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Medialer Schongang für Marx und Wetter?

Während Benedikt XVI. einen regelrechten medialen Tsunami über sich ergehen lassen muss, scheinen andere kirchliche Würdenträger auf der Sonnenseite zu stehen.
Papst Benedikt XVI. - Deutschlandbesuch 2011
Foto: Wolfgang Radtke (kna/Pool) | Papst Benedikt XVI. mit Kardinal Friedrich Wetter (l) und dem Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx (r) bei seinem Besuch 2011 in Deutschland.

„Papst Benedikt ist der große Lügner auf dem Papstthron!“ - „Papst Benedikt muss sich erklären und sich ehrlich und aufrichtig entschuldigen!“ – „Joseph Ratzinger sollte seine weiße Soutane und seinen Papstnamen ablegen und für immer schweigen!“ Diese und viele andere Kommentare - bezeichnenderweise vor allem von innerkirchlicher Seite getätigt – bestimmen seit der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens der Münchener Anwaltskanzlei WSW beinahe ausschließlich die Berichterstattung über die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals im Erzbistum München und Freising.

Oster und Seewald untermauern Benedikts Glaubwürdigkeit

Zumindest teilweise beginnt der mediale Einheitswind allmählich auch andere Richtungen einzuschlagen: Denn dass beispielsweise Benedikt XVI. beziehungsweise seinen Beratern bezüglich der Beantwortung der Frage nach der Teilnahme des damaligen Erzbischofs Joseph Ratzinger an der mittlerweile berühmt-berüchtigten Sitzung im Jahr 1980, als es um die Aufnahme des Missbrauchstäters H. aus der Diözese Essen ging (und der Erzbischof lediglich dem Ansinnen zustimmte, dass sich H. in München einer Therapie unterziehen könne, keineswegs jedoch in der Seelsorge eingesetzt werden solle), in der Tat ausschließlich „redaktionelle Fehler“ und weder Vertuschung noch Lüge im großen Stil vorgeworfen werden können, konnte sowohl von Ratzinger-Biograph Peter Seewald in einem Beitrag für das Nachrichtenmagazin „Focus“ als auch von Benedikts „Heimatbischof“ Stefan Oster in einer Stellungnahme auf der Homepage des Bistums Passau eindrücklich nachgewiesen werden. Selbst die zwischenzeitlich „nicht mehr Papst sein wollende“ Bild-Zeitung schließt sich mittlerweile vorsichtig dieser Sicht der Dinge an.

Wetter entschuldigt sich – den Medien genügt‘s

Dies ficht jedoch zahlreiche deutsche Bischöfe, Politiker und einheimische Medienvertreter nicht an – im Gegenteil: Es entsteht beinahe der Eindruck, dass im Gegensatz zu Joseph Ratzinger beziehungsweise Papst Benedikt XVI. andere im Münchener Missbrauchsgutachten belastete ehemalige und amtierende Münchener Erzbischöfe über weite Strecken so etwas wie mediale Narrenfreiheit genießen.

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Beispiel Friedrich Kardinal Wetter: Dem von 1982 bis 2008 amtierenden Nachfolger von Joseph Kardinal Ratzinger als Erzbischof von München und Freising werden von den Anwälten von WSW 21 Fälle von Fehlverhalten im Falle von kirchlichem Missbrauch attestiert – in einer persönlichen Stellungnahme räumte er lediglich (zutreffend) ein, dass unter seiner Ägide der Priester und Missbrauchstäter H. erst so richtig sein Unwesen im Erzbistum treiben konnte. Die anderen Vorwürfe beziehungsweise 20 übrigen Fälle angeblichen Fehlverhaltens wies Wetter allerdings zurück. Ein Nachfassen der Medien? Fehlanzeige.

Viele Opfer sind entsetzt über Kardinal Marx

Ähnliches im Falle des amtierenden Münchener Erzbischofs, Reinhard Kardinal Marx: Der seit 2008 amtierende kirchliche Würdenträger soll sich laut Gutachten erst 2018 – also zehn Jahre nach Amtsantritt – überhaupt für den gesamten Missbrauchskomplex in seinem Erzbistum interessiert haben. Auch zwei Fälle persönlichem Fehlverhaltens unterstellen die Gutachter dem Erzbischof und Kardinal. Die Resonanz in Medien und Politik: verhalten. 

Lediglich Opfer von innerkirchlichem sexuellen Missbrauchs beziehen Stellung gegenüber Marx - dafür aber umso lauter und deutlicher: „Ich bin wirklich mit meinem Latein am Ende“, sagte beispielsweise Matthias Katsch, Sprecher der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch, angesichts der Pressekonferenz des Erzbistums München und Freising, in der auf die Ergebnisse des Münchener Gutachtens vonseiten der Bistumsleitung inklusive Marx reagiert worden ist.

Richard Kick, Mitglied im Unabhängigen Betroffenenbeirat in der Erzdiözese München und Freising, ging gar mit einem offenen Brief an den Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx mit diesem hart ins Gericht und forderte diesen dazu auf, seine bischöfliche Hirtenaufgabe wahrzunehmen: „Fassen Sie Ihren Mut, öffnen Sie ihr Herz und gehen Sie gehen Sie mit weit geöffneten Armen auf uns Betroffene zu.“ Und er fügte hinzu: „Hören Sie auf, die Verantwortung für die Schuld an den abscheulichen Verbrechen an dieser großen Zahl von Kindern, Jugendlichen und Erwachsener Schutzbefohlener anderen anzulasten.“

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Stefan Ahrens Missbrauchsbericht Erzbistum München und Freising

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