Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Erwin Reichart im Interview

Weder Erstarrung noch billige Anpassung

Solide Kinder- und Jugendarbeit, gottzentrierte Liturgie: Der Wallfahrtsdirektor von Maria Vesperbild, Erwin Reichart, spricht über sein Erfolgsrezept für das kirchliche Leben der Zukunft in Deutschland. Ein Beitrag zum Interviewprojekt „Schiffsbauer – Vision für die Kirche 2040“
Monsignore Erwin Reichart, Wallfahrtsdirektor von Maria Vesperbild
Foto: Heidi Sanz | "Es geht darum, den unverfälschten Glauben mit allen möglichen Mitteln und Methoden, auch über die neuen Medien, zu verkünden", betont Monsignore Reichart.

Monsignore Reichart, welches Publikum von Katholiken zieht der Wallfahrtsort Maria Vesperbild an?

Bevor ich mein Amt hier antrat, hatte ich den Eindruck, dass diese Wallfahrt vor allem die Akademiker innerhalb des Katholizismus anzieht, sozusagen die „obere Schicht“. Diese Ansicht musste ich total revidieren. Reiche und Arme, Gelehrte und Einfache, Junge und Alte; alle kommen nach Maria Vesperbild; vor allem natürlich die Kleinen, Mühseligen und Beladenen, ganz wie es den Worten Jesu entspricht. Es kommen aber auch viele, die sich in ihren Heimatpfarreien nicht mehr beheimatet fühlen. Das wird in Zukunft wohl vermehrt der Fall sein.

Wie wollen Sie auch weiterhin Kinder, Jugendliche, Familien, Junge und Alte ansprechen, gerade auch in der aktuellen kirchlichen Situation?

Schiffsbauer
Foto: adobe.stock | „Schiffsbauer“ ist das Interviewprojekt einer neuen Generation von „Tagespost“-Autoren. Junge Katholiken sprechen mit Akteuren aus Pastoral und Neuevangelisierung über Wege und Perspektiven für das geistliche Leben.

Ein fertiges Seelsorgekonzept aus der Schublade haben wir nicht. Ich bin ein Seelsorger, der immer die Bälle aufnimmt, die einem zugespielt werden. Da muss man auch den lieben Gott arbeiten lassen. Ich denke zum Beispiel an die kürzlich begonnene Kinderkatechese bei uns. Das war nicht geplant, hat sich aber fast aufgedrängt. Wir wollen zukünftig mehr für die religiöse Unterweisung der Kinder und Jugendlichen anbieten, daher auch die Gründung der „Katholischen Pfadfinderschaft Europas“ (KPE) bei uns am Wallfahrtsort. Maria Vesperbild muss zukünftig noch mehr ergänzen, was in den heutigen Pfarreien nicht geleistet wird, oft auch nicht mehr geleistet werden kann: solide Kinder- und Jugendarbeit. Wir müssen hellhörig sein und bleiben, welche Ideen uns Gott zuspielt. Was können wir da aufgreifen? Es geht immer darum: Wie können wir Menschen für das Reich Gottes gewinnen?

"Maria Vesperbild muss zukünftig noch mehr
ergänzen, was in den heutigen Pfarreien nicht
geleistet wird, oft auch nicht mehr geleistet
werden kann: solide Kinder- und Jugendarbeit"

Wie ist die Wallfahrt finanziell für die Zukunft aufgestellt, nicht zuletzt mit der Besoldung ihrer Geistlichen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass ein frommer Priester immer gläubige Menschen haben wird, die ihn unterstützen. Um die Priester brauchen wir uns keine Sorgen machen. Wir Priester werden als Diözesanpriester bislang von der Kirchensteuer bezahlt. Unsere Geldsorgen betreffen somit vor allem das weltliche Personal. Das ist jeden Monat eine Herausforderung. Aber auch gegen meinen schwachen Glauben kommen jetzt nach Corona und gegen Ende der derzeitigen Kirchenrenovierung die Leute wieder ziemlich stark. Das schlägt sich auch in den Spenden nieder: Spenden sind immer Zeichen von Leben, und wir haben ein unglaubliches Spendenaufkommen, deutlich mehr als erwartet. Auch das zeigt, welche Lebenskraft unsere Wallfahrt jetzt und auch in Zukunft hat.

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Der frühere Wallfahrtsdirektor Wilhelm Imkamp schrieb einmal: „Die Geschichte der Wallfahrt Maria Vesperbild in den letzten Jahrzehnten ist eine religiöse Erfolgsgeschichte.“ Würden Sie das für die Zukunft auch unterschreiben?

Auf jeden Fall! Maria Vesperbild ist nach wie vor eine Erfolgsgeschichte. Aus einer kleinen regionalen Wallfahrt ist ein Wallfahrtsort geworden, der im ganzen deutschen Sprachraum bekannt ist. Die Spenden aus ganz Deutschland und Österreich sind hier wiederum ein Indikator. Was uns auch groß macht – auch im Hinblick auf die gesellschaftlichen Umbrüche – und sehr erstaunlich ist, ist die Tatsache, dass wir ganz viele Menschen mit Migrationshintergrund anziehen. Wenn man an der Grotte schaut, stammt nahezu die Hälfte der Pilger aus einem anderen Land. Man sieht es auch an den vielen fremdsprachigen Votivtafeln. Hier schenken uns diese guten Menschen Zukunft.

Wie sehen Sie die oft gehörte pastoraltheologische Aussage, dass sich kirchliches Leben in Deutschland mehr und mehr auf geistliche Zentren konzentrieren muss?

Das hat sich schon in den 90ern abgezeichnet. Es ist wirklich so, dass eine Reihe von Pfarrgemeinden sonntags keine regelmäßigen Gottesdienste mehr haben. Da gibt es dann nur eines: Rein ins Auto, und nach Maria Vesperbild fahren. Hier gibt es noch viele Gläubige, sodass man als einzelner nicht ganz verloren im großen Kirchenraum steht. Hier kommen viele Gleichgesinnte zusammen und der katholische Glaube wird unverkürzt und in seiner Fülle verkündet. Es gibt eine ganze Menge Leute, die jeden Sonntag kommen.

Vielleicht liegt es auch an der Liturgie. Welche Rolle spielt sie in Maria Vesperbild?

Eine ganz große Rolle! Wenn eine Liturgie den Eindruck macht, es ist mehr Menschendienst als Gottesdienst, dann wird sie tot und leer. Es kommt darauf an, dass man in einer Kirche spürt: Es geht um Gott! Dass der Gottesdienst Heiligkeit und Würde ausstrahlt, dass er nicht eine Schulstunde ist mit mehreren Predigten, sondern wirklich Gottesdienst. Und das zieht die Leute wirklich an, weil sie das suchen. Unterhaltung finden sie woanders, im Fernsehen und im Kino. Aber das ist das Einmalige, was die Kirche bietet: Gottesdienst, Gott die Ehre geben. Das muss in der Liturgie zum Ausdruck kommen. Wir hören hier so oft von Gläubigen, dass eben das heutzutage nicht mehr selbstverständlich ist. Viele leiden unter den gottesdienstlichen Spektakeln. Das hört man sogar im Beichtstuhl. Viele sind auch unglücklich, dass bestimmte Formen der Ehrfurcht zurückgedrängt werden, zum Beispiel die kniende Mundkommunion.

"Es kommt darauf an, dass man
in einer Kirche spürt: Es geht um Gott!"

Wie würden Sie Ihren Wallfahrtsort innerkirchlich verorten?

Meinem Vorgänger Wilhelm Imkamp war es sehr wichtig, Schubladen zu „lüften“ und Etiketten zu brechen. Es geht darum, den unverfälschten Glauben mit allen möglichen Mitteln und Methoden, auch über die neuen Medien, zu verkünden. Konservativ und traditionell bedeutet eben nicht altbacken, eng und altmodisch, sondern mit beiden Füßen auf dem Boden zu stehen, modern und attraktiv zu sein. Weder Erstarrung noch billige Anpassung: Das können wir, wenn wir fest verwurzelt in Schrift und Tradition als den beiden Glaubensquellen der Kirche sind.

Vielleicht sind viele Gläubige auch das ständige Diskutieren über die „heißen Eisen“ in der Kirche leid. Wenn das Leitungsgremium des Synodalen Weges als Pilger nach Maria Vesperbild kommen würde, was würden Sie ihm für die Zukunft der Kirche in das Gewissen predigen?

Ich würde ihnen raten, sich einmal mehr mit dem zu beschäftigen, was den Gläubigen wirklich am Herzen liegt. Sie sollten mal das treue Volk Gottes um seine Meinung bitten, das sich nicht lauthals mit Reformforderungen zu Wort meldet, sondern das die Kirche wirklich trägt: Die Menschen, die treu in die heilige Messe gehen, beichten, den Rosenkranz beten, die Fastengebote halten. Diese Leute sind für die Zukunft der Kirche entscheidend, die müssten eine Stimme im sogenannten Synodalen Weg haben! 

Welche Vision von der Katholischer Kirche in Deutschland haben Sie für 2040? 

Es ist vor allem ein mühsames Aufbauen von dem, was in den letzten 50 Jahren zerstört wurde. Der heilige Franziskus hatte diese Vision: „Baue meine Kirche wieder auf!“ Es wird mühsam sein. Wir brauchen vor allem wieder viele katholische Religionslehrer. Menschen, die das studieren wollen, die sich prägen lassen. Wir brauchen katholische Jugendverbände, die Kinder und Jugendliche anziehen und zu Gott führen, und eifrige Helfer, die die Gruppen leiten. Jetzt bricht zusammen, was früher die Volkskirche war. 2040 werden wir mitten in diesem Aufbauprozess, in dieser mühsamen Arbeit, stehen. Da werden dann aber auch alle weg sein, die uns jetzt noch erzählen wollen, wie die Kirche zu sein hat, sie aber nur kaputt machen. Vielleicht dann auch ohne Kirchensteuer, mit sehr wenig Geld und vielen Opfern, aber mit guten Leuten, mit einem „Glutkern“ an Gläubigen. Maria Vesperbild steht dann vielleicht auch als Leuchtturm mittendrin, weil hier das kirchliche Leben ununterbrochen immer weitergegangen ist; auch als Vorbild für unsere Pfarreien. So war es vor über 1000 Jahren auch mit den Klöstern: Sie waren Zentren, von denen aus die Pfarreien gegründet wurden.

Benedikt Merz
Foto: Heidi Sanz | "Tagespost"-Autor und Mitwirkender an der Schiffsbauer Serie: Benedikt Merz.

Damit haben Sie schon fast meine letzte Frage vorweggenommen. Bitte vervollständigen Sie den Satz: „Maria Vesperbild ist im Jahre 2040…

…weiterhin ein Ort, von dem der Glaube in die Pfarreien, in die Diözese hinausstrahlt, und viele Leute animieren wird, daß sie in ihrer Heimat den überlieferten Glauben leben.


Seit 2018 ist Monsignore Erwin Reichart Wallfahrtsdirektor von Maria Vesperbild. Er studierte katholische Theologie unter anderem in Augsburg und wurde dort 1983 zum Priester geweiht. Bis zu seiner Ernennung zum Wallfahrtsdirektor war er u.a. als Dekan in der Pfarrseelsorge tätig.

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