In aller Geschichte wohnt, lebt, ist Gott zu erkennen.“ Mehr noch: „Jede Tat zeugt von ihm, jeder Augenblick predigt seinen Namen, am meisten aber, dünkt mich, der Zusammenhang der großen Geschichte.“ Es war Leopold von Ranke (1795–1886), der aus christlichem Glauben heraus Geschichte zu erforschen suchte, dabei an sich selbst und seine Historikerzunft die höchsten Anforderungen stellte und tatsächlich zu einem der Gründerväter der modernen Geschichtswissenschaft avancierte.
Zur christlichen Botschaft gehört zentral die Botschaft vom Gott des Lebens und der Geschichte. Der Gott Jesu Christi ist kein ferner Gott, kein – mo-dern gesprochen – „Uhrmacher-Gott“, der zwar einmal, womöglich vor 4,54 Milliarden Jahren, die Erde und vor 13,8 Milliarden Jahren das Universum erschaffen hat, sie aber dann, wie der Uhrmacher die Uhr, losgelöst von sich selbst, nach bestimmten Gesetzen ab- laufen lässt, ohne sich weiterhin um Details zu kümmern, geschweige denn sich konkret einzumischen.
Nein, Christen bekennen sich zum Handeln Gottes in der Geschichte, im Kleinsten, Engsten und Privatesten wie im Großen und Ganzen. Sie bejahen vollumfänglich das, was Jesus von Nazareth den Seinen verkündet hat: „Sind nicht zwei Sperlinge feil für ein paar Cent? Und dennoch fällt nicht einer von ihnen zur Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar alle Haare eures Hauptes gezählt“ (Mt 10,29f.).
Der Schöpfer sucht die Beziehung zum Geschöpf
Thomas von Aquin († 1274), der vor 800 Jahren geboren wurde, sprach in diesem Zusammenhang vom ordo salutis, von der Ordnung des Heils, von einer göttlich verfügten Heilsgeschichte. Er verstand darunter die geschichtliche Verwirklichung eines göttlich geordneten Masterplans. Dieser besteht darin, dass Gott in eine besondere Beziehung zum Geschöpf Mensch treten möchte, also zur Menschheit insgesamt in Zeit und Raum und zu jedem einzelnen Individuum in seiner Besonderheit. Diese besondere Beziehung Gottes zum Menschen wird „Heil“ genannt. Das Heil besteht in der Gemeinschaft mit Gott. Gott selbst kommt auf den Menschen zu und lässt ihn teilhaben an seinem trinitarischen Leben, nimmt ihn auf in die Liebe zwischen Vater und Sohn, die der Heilige Geist ist.
Um die Wucht dieser Botschaft überhaupt erst wahrzunehmen, geht Thomas von Aquin auf jene Beziehung ein, die der Mensch als bloßes Geschöpf zu Gott hat. Als bloßes Geschöpf gehört der Mensch zur Welt, zur Schöpfung, also zu jener Wirklichkeit, die nicht Gott ist. Gott aber hat die Welt aus dem Nichts geschaffen. Sie ist im strengen Sinn des Wortes creatio ex nihilo. Alles, was sie ist und hat, hat sie von Gott, ihrem Schöpfer. Ohne Gott wäre sie nicht.
In der Fülle der Zeit aber sandte Gott seinen Sohn, geboren von der Frau. Seine Aufgabe, seine Sendung war und ist es, „alle, die unter der Gesetzesherrschaft stehen, daraus loszukaufen“. Sie sollen „das Recht von Kindern empfangen“ und kraft seines Geistes zu Gott „Abba“, also „lieber Vater“, sagen dürfen. Thomas von Aquin erkennt: Gott zieht sich nicht von seiner Schöpfung zurück, sondern im Gegenteil: Gott kommt auf den Menschen zu und bietet ihm in Jesus Christus definitiv und ein für alle Mal sein Heil an.
Der Salvator muss, wie Thomas mit Rekurs auf das Konzil von Nizäa argumentiert, selbst „im Heil“, „zum Heil“, ja „das Heil“, also Gott sein und er muss, wie mit dem Konzil von Chalkedon (451) dargelegt wird, zugleich Mensch sein, um das Heil menschlich zu vermitteln. Die Kontinuität des Alten und Neuen Bundes wird deutlich. Dort wird verheißen, was hier erfüllt wird und sich in der Kirche als dem neuen Volk Gottes zeigt und worauf dieses unterwegs ist. In ihr kommt Gottes Heilsplan durch Jesus Christus im Heiligen Geist zur Entscheidung.
Gott ist der Herr, der Schöpfer aller Dinge
Paulus spricht von einer „Ökonomie“, die sich bei der Verwirklichung und Offenbarung des Heilsplans Gottes zeige. Der Terminus wird von den christlichen Denkern rezipiert und reflektiert und in der östlichen Tradition bis heute konserviert. Im Westen spricht man von dispensatio und reflektiert mit seiner Hilfe den Heilsplan in seinen zeitgeschichtlichen wie übergeschichtlich-metaphysischen Dimensionen. Die historische Abfolge der Heilsgeschehnisse geschieht dabei nicht zufällig im Sinne eines Ungefähren, sondern verläuft durchaus göttlich begründet und gegründet. Gott ist nicht nur über allem. Er ist auch in allem mächtig. Ohne ihn ist nichts.
Und genau darin liegt der spezifische Ansatz der thomasischen Schöpfungslehre: Gott bringt allererst die Grundwirklichkeit und Grundgegebenheit der Schöpfung zur Geltung. Hinter allen sachlichen Teilaussagen leuchtet immer wieder auf: Deus creator omnium – Gott ist der Herr, der Schöpfer aller Dinge: „Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist alles; ihm aber ist die Herrlichkeit in die Ewigkeiten. Amen“ (Röm 11, 36).
Der geschichtsmächtige, ewige Gott verfügt Anbeginn und Vollendung der Welt im zeitlichen Verlauf, in einer Welt-Zeit also, die zur Schöpfung gehört, aber durch die Heilsgeschichte auf die ewige Vollendung in Gott unterwegs ist. Die Dynamik und Energie des Anfangs ist die Hinordnung auf das Ziel. Der Anfang entlässt und trägt jene Bewegung, die auf das außerzeitliche Ziel tendiert, selbst aber Zeit ist.
Gerade in kritischer Auseinandersetzung mit der durch das Vierte Laterankonzil von 1215 verurteilten Irrlehre des Joachim von Fiore († 1202) lehnt Thomas eine Chronologie der unterschiedlichen Weltzeitalter ab, die – durchaus in Variation – für die Apokalyptik bestimmend war. Joachim selbst hatte von einem alttestamentlichen Zeitalter des Vaters gesprochen, das längst von dem des Sohnes abgelöst worden sei und, so seine Prophezeiung, um das Jahr 1260 endlich in das Zeitalter des Heiligen Geistes überführt werde.
Thomas wusste um das Kommen des Antichristen am Ende der Zeiten
Thomas indes besteht darauf, dass sich die christliche Hoffnung auf ein Heil richtet, das zugleich schon gewirkt und doch künftig ist. In der Bindung an die Offenbarung spricht er die entscheidenden Termini der Geschichte an: a) den Urbeginn als ausnehmenden Status des Menschen, b) die Geschichte des Gesetzes und der Gnade und c) die Endzeit als Status der Vollendung. Dabei darf diese Bewegung im Geschichtlichen nicht mit einer oberflächlichen Fortschrittsgläubigkeit oder umgekehrt mit einer bloßen Katastrophengeschichte verwechselt werden.
Thomas wusste um das Kommen des Antichristen am Ende der Zeiten. Doch war er weder Utopist noch Pessimist. Er war beinharter Realist. „Nicht irgendeine Spanne Zeit kann genannt werden, weder eine kleine noch eine große, nach welcher das Ende der Welt zu erwarten sei“, sagte er jenen Zeitgenossen, die in zunehmender Zahl und wachsender Panik vom plötzlich einbrechenden Untergang der Welt faselten.
Diese Ansätze erlauben es ihm, die Geschichte theologisch zu erhellen. Es ist die Geschichte des Alten und Neuen Bundes. Es ist die Geschichte der Bewegung des Heiligen Geistes. Gott Anfang und Ende, Ursprung und Vollendung oder, in der Sprache der Bibel formuliert: Gott ist Alpha und Omega. Mit diesem Anfang ist zugleich der Ansatz der Vollendung mitgegeben. So entsprechen sich paradiesische Urzeit und eschatologische Endzeit in je noch größerem Unterschied, während in der zwischenzeitlichen Heilsgeschichte durch Jesus Christus der Sieg über Sünde und Tod bereits entschieden ist.
Christen sollen auf das Gesetz der Gnade achten
Die Kirche als die Gemeinschaft der an Christus Glaubenden hat den Auftrag, sich für diese Entscheidung einzusetzen, diese Botschaft in der Welt zu bezeugen und der Welt weiterzugeben: Der Mensch ist zum Heil berufen, zur Hoffnung, die aus dem Glauben kommt und von der Liebe durchformt ist. Dieses Heil ist nicht von dieser Welt, nichts Geschaffenes, nichts in der Welt Vorfindbares oder gar Menschengemachtes. Es ist Gott selbst. Die geschaffene Welt gilt es in allen Bereichen zu bejahen und sich für sie zu engagieren, sie zu Gott zu führen.
Doch vor einem rein innergeschichtlichen Aktivismus ist ebenso zu warnen wie vor der Versuchung zu einem defätistischen Quietismus. Es gilt, wie Thomas sagt, das „Gesetz der Gnade“ zu beachten, das vor einem geschichtslosen Supranaturalismus schützt, und doch auf ein innerweltlich katastrophisches Ende der Zeit gefasst ist. Der eigentliche Akt der Tapferkeit, so führt er aus, zeige sich nicht im Angriff, sondern letztlich im Standhalten, nicht im Kampf, sondern im Martyrium, im Blutzeugnis für die Wahrheit, für Christus.
Der Verfasser ist emeritierter Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
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