Es hätte natürlich zu gut gepasst, wenn der Gründer der – Zitat – „grenzwertig konservativen“ Gemeinschaft Emmanuel ein Missbrauchstäter gewesen wäre. Dachte man sich heute Morgen bei der „Welt“. Dort kann man nämlich in einem Text über den Zustand des Katholizismus in Frankreich lesen: „Auch Emmanuel steckt im Missbrauchsskandal: Abbé Pierre, ihr charismatischer Gründer, der Jahrzehnte im gesamten Spektrum des französischen Christentums wie eine Heiligenfigur verehrt wurde, war ein Täter.“ Ein Blick nach Wikipedia hätte gezeigt, dass nichts an dem Satz stimmt.

Richtig ist, dass der Missbrauchstäter Abbé Pierre die – überhaupt nicht konservative – Bewegung Emmaus gegründet hat. Der Gründer der Gemeinschaft Emmanuel heißt auch Pierre, nämlich Pierre Goursat, ist aber weder Priester noch – jedenfalls deutet nichts darauf hin – Missbrauchstäter. Stattdessen läuft seit 2010 sein Seligsprechungsprozess. Emmanuel, Emmaus, zweimal Pierre, alles Franzosen, ist ja auch egal, hat sich der Autor vielleicht gedacht.
Knallharte Fehlinformationen verbreitet
Die Verwechslung wäre irgendwie süß, würde sie nicht knallharte Fehlinformationen verbreiten und den verdienten Gründer einer geistlichen Gemeinschaft, die vielen Menschen Halt und Heimat ist, unverdienterweise durch den Dreck ziehen.
Auch in der Gemeinschaft Emmanuel gab es mindestens einen Priester, der zum Missbrauchstäter geworden ist – alles andere wäre ja auch schon rein statistisch unwahrscheinlich. Es handelt sich um den Lyoner Abbé Emmanuel Dumont, wie die Gemeinschaft Emmanuel bereits im Januar 2024 öffentlich gemacht hat.
Bei all den Emmanuels und Pierres kann man sich ja schonmal vertun? Der Artikel wirft trotzdem Fragen auf, denn immerhin zitiert der Autor einen Priester der Gemeinschaft Emmanuel, der, angesprochen auf den angeblichen Gründer seiner Gemeinschaft, gesagt habe, die Aufklärung der Medien sei wertvoll gewesen; endlich sei die Wahrheit ans Licht gekommen.
Wie kam es zu so einem Statement? Weiß der Emmanuel-Priester selbst nicht, wer der Gründer seiner Gemeinschaft ist? Unwahrscheinlich. Oder zitiert der Autor ihn im falschen Zusammenhang? Deutlich naheliegender. Der Autor gibt außerdem an, mit einer Gruppe der „Gesellschaft Katholischer Publizisten“ nach Paris gereist zu sein. Waren die anderen auch bei dem Gespräch mit dem Priester dabei? Wenn ja, müsste nicht der kollegiale Austausch dafür sorgen, dass solche Fehlinformationen gar nicht erst zu Papier gebracht werden? Fragen über Fragen.
Update: Der betreffende Artikel aus der „Welt" wurde inzwischen korrigiert.
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