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Die neue Spießbürgerlichkeit wird mit Farbe in die Haut geritzt

„Christliche“ Tattoos lösen kein Problem der Kirche in Deutschland. Eine Nachlese zur Aktion „Tätowieren vor dem Altar“ in der Frankfurter Liebfrauenkirche.
Tattoo von Eleni Daniilidou
Foto: EIBNER/Benjamin_Lau (imago sportfotodienst) | „Christliche“ Tattoos sind letztlich ein Selbstwiderspruch. Im Bild: Tattoo von Eleni Daniilidou.

Der Weltmissionssonntag steht nördlich der Alpen mitunter im Zeichen schier unbändiger Experimentierfreude. Das wäre grundsätzlich sympathisch, wenn sich die Energien zur Feier des Tages auf lohnende Ziele richteten, die sonst im kirchlichen Alltag zu kurz kommen: etwa ein Dankeschön der Gemeinden an Priester und Ordensfrauen aus fernen Ländern, die im Missionsland Deutschland in der Seelsorge aushelfen und ausgezehrte Konvente verstärken. Die Realität wirkt indes eher banal: Oft scheint das Abseitige das Nächstliegende auszustechen: Liturgieausschüsse überraschen Pfarrgemeinden mit Tanzeinlagen, Buntes wird verkauft und Exotisches gekocht.

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Tatoos und Segen

Ein frommer Rummel, der im Handumdrehen wieder vergessen ist und bestenfalls eine ordentliche Kollekte einbringt. Zum gut gemeinten Spuk gehörte in diesem Jahr die Aktion der Katholischen Erwachsenenbildung Frankfurt „Tätowieren vor dem Altar“ in der Frankfurter Liebfrauenkirche am Samstag vor dem Weltmissionssonntag. Nach der Segnung der Tätowierutensilien in dem ehrwürdigen Gotteshaus erhielten 30 Personen ein „christliches“ Tattoo; immerhin 200 Tätowierwillige mussten vertröstet werden.

Was wie ein peinlicher Klamauk wirkt, gilt im kirchlichen Establishment als Erfolg: Nun plant man eine weitere Tätowierrunde. Ob die in diesem Zusammenhang geäußerte Rede von der „jahrhundertealten christlichen Tradition“ des Tätowierens – wo auch immer – tatsächlich nur einen Funken Interesse für die biblische Botschaft auf kirchenferne Zeitgenossen überspringen lässt, sei dahingestellt. Selbst wenn das Ganze eher nach Glossenstoff riecht, lohnt sich angesichts der Aktion doch ein Blick in die Bibel.

Ein Selbstwiderspruch 

Denn nicht von ungefähr verbindet Christen über die konfessionellen Grenzen hinweg eine in der Schrift begründete Scheu vor dem Tattoo. Sie ist weder mit Aberglaube noch dünkelhafter Abgrenzung von bildungsfernen Schichten zu verwechseln. Im Alten Testament findet sich die klare Absage ans Tattookreuz: „Ihr sollt um eines Toten willen an eurem Leibe keine Einschnitte machen noch euch Zeichen einätzen“ (3 Mose 19, 28).

„Christliche“ Tattoos sind letztlich ein Selbstwiderspruch für jeden, der den Leib als Tempel des Heiligen Geistes ansieht und deswegen minimale ästhetische Ansprüche an sich hat – zumal, wenn er eine Kirche betritt.

Anbiederei

Mit der Tätowieraktion im Gotteshaus macht sich die Kirche zum Schauplatz der Anbiederei an einen Modetrend einer Altersgruppe, die sie nur noch in seltenen Fällen erreicht. So richtig en vogue will die Aktion dennoch nicht wirken, denn in den sozialen Netzwerken sind die Grenzen vom Tattoo zur Esoterik fließend. Die neue Spießbürgerlichkeit stört sich auch nicht an Rosenranken und Schmetterlingen auf feisten Fußgelenken und Geweihen oder kokett unter dem Wäschesaum hervorlugenden pausbäckigen Engelchen auf schweißbedeckten Steißbeinen.

Ein Schelm, wer glaubt, „christliche“ Tattoos fielen in der Masse der Scheußlichkeiten wohltuend auf: Schon beim Anblick vernarbter Haut wendet der Betrachter häufig den Blick angewidert ab.

Manchmal fehlen Trendsetter, die zeigen, dass es auch zeitlos geht: Von Soutane und Ordenshabit etwa haben sich viele im geistlichen Stand achselzuckend verabschiedet. Dabei stellt beides ein überzeugendes Kontrastprogramm zum kleinbürgerlichen Lebensstil dar. Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Gedanke an scheinbar fromme Körperbemalung in einer Zeit Resonanz findet, in der auch Christen das Gespür für christliche Symbole abhanden kommt?

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