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Missbrauchsgutachten in Mainz vorgestellt

Versagen aller Bistumsleitungen. Gutachten legt Fehlverhalten von Bistumsleitungen und Personalverantwortlichen offen. Auch Kardinal Lehmann wurde seinem eigenen Anspruch nicht gerecht.
Bistum Mainz stellte heute sein Missbrauchsgutachten vor
Foto: Ralph Peters via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Das Bistum Mainz stellte heute sein Missbrauchsgutachten vor, Im Bild: Dom zu Mainz.

Der Regensburger Rechtsanwalt Ulrich Weber und sein Co- Autor Ulrich Baumeister haben am Vormittag in Mainz ihre vom Bistum in Auftrag gegebene Studie vorgestellt. Die zentralen Erkenntnisse der Studie sind, dass in den vergangenen Jahrzehnten alle Mainzer Bistumsleitungen und Personalverantwortliche beim Umgang mit sexuellem Missbrauch immer wieder versagt hätte. Das Bistum habe so ein Umfeld geschaffen, in dem sexueller Missbrauch Raum habe finden können und nicht verhindert worden sei. „Kardinal Lehmann ist seinem selbst formulierten Anspruch zum Umgang mit dem Missbrauch keinesfalls gerecht geworden“, lautet einer der Vorwürfe des heute veröffentlichten Missbrauchsgutachtens für das Bistum Mainz.

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Missbrauchsgeschichte in der Diözese

„Setzen wir dem Schrecken ein Ende“, mit diesen Worten begann Weber seine Ausführungen. "Erfahren. Verstehen. Vorsorgen." Das ist der etwas sperrige Titel der Studie, die über die Feststellungen der MHG-Studie vom September 2018 hinausgeht. Untersuchungsgegenstand waren neben Taten sexueller Gewalt auch sexualisierte Grenzüberschreitungen. Dabei wurde nicht nur das Verhalten von Geistlichen überprüft. Ein weiterer Fokus lag auf Abhängigkeitsverhältnissen im seelsorglichen Kontext. Auf rund 1000 Seiten haben die Gutachter die Missbrauchsgeschichte in der Diözese seit 1945 und den Umgang mit den Taten, den Tätern und den Opfern in der Vergangenheit und jüngeren Gegenwart zusammengefasst. Die Studie richtet den Blick auch auf die Frage, wie es mit der Bewältigung des Tatkomplexes weitergehen soll. 

189 Täter und 401 Betroffene hat die Studie ermittelt. 96 Prozent der Beschuldigten waren Männer, 65 Prozent gehörten dem Klerus an. Bei den Opfern waren 59 Prozent männlich und 41 Prozent weiblich. Lediglich 27 Strafverfahren wurden durchgeführt, in acht Fällen kam es zu einer Verurteilung zu einer Haftstrafe. Dabei sei lediglich ein Diözesanpriester unter den Verurteilten gewesen. In weniger als einem Drittel aller Fälle wurde ein kirchenstrafrechtliches Verfahren durchgeführt.      
Die Gutachter haben 25.000 Dokumentenseiten aus dem Aktenbestand des Bistums und mit nahezu 250 Personen gesprochen. Die Mitwirkung des Bistums beim Zugang zu den Unterlagen sei sehr hoch gewesen, lobte Weber. “Es gab keine Beschränkungen seitens der Bistumsleitung.“

Verheerendes Bild

Im Umgang mit den Missbrauchsstraftaten zeigt sich im Bistum Mainz ein ähnlich verheerendes Bild wie die veröffentlichten Gutachten aus anderen Diözesen es bereits gezeigt haben. Immer wieder hätten die Bistumsleitungen versagt. Es habe oftmals an einer adäquaten Reaktion auf Meldungen, die an die Bistumsleitung herangetragen wurden, gefehlt. Die Versetzung in eine andere Pfarrei oder ein anderes Bistum sei vielfach die Reaktion auf die Kenntnis von Straftaten und Übergriffen gewesen. Bei solchen Wechselaktionen habe es oftmals keine Informationen über die Ursache der Versetzung gegeben. Erforderliche kirchenrechtliche Sanktionen seien auch bei schweren Missbrauchsfällen gering ausgefallen. 

Das Gutachten geht darauf ein, wo Taten stattgefunden haben und in welcher jeweiligen Beziehung Täter und Opfer standen. Es lässt aber auch den Blick auf das Umfeld nicht außer Acht. Die Taten sind in unterschiedlichen Kontexten geschehen. Beschuldigte waren nach den Feststellungen der Studie nur zu einem geringen Teil pädophil. Viel öfter waren es narzisstische und unreife Persönlichkeiten. Darüber hinaus fanden viele Taten in Strukturen des Machtmissbrauchs statt. 

Schweigeanordnungen 

Weber hat bei seinen Untersuchungen auch systematische Verschleierungen durch eine ermittelt. Zu oft habe ein barmherziger Umgang mit Tätern aus dem Klerus die Verfahren nach einer Meldung geprägt. Die Opfers seien zumeist nur als Zeugen oder als Adressaten von Schweigeanordnungen gefragt gewesen. Aber auch Melder und Täter seien mit Schweigegeboten belegt worden. Vielleicht sei dies auch einer der Gründe dafür, dass viele Taten erst spät gemeldet würden. Laut Weber gebe es eine Tendenz, dass je schwerer die Missbrauchsstraftat gewesen sei, sie Anzeige umso später erfolgt sei.

Zwischen Tat und Meldung hätten zuweilen sogar 30 Jahre gelegen. Ein Fehlverhalten macht Weber allerdings nicht nur bei den Bistumsleitungen aus, sondern auch in den Pfarrgemeinden. Klare Indizien und Kenntnisse durch Mitarbeiter vor Ort habe man in den Pfarrgemeinden negiert, bagatellisiert oder gar verschwiegen. Melder und Betroffene seien vor Ort immer wieder unter Druck gesetzt, diskreditiert und isoliert worden.

Blick nach vorn

Das Gutachten richtet den Blick aber auch nach vorne und fordert Hilfe bei der spirituellen Aufarbeitung, eine Weiterentwicklung der Hilfsangebote für die Opfer und Angebote konkreter, begleitender Lebenshilfe. Wichtig sei ein deutliches Signal der Übernahme von Verantwortung. Auch die Pfarrgemeinden müssten beim Aufbau einer Erinnerungskultur, die dem Verschweigen ein Ende bereite, begleitet werden. 

Bischof Peter Kohlgraf wird sich nach einer eingehenden Beschäftigung mit dem Gutachten am kommenden Mittwoch ausführlich zu den Ergebnissen äußern. DT/hwu

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