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Geht’s auch mit ein bisschen mehr Anstand?

"Fiducia supplicans" sorgt für emotionale Reaktionen. Doch auch lehramtlichen Texten sollte mit einer Hermeneutik des Wohlwollens begegnet werden.
Papst Franziskus bei Generalaudienz
Foto: IMAGO/IPA/ABACA (www.imago-images.de) | In Bezug auf „Fiducia supplicans“ reagierten manche Katholiken ungehalten und unterstellten dem Papst Boshaftigkeit und Blasphemie, bevor der Text offenbar überhaupt gründlich studiert worden ist.

Das römische Dokument „Fiducia supplicans“ hat die Gemüter ordentlich hochkochen lassen. Auch ein lehramtlicher Text kann natürlich Fragen aufwerfen und darf kritisch betrachtet werden. Problematisch wird es allerdings, wenn Emotionen öffentlich zelebriert werden und ein anklagender oder wie auch immer negativ aufgeladener Tonfall gegenüber einem Dokument des kirchlichen Lehramtes als angemessen betrachtet wird.

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Lehrdokumente haben nie immer nur Zustimmung erfahren. Konfliktfrei wurden dessen Aussagen auch in der Vergangenheit nicht aufgenommen. Aber damals haben Theologen noch ruhig und mit Anstand reagiert sowie die Texte ausgiebig studiert. 

Kritische Anfragen, aber bitte mit Anstand

Es scheint, als sei uns diese Art des Umgangs verlorengegangen zu sein. In Bezug auf „Fiducia supplicans“ reagierten manche Katholiken ungehalten und unterstellten dem Papst Boshaftigkeit und Blasphemie, bevor der Text offenbar überhaupt gründlich studiert worden ist. Aber ist nicht auch bei „Fiducia supplicans“ eine Hermeneutik des Wohlwollens angebracht? Das Amtscharisma erfordert einen Vertrauensvorschuss, der davon ausgeht, dass der Papst als Zeuge des Evangeliums und aus ehrenvollen Motiven handelt — und der Heilige Geist die katholische Kirche nicht verlassen hat. Nach sorgfältigem Studium eines Dokuments dürfen sicher kritische Anfragen gestellt werden, aber bitte mit Anstand und nach allen Regeln der Kunst oder besser: der Loyalität, wie sie in „Donum veritatits“ dargelegt sind.

Dort heißt es, „man würde in Gegensatz zur Wahrheit geraten, wollte man aus einigen bestimmten Fällen schließen, das Lehramt der Kirche … würde sich nicht des göttlichen Beistands erfreuen, der der unverkürzten Ausübung seiner Sendung verheißen ist“. Auf keinen Fall dürfe „die Grundhaltung einer Bereitschaft leiden, die Lehre des Lehramtes loyal anzunehmen, denn dazu ist jeder Gläubige aufgrund seines Glaubensgehorsams verpflichtet. Daher wird sich der Theologe bemühen, diese Lehre nach ihrem Inhalt, ihren Gründen und Motiven zu verstehen, und er wird darauf seine tiefere und geduldige Reflexion richten in der Bereitschaft, seine eigenen Ansichten zu überdenken und die Einwände zu prüfen, die ihm etwa von seinen Kollegen vorgetragen werden“.

Es sei zudem nicht egal, welche Bedeutung man Spannungen beimesse „und in welchem Geist man sie aufgreift: Entstehen die Spannungen nicht aus einer Haltung der Feindschaft und des Widerspruchs, können sie als dynamisches Element und als Anregung gelten, die Lehramt und Theologen zur Wahrnehmung ihrer jeweiligen Aufgaben in gegenseitigem Dialog bestimmen“. Und wenn die Einheit im Glauben auf dem Spiel stehe, gelte der Grundsatz: „Wo Gegensätze bleiben, die diese Gemeinschaft nicht in Frage stellen, wird man die „unitas caritatis“ (Einheit der Liebe) wahren müssen.“ Das gelte auch dann, „wenn die Glaubenslehre nicht gefährdet ist“. 

Auch lehramtliche Texte sind nicht unfehlbar

Lapidar formuliert: Hätte sich jemand zu Zeiten Pius‘ XII. hochnäsig über Texte des authentischen Lehramts geäußert, hätte er sich selbst zu einer „persona non grata“ disqualifiziert. Auch lehramtliche Texte sind nicht unfehlbar. Aber an uns liegt es, kirchlich angemessen nicht nur mit solchen Texten umzugehen, sondern auch mit dem Amt des Stellvertreters Christ auf Erden. Das gilt auch für Papst Franziskus, auch wenn er uns Gläubige immer wieder herausfordert. Aber häretisch hat er sich noch nie geäußert, auch nicht in „Fiducia supplicans“.

Die Sache mit den Segnungen ist sogar zutiefst biblisch: Gott hat trotz jeglichem Beziehungschaos und einem Haufen irregulärer Beziehungen, die Genesis 12 bis 50 nur so durchziehen, den Segen über den Menschen immer wieder ausgeschüttet. Gott hat die Sünde nie gutheißen. Er hat aber gezeigt, wie wertvoll der Mensch für ihn ist. Aus Polygamie, Leihmüttern und Lügen arbeitete er am Aufbau des Volkes Israel und ging trotz menschlichen Durcheinanders mit dem Sünder einen Weg des Wachstums, der heilsgeschichtlich in Matthäus 19 endete als Jesus auf den Ursprung verwies und sagte: „Am Anfang war das nicht so.“ In diesem Sinne darf auch „Fiducia supplicans“ gelesen werden. Der Segen hat die Kraft, Menschen zu verwandeln.

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Dorothea Schmidt Katholikinnen und Katholiken Katholische Kirche Papst Franziskus Pius XII. Päpste Segnungen

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