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Monsignore Austen: „Viele haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben“

Neuevangelisierung und Reformen schließen einander nicht aus, so der Konsultor des vatikanischen Dikasteriums für Evangelisierung im Gespräch.
Monsignore Georg Austen  überreicht Papst Franziskus das neue, von ihm herausgegebene Buch „Entdecke, wer dich stärkt“.
Foto: kA

Monsignore Georg Austen, geboren 1958, ist seit April 2023 Konsultor im vatikanischen Dikasterium für Evangelisierung. Seit 2008 ist er Generalsekretär des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken e.V. in Paderborn sowie Geschäftsführer des Diaspora-Kommissariats der deutschen Bischöfe/Diasporahilfe der Priester. Seit 1986 ist er Priester des Erzbistums Paderborn. Monsignore Austen ist gewähltes Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und Berater in der Unterkommission für Missionsfragen der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz. 2016 ernannte ihn Papst Franziskus zum Missionar der Barmherzigkeit. Oliver Gierens hat mit ihm über seine Arbeit sowie die Chancen der Neuevangelisierung in Deutschland trotz der anhaltenden Kirchenkrise gesprochen.

Monsignore Austen, Sie sind seit einem Jahr Mitglied im römischen Dikasterium für die Evangelisierung. Was ist bisher Ihr Eindruck von der Arbeit?

Ich durfte jetzt zum ersten Mal als Konsultor an der Plenarsitzung teilnehmen. Mein erster Eindruck ist, dass die Mitglieder ihre Aufgabe mit großer Ernsthaftigkeit und tiefem Interesse wahrnehmen. Wir repräsentieren verschiedene Kontinente, das ist schon sehr interessant. Da ist viel internationale Erfahrung von Weltkirche versammelt. Außerdem gibt es im Dikasterium sehr unterschiedliche Gruppierungen, etwa Kardinäle und Bischöfe, Vertreter und Vertreterinnen von Gemeinschaften, zum Beispiel der Gemeinschaft „Schalom“ aus Brasilien, von Orden, Schulen und diözesanen Einrichtungen und Organisationen.

Sie sind dort als Konsultor tätig. Was genau ist Ihre Aufgabe?

Meine Aufgabe ist einerseits, beratendes Mitglied zu sein, also hinzuhören und zuzuhören, Erfahrungen weiterzugeben. Andererseits kann ich meine Erfahrungsfelder, in denen ich tätig bin, mit einbringen in die unterschiedlichen Themenfelder. Vor allen Dingen geht es um die Situation der Diaspora, in den unterschiedlichen Regionen, die wir als Bonifatiuswerk unterstützen in Deutschland, Nordeuropa und im Baltikum. Ich möchte auch über Initiativen und Möglichkeiten in Bezug auf missionarisches Wirken und Evangelisierung berichten. Es geht um die Frage, inwieweit man einen Resonanzboden für das Evangelium finden kann, für die Frohe Botschaft, die über die katholische Kirche hinausgeht. Es geht darum, wie Menschen von dem Glaubenszeugnis anderer berührt werden können, um aus diesem Geist die Welt zu gestalten. Da versuche ich, unsere Erfahrungen und Initiativen einzubringen.

Im Herbst wird erneut die Weltsynode in Rom zusammenkommen. Wird das Thema Evangelisierung da auch eine Rolle spielen?

Evangelisierung und Synodalität haben im Pontifikat von Papst Franziskus einen hohen Stellenwert. Das Thema kommt auch auf der Weltsynode vor. Franziskus hat mal gesagt, alles in der Kirche müsse sich an den Erfordernissen der Verkündigung des Evangeliums ausrichten. Das ist letztendlich unser Auftrag, in die Welt hinauszugehen. Synodalität ist ein Grundvollzug der Kirche und auch als geistlicher Prozess zu verstehen, der hilft, das Wort Gottes heute zu hören. Es geht darum, durch Unterscheidung der Geister und den Austausch von Argumenten sowie Erfahrungen aus den Lebensrealitäten der Menschen von heute die Evangelisierung zu fördern – oder zumindest Wege für die Verkündigung und Glaubensbildung zu suchen. Wir haben zum Beispiel in Nordeuropa eine sehr internationale, materiell arme, aber junge Kirche, die als Migrantenkirche wächst. Für mich ist es wichtig, diese unterschiedlichen Lebenssituationen und Kulturen wahrzunehmen und zu überlegen, wie das Evangelium dorthin übersetzt werden kann. Aber wir sollten auch voneinander und miteinander lernen, was Weltkirche bedeutet. Das ist die Chance und Herausforderung in dieser Zeit.

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In Deutschland ist die Situation durch das Bekanntwerden der Missbrauchsskandale stark geprägt. Die Austrittszahlen sind sprunghaft angestiegen, die Kirche verliert an gesellschaftlicher Relevanz. Können wir da überhaupt noch ernsthaft über Neuevangelisierung reden?

Es sind verschiedene Gründe, die zu der jetzigen Situation geführt haben. Das ist nicht nur der für mich sehr bedrückende Missbrauchsskandal. Die jüngsten Studien haben gezeigt, dass Menschen unterschiedliche Kirchenerfahrungen gemacht haben. Es ist ein Vertrauensverlust feststellbar. Das gilt es, ernst zu nehmen. Viele haben keine lebendige Gottesbeziehung und vielleicht vergessen, dass sie Gott vergessen haben. Ich glaube, niemand weiß genau, wie der richtige Weg in zehn Jahren aussehen wird. Oft geht es heute gar nicht mehr um die Weitergabe des Glaubens, sondern um Erstevangelisierung, wo Menschen mit der Botschaft des Glaubens in Berührung kommen. Es geht vor allen Dingen darum, wie der Glaube in meinem Leben einen Mehrwert bekommt, dass ich aus meinem Glauben eine Orientierung erhalte und dass er mir Kraft und eine Haltung gibt, die mich im Leben stärkt. Wir leben in einer Situation von Umbrüchen, Abbrüchen, Zerrissenheit, von Ungleichzeitigkeiten, aber auch von Aufbrüchen und beeindruckendem Engagement von Menschen aus dem Glauben heraus.

Können denn Umbrüche oder Aufbrüche, wie sie der Synodale Weg in Deutschland postuliert hat, die Neuevangelisierung fördern? Braucht die Kirche Reformen, um evangelisieren zu können?

Ich glaube, es braucht beides. Es braucht Reformen, die immer in der Geschichte der Kirche angegangen wurden, um in den unterschiedlichen Realitäten der Ortskirchen Fuß zu fassen und die Fragen der Menschen aufzunehmen. Wir brauchen aber genauso die Weltkirche, in der sich die grundlegende Essenz unseres Glaubens widerspiegelt. Das ist spannungsgeladen und ein Ringen. Aber ich glaube schon, wenn die Menschen in Deutschland und anderswo spüren, dass sie mit ihren Fragen ernst genommen werden, kann ich in einen ehrlichen Dialog treten, wie das Evangelium zeitgerecht in die heutigen Herausforderungen transformiert werden kann – als Ortskirche, aber immer in Vielfalt und in der Einheit der Kirche.

Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung im letzten Jahr hat der katholischen Kirche bei uns einen dramatischen Ansehensverlust bescheinigt. Sie zeigt aber auch, dass sich gerade nichtreligiöse Menschen durch das soziale Engagement der Kirchen angesprochen fühlen. Liegt da ein Schlüssel zur Neuevangelisierung?

Ja, ich würde das als missionarisches Wirken bezeichnen. Das ist für uns im Bonifatiuswerk richtig und wichtig. Es geht darum, wie wir mit Menschen, die indifferent gegenüber dem Glauben sind, mit Andersdenkenden und -glaubenden oder auch mit Menschen, die unsere Kirche verlassen haben, im Dialog bleiben können. Gerade die Erwartungen, die es an Kirche gibt, besonders in Minderheitensituationen wie in Nord- und Ostdeutschland, was da für das Gemeinwesen geleistet wird, etwa in sozial-karitativen Einrichtungen, wo Menschen aus ihrem Glauben heraus für andere da sind und so ein Glaubenszeugnis geben – da glaube ich schon, dass dort Dinge entstehen, die positiv wahrgenommen werden, die Berührungspunkte mit Kirche sein können.

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Aber reicht das denn aus – die Kirchen als „fromme Sozialagenturen“ zu sehen? Bleibt da nicht das Transzendente auf der Strecke?

Wer an Gott glaubt und in das Evangelium eintaucht, der wird immer wieder bei den Menschen auftauchen. Ich kann das eine nicht vom anderen trennen. Glaube ist immer erstmal ein Geschenk. Und oftmals ist gerade der karitative Dienst das fünfte Evangelium. Es braucht natürlich eine Vertiefung über die Inhalte unseres Glaubens. Es braucht Räume, Orte und Menschen im Gebetsleben, in der Beziehung zu Gott, wo der Glaube und das Leben gefeiert werden können. Menschen müssen auskunftsfähig sein über die Inhalte des Glaubens, um ihn weitergeben zu können. Es braucht auch das Erleben und die Erfahrung einer lebendigen Glaubensgemeinschaft. Das hat sich auch in der Studie gezeigt: Die vollständige Individualisierung, den Glauben nur allein zu leben, das ist die falsche Spur. „Keiner soll alleine glauben“ ist Ziel und Auftrag für uns im Bonifatiuswerk. Papst Franziskus hat uns jetzt in Rom nochmals aufgetragen, er möchte, dass der Glaube auch von jungen Menschen und nicht nur von den „Alten“ weitergegeben werden soll. Er dürfe nicht nur eine Theorie sein, sondern es brauche die lebendige Glaubenspraxis.

Das Bonifatiuswerk hat auf die Entwicklungen der letzten Jahre reagiert. „Räume des Glaubens eröffnen“ heißt ein Programm, das sich nicht nur auf die Regionen konzentriert, die zahlenmäßig Diasporaregionen sind. Worum geht es bei diesem Ansatz?

Es geht auf der Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils darum, innovative missionarische Projekte anzustoßen – und das in ganz Deutschland. Wir haben zum Beispiel in Stralsund eine Initiative, die sich um schwerstkranke Menschen kümmert. Und im Bistum Osnabrück gibt es den „Durchkreuzer“, ein Glaubensmobil, das an Orte fährt, wo das Leben junger Menschen stattfindet, zum Beispiel auf Festivals und in Schulen. Es gibt in diesem Programm eine ganze Reihe von Initiativen, die versuchen, auf der Grundlage des Evangeliums neue Projekte und Berührungspunkte zu suchen, um im Dialog und der Begegnung mit Menschen ins Gespräch zu kommen, damit sie konkret erleben, wie Kirche handelt. Es geht aber auch darum, die Inhalte des christlichen Glaubens kennenzulernen.

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