Unterrichtende Eltern haben die Erziehung der Kinder ganz in ihren eigenen Händen. Zu erziehen ist eben die erste Aufgabe von Eltern, denen ihre Kinder am allermeisten am Herzen liegen.“ Auch falle der „Gruppendruck“ im Klassenzimmer weg. „Typischerweise orientiert man sich in der Gruppe an dem, der am lautesten blödelt, und das ist destruktiv. Auch mussten meine Geschwister und ich keine Erfahrungen mit Mobbing machen, welches Schulkinder häufig zu spüren bekommen“, sagt sie.

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