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Dignitas infinita: Ein mutiger Augenöffner

Wie „Dignitas infinita“ das Verständnis der Menschenwürde erweitert und den Blick für deren schwere Verletzungen schärft.
Neues Vatikan-Dokument veröffentlicht
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | Das Vatikan-Dokument "Dignitas infinita" ist ein echter Augenöffner, der modernen Verkürzungen des Menschenwürdeverständnisses ebenso entschlossen entgegentritt.

Müsste nicht – 75 Jahre nach der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen – längst auch alles zum Thema Menschenwürde gesagt sein? Nur eben vielleicht noch nicht von jedem? Wer sich in die heute veröffentlichte Erklärung des vatikanischen Dikasteriums für die Glaubenslehre vertieft, stellt schnell fest: Das 23 DIN A4-Seiten starke Dokument ruft keineswegs nur Altbekanntes neu in Erinnerung. Es erweitert das Bekannte um bisher wenig beachtete oder auch noch völlig unbeachtete Aspekte und bereichert insofern den Diskurs um die Menschenwürde und die aus ihr abgeleiteten Rechte und Pflichten.

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So betrachtet „Dignitas infinita“ die unveräußerliche Menschenwürde etwa nicht – wie sonst üblich – allein unter dem Gesichtspunkt der Gottesebenbildlichkeit des Geschöpfs Mensch, sondern auch von dessen „Endziel“ her: „Folglich glaubt und bekräftigt die Kirche, dass alle Menschen, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen und in dem menschgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Sohn wiedergeboren sind, dazu berufen sind, unter dem Wirken des Heiligen Geistes zu wachsen, um die Herrlichkeit des Vaters in demselben Bild widerzuspiegeln und am ewigen Leben teilzuhaben (vgl. Joh 10,15-16, 17,22-24; 2 Kor 3,18; Eph 1,3-14). In der Tat lässt „die Offenbarung [...] die Würde der menschlichen Person in ihrem ganzen Umfang ans Licht treten“ (Nr. 21).

Der Mensch muss seiner Würde gerecht werden

Unterschieden wird auch zwischen der ontologischen Würde, die unverlierbar ist, und solchen Aspekten, die von der Person selbst oder anderen geschmälert oder verdunkelt werden können, wie der sittlichen, sozialen und existenziellen Würde (Nr. 7). Herausgehoben wird auch der Stellenwert der Freiheit des Menschen und seiner mit ihr verbundenen Verantwortung: „Obwohl jeder Mensch von Anfang an eine unveräußerliche und ihm innewohnende Würde als unwiderrufliches Geschenk besitzt, hängt es von seiner freien und verantwortlichen Entscheidung ab, ob er diese Würde voll zum Ausdruck bringt und manifestiert oder sie schmälert. … In der Tat ist jeder Mensch dazu berufen, die ontologische Tragweite seiner Würde auf existenzieller und moralischer Ebene in dem Maße zu manifestieren, in dem er sich in seiner eigenen Freiheit als Antwort auf die Liebe Gottes auf das wahre Gut ausrichtet. Da der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, verliert er einerseits nie seine Würde und hört nie auf, dazu berufen zu sein, das Gute frei anzunehmen; andererseits kann sich seine Würde in dem Maße, wie er auf das Gute antwortet, frei, dynamisch und immer mehr manifestieren, wachsen und reifen. Das bedeutet, dass der Mensch auch danach streben muss, seiner Würde gerecht zu werden. So ist verständlich, in welchem Sinne die Sünde die Menschenwürde verwunden und verdunkeln kann, nämlich als ihr gegensätzliche Handlung, aber gleichzeitig kann die Sünde niemals die Tatsache auslöschen, dass der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen wurde“ (Nr. 22).

Zur Würde des Menschen gehöre daher auch „die der menschlichen Natur selbst innewohnende Fähigkeit, Verpflichtungen gegenüber anderen zu übernehmen“ (Nr. 27). Angesichts des „Beziehungscharakters der Person“ trage die Menschenwürde dazu bei, „die reduktionistische Perspektive einer selbstbezogenen und individualistischen Freiheit zu überwinden, die den Anspruch erhebt, ihre eigenen Werte unabhängig von den objektiven Normen des Guten und der Beziehung zu anderen Lebewesen zu schaffen“ (Nr. 26).

Erweiterung des Katalogs der Verstöße gegen die Menschenwürde

Ohne die klassischen Verletzungen der Menschenwürde (z.B. Abtreibung, Euthanasie, Krieg) zu schmälern oder gar zu relativieren, nimmt das Dokument auch neuere unter die Lupe und beleuchtet, namentlich die Leihmutterschaft, die Gender-Ideologie und Geschlechtsumwandlungen oder auch das Cybermobbing. Auch Armut und Migration, aber auch Missbrauch und Gewalt gegen Frauen werden hier ausführlich behandelt. Nicht vollständig, was auch eingestanden wird, aber erkennbar umfassend abgelegt – behandelt das Dokument also die schlimmsten Verstöße gegen die Menschenwürde. Ein echter Augenöffner, der modernen Verkürzungen des Menschenwürdeverständnisses ebenso entschlossen entgegentritt, wie der Fokussierung auf partikulare Interessen. Dass es sich damit der Gefahr aussetzt, Kritik von allen Seiten zu ernten, scheinen seine Verfasser dabei in Kauf zu nehmen.

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Stefan Rehder Menschenwürde Würde

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