Im Rahmen einer Tagung zur priesterlichen Identität an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt hat Pater Stephan Kessler SJ, von 2005 bis 2016 Regens des Priesterseminars St. Georgen, deutliche Kritik am Stillstand um die Reform der Priesterausbildung geübt. „Bereits 2016 wies Hartmut Niehues als Vorsitzender der deutschen Regentenkonferenz auf die nahende Nulllinie hin. In den fünf Jahren seitdem ist nix passiert.“ Diese Lähmung nannte Kessler, der heute in Köln wirkt, schuldhaft.
Dysfunktional
Der aktuellen Form der Priesterausbildung bescheinigt Kessler wachsende Dysfunktionalität, besonders mit Blick auf die ungenügende Einübung des Zölibats und einer sexuellen Reife, den Umgang mit Homosexualität und die Überhöhung des Priesteramtes. „Seminaristen wohnen heute in einer Art betreutem Wohnen wie es sonst nur alte Menschen tun. Das führt zu Regression.“
U-Boot-Existenzen
In den vergangenen 50 Jahren habe sich das Leben des Priesters deutlich verändert.Gleichzeitig habe sich die Priesterausbildung nicht verändert. „Dazu kommt, dass die Seminaristen, die wir heute haben, sich häufig in Milieus der Vergangenheit bewegen und den Anschluss an die pastorale Wirklichkeit verlieren.“ U-Boot-Existenzen und Doppelleben seien die Konsequenz: „Das gegenwärtige Modell der Priesterausbildung eignet sich nur noch für den narzisstisch-soziopathischen Typ. Es muss ein Ende finden!“
Vorschlag zur Neuorganisation
Neben der vernichtenden Kritik des erfahrenen Priesterausbilders stellte dieser im Rahmen der Tagung zugleich seinen Vorschlag zur Neuorganisation vor. Demnach müsse die Ausbildung sich vor allem an drei Zielen orientieren: Kommunikative und personale Kompetenzen müssen geschult werden, die eine Verkündigung des Evangeliums „über den Bibelabend hinaus“ schulen, ferner brauche es „Sozialkompetenz und Mitbrüderlichkeit“ sowie die Entwicklung einer einladenden und inkludierenden Kirchlichkeit. „Kessler sprach sich ausdrücklich für die Abschaffung des Seminars als Theologenkonvikt aus, es sollte erst nach dem Studium in einer wenigstens zweijährigen Probationsphase gemeinsam mit anderen Bewerbern für kirchliche Dienste eine Rolle spielen.
„Die aktuelle Priesterausbildung ist für junge Leute nicht verlockend und es hilft uns nicht, ein Seminar nach dem nächsten zu schließen, bis keins mehr übrig ist“, sagte Kessler. Eine Professionalisierung der Priesterausbildung sehe er als ein Zeichen der Zeit, das es zu erproben gelte. DT/mam
Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost einen umfassenden Bericht zu Reformüberlegungen zur Priesterausbildung.