„Lissabon is like Babel“ – Lissabon ist wie Babel, sagt der Lissaboner, der neben mir in der Metro sitzt. „All die vielen Sprachen.“ Mit uns im Abteil sitzen Pilger aus Thailand und Frankreich – und trotzdem versteht man sich. Mein Sitznachbar hebt die braungebrannten Hände über den Kopf und sagt: „Ein Wunder für Jesus!“
Anderthalb Stunden vor Beginn des Eröffnungsgottesdienstes mache ich mich auf den Weg, in einem See von apfelgrünen Rucksäcken, roten T-Shirts und weißen Bucket-Hats, die alle Teil des Pilgerpakets sind. Auch ein Holzrosenkranz und eine Wasserflasche zum Wiederauffüllen waren dabei – von denen habe ich jetzt drei, weil wir schon in Loulé eine bekommen haben. Und natürlich unserer Pilgerausweis, mit dem wir auf die Events des Weltjugendtages kommen und zwei Mahlzeiten am Tag erhalten.
Eine friedliche Art von Eile
Im Supermarkt „Continente“ vor der Schule, wo unsere Gruppe untergebracht ist, bekommen wir belegte Brötchen, Chips und einen dieser Fruchtsirups, die man aus einer Tube drückt. So ausgestattet geht es zur Eröffnungsmesse, die im Parque Eduardo II. in der Lissaboner Innenstadt stattfindet. Der Patriarch von Lissabon, Kardinal Manuel Clemente, zelebriert an einem Altar umgeben von hohen, gläsern anmutenden Türmen. Im ganzen Park sind große Monitore und Leinwände aufgestellt, sodass man die Messe von überall verfolgen kann. Vorher müssen die Teilnehmer durch die Sicherheitskontrolle, was das Vorwärtskommen zäh macht. Sie rückt nur langsam vor, bis schon das Einzugslied aus dem Park klingt. Ein Chor singt feierlich: Ein ganz anderer Stil als die Bandmusik bei der heiligen Messe in Loulé.
Im Park zieht sich die Menschenmasse wie ein Teppich hin: überzieht Grünanlagen, Fußwege, Straßen. Von der anderen Seite des Parks sehe ich gerade noch die Spitzen der glänzenden Türme, wo sich das eigentliche Geschehen abspielt. Während der Messe bleiben alle in Bewegung, aber es herrscht wirklich, wie Kardinal Clemente in seiner Predigt betont, eine friedliche Art von Eile, und man fühlt sich nirgends eingezwängt.
Das Motto des Weltjugendtages umsetzen
Clemente gibt Anstöße, wie die Pilger das Motto des Weltjugendtages umsetzen können: Christus in die Welt tragen, einander Aufmerksamkeit schenken und sich nicht hinter Bildschirmen vor der eigentlichen Realität verstecken. Während der Messe ziehen Wolken auf und es kühlt deutlich ab. Auf dem Weg zurück sind die Menschenmassen nicht mehr so bedrückend. Die meisten Lissaboner, denen ich begegne, lächeln freundlich, wie auch die Pilger einander anlächeln.
Der Tag endet im Dunkeln neben der Turnhalle in unserer Unterkunft. Eine Gruppe aus Österreich betet die Komplet unter der Anleitung zweier Oratorianer, singt das Salve Regina. Der Himmel über der portugiesischen Hauptstadt ist gelblich-grau und ohne Sterne – ganz anders, als das Indigoblau über der Algarve. Diese Woche fühlt sich jetzt schon anders an: Lauter, bewegter, aber auch geistlich tiefer: Ein bisschen mehr Babel, ein bisschen mehr Jerusalem.
Begleiten Sie unsere Autorin Sally-Jo Durney in den nächsten Tagen auf dem Weltjugendtag in Lissabon. Alle Tagebuch-Einträge finden Sie hier.
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