Was muss der nächste Papst können? Dazu hat sich auf dem Blog des Vatikan-Journalisten Sandro Magister nun auch eine veritable Legende geäußert. Von Kardinal Camillo Ruini, 94 Jahre alt, ehemaliger Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz und seinerzeit einer der engsten Mitarbeiter von Johannes Paul II., stammt ein „Gebet“, das vier zentrale Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Leitung der Kirche formuliert.
Eine barmherzige und menschennahe Kirche
Im Mittelpunkt steht für Ruini die Liebe – als höchstes Gesetz christlichen Zeugnisses und tragender Grundpfeiler kirchlichen Handelns. Die Kirche der Zukunft müsse eine „gute und barmherzige“ Kirche sein. Dies sei „wonach die Menschen auch heute am meisten dürsten“. Harte oder kleinliche Verwaltungspraktiken, so Ruini, untergraben das Vertrauen der Gläubigen und sollten überwunden werden.
Mit Nachdruck erinnert Ruini an die Mahnung Benedikts XVI., der warnte, der Glaube sei in vielen Teilen der Welt wie „eine Flamme, die zu verlöschen droht“. Diese Flamme neu zu entfachen, sei eine dringende Aufgabe. Dazu brauche es nicht nur Gebet, sondern auch intellektuelle Redlichkeit und theologische Klarheit, um „auf die intellektuellen Herausforderungen der heutigen Zeit eine christliche Antwort“ zu geben. Die Kirche solle den „Mut zur Wahrheit, Gewissheit und Sicherheit der Lehre“ aufbringen: „Seit zu vielen Jahren erleben wir, dass wir alle, Hirten und Gläubige, schwer bestraft werden, wenn diese schwächer werden.“
Der Führungsstil in der Kirche
Das Pontifikat von Benedikt XVI. sei „durch seine mangelnde Führungsfähigkeit geschwächt“ worden. Diese Sorge gelte für alle Zeiten, auch für die nahe Zukunft. Auch in der Kirchenleitung sei Klarheit und Struktur gefragt – jedoch stets in Übereinstimmung mit dem christlichen Liebesgebot. Der Führungsstil in der Kirche und die Anwendung des Rechts müssen so weit wie möglich mit diesem Gesetz im Einklang stehen, „was für jeden eine Herausforderung darstellt“.
In den letzten Jahren „haben wir einige Bedrohungen für die Einheit und Gemeinschaft der Kirche erlebt“. Um diese zu überwinden, brauche es das, was Ruini „katholische Form“ nennt: Neben Nächstenliebe sei auch ein erneuertes Bewusstsein für die verbindenden Strukturen der Kirche notwendig. Wie jeder soziale Körper habe auch die Kirche ihre Regeln, die „niemand ungestraft missachten“ könne.
„Im Alter von 94 Jahren sagt Schweigen mehr als Worte“, schreibt der längst ins zweite Glied zurückgekehrte Ruini am Ende seines Textes. Dennoch hoffe er, dass seine Zeilen „eine kleine Frucht des Guten“ seien, das er für die Kirche wolle.
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