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König Karl VI. von Frankreich: Wegbereiter von Jeanne d‘Arc

Vor genau 600 Jahren starb „Charles le Fou“: König Karl VI. von Frankreich als Wegbereiter der heiligen Jeanne d‘Arc.
König Karl VI. von Frankreich als Wegbereiter der heiligen Jeanne d‘Arc.
| In Frankreich herrschte durch die Krankheit Karls VI. der Wahnsinn, es gab Querelen um den Thron samt Enterbung und Morden. Ausgerechnet aus diesem Chaos kam eine Heilige hervor: Jeanne d'Arc.

Was haben Klimaschwankungen mit Wahnsinn zu tun? Was heute kontrovers diskutiert wird, lässt sich für das Jahr 1392 womöglich konkret beantworten. Damals neigte sich die sehr uneinheitlich datierte mittelalterliche Warmzeit ihrem Ende zu. Aber der August dieses Jahres war brennend heiß – ganz besonders in Frankreich –, und darunter litt auch die Armee des jungen Königs Karl VI. , die sich auf dem Kriegspfad gegen den Herzog der Bretagne befand.

Psychotischer Anfall des Königs

Schon während der Vorbereitung des Feldzugs war der König, der einen Mordanschlag auf seinen engsten Berater rächen wollte, merkwürdig erregt. Als dann der Tross um die Mittagszeit aus einem Waldstück bei Le Mans in die sengende Sonne trat, ließ ein erschöpfter Lanzenträger die Waffe auf einen Stahlhelm fallen. Dieses klirrende Geräusch war der Auslöser für den ersten psychotischen Anfall des Königs. Er schlug, schrill schreiend, mit dem Schwert auf sein Gefolge ein, dass er für seine Gegner hielt.

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Es gab mehrere Tote. Der König aber fiel, wie von einem Hitzeschlag getroffen, in eine tiefe Ohnmacht. Sicher war dieser Vorfall nicht die Ursache, jedoch zusammen mit den unglücklichen Umständen der ganzen Unternehmung, der Auslöser der Psychose Karls VI., deren Schübe sich mit der Zeit verstetigten, sodass er nur noch kurze Perioden geistiger Klarheit erlebte. Ohne nahe Angehörige zu erkennen, irrte er dann manisch und ziellos durch seine Residenz. Zeitweise glaubte er, sein Körper sei aus Glas. Um nicht zu zerbrechen, ließ er seine Kleidung mit Eisenstangen verstärken. Alles im allem war der geistig und körperlich in einem Korsett gefangene König Frankreichs seit dem Hitzeschlag im Wald von Le Mans zunehmend regierungsunfähig.

Kampf um die Thronfolge

Damit sah sich das allerchristliche Königreich mit dem unlösbaren Problem der Regentschaft konfrontiert. Gewiss war das nichts Neues, dass denn viele Vorgänger Karls waren, wie er selbst, als Kind und somit unmündig auf den Thron gekommen. Als aber um 1393 klar wurde, dass Karl VI. die Regierung auf Dauer nicht mehr ausüben konnte, taten sich für den Regenten ganz andere Perspektiven auf – konnte er nicht mehrere Jahrzehnte wie ein König herrschen und die Thronfolge in seinem Sinne beeinflussen? Der energische Burgunder Philipp, der als dessen Onkel schon während der Unmündigkeit des Königs regiert hatte, kehrte zusammen mit den Herzögen von Anjou und Berry an die Macht zurück – wild entschlossen, zu bleiben und mit einem Anspruch auf den französischen Thron.

Als Herzog Philipp 1404 starb, machte der ambitionierte Bruder des Königs, Ludwig von Orleans, dessen Nachfolger Johann Ohnefurcht die Regentschaft streitig. Was als höfische Intrige begann, eskalierte zu einem Bürgerkrieg, als der Burgunder Ludwig ermorden ließ. Dessen Sohn verbündete sich mit dem Grafen Bernhard von Armagnac, der fortan die Auseinandersetzung mit den Burgundern anführte und 1413 sogar die Regentschaft übernehmen konnte.

Krieg endete ohne Sieger

Die Armangnacs terrorisierten die Einwohner der Hauptstadt Paris so sehr, dass sie 1418 den Burgundern die Stadttore öffneten. Bernhard von Armagnac wurde gelyncht und der Bürgerkrieg war beendet, ohne dass beide Parteien gesiegt hatten. Der Wahnsinn des Königs hatte Frankreich gesellschaftlich und – wie sich zeigen sollte – militärisch ruiniert. Denn in der Zwischenzeit war ein lachender Dritter auf den Schauplatz erschienen, die Engländer mit ihrem König Heinrich V. Diese erhoben seit 1328 Anspruch auf den französischen Thron.

1340 hatte sich König Edward III. zum französischen König erklärt und Frankreich angegriffen: die später von den Historikern als Hundertjähriger Krieg bezeichnete Auseinandersetzung hatte begonnen. Philipp von Burgund konnte aber 1386 einen dauerhaften Frieden mit den Engländern aushandeln.

Königliche Familie löste sich auf

Frankreich profitierte dabei auch von den englischen Thronwirren, die es dem 1399 an die Macht gekommenen Haus Lancaster unmöglich machte, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen. Als aber Heinrich V. 1413 den englischen Thron bestieg, war seine Macht gefestigt, während Frankreich im Bürgerkrieg versank. Heinrich nutzte die Gelegenheit, nahm 1415 den Krieg wieder auf und schlug das französische Heer auf dem Schlachtfeld bei Azincourt vernichtend. Der Aggressor hatte gesiegt und besetzte den Nordteil des Landes.

Das war die Lage in den letzten Lebensjahren des wahnsinnigen Karls VI., der manchmal zu klarem Verstand kam – zumindest behauptete man das, um Entscheidungen der Regierung zu legitimieren. Von legitimer Herrschaft aber konnte keine Rede mehr sein; selbst die königliche Familie befand sich in Auflösung. Der 15-jährige Thronfolger Charles war 1418 mit den Armagnacs aus Paris geflüchtet. Königin Isabeau hingegen befand sich mit ihrem willenlosen Gemahl in den Händen der Burgunder, mit denen sie verbündet war. Das Verhältnis zwischen Isabeau¸ die ein ausschweifendes Leben führte, und ihrem Sohn war ebenso zerrüttet, wie sie beim Volk verhasst war.

Thronfolger wurde enterbt

Nachdem 1419 Johann Ohnefurcht ermordet worden war, wollte dessen Nachfolger Herzog Philipp der Gute zusammen mit dem lauernden König Heinrich V. endlich Nägel mit Köpfen machen. Burgund sollte von der französischen Krone unabhängig werden, im Gegenzug erhielt Heinrich V. den französischen Thron – dafür musste nur noch der Thronfolger ausgeschaltet werden, der in Bourges residierte und große Teile West- und Südfrankreichs unter seiner Kontrolle hatte.

Also brachte man Karl VI. im Vertrag von Troyes vom 20. Mai 1420 dazu, seinen Sohn enterben und Heinrich V. an dessen Stelle zu setzen. Legitimiert wurde dieser Handel durch die Eheschließung Heinrichs mit Karls Tochter Catherine. Heinrichs Weg auf Frankreichs Thron schien geebnet. Doch als Karl VI. am 21. Oktober 1422 im Alter von knapp 54 Jahren in Paris starb, war der junge Heinrich V. schon fast zwei Monate der Ruhr erlegen. An seine Stelle trat mit Heinrich VI. ein Säugling, der sich später als ebenso psychotisch und unfähig erweisen sollte wie „Charles le Fou“. Die Franzosen haben ihn niemals anerkannt.

Ohne Karl VI. keine Johanna

War das aus französischer Sicht schon ein Wunder, sollte es ausgehend vom lothringischen Domrémy bald noch besser kommen: Gemeint sind die Visionen der Jeanne d'Arc, die von der heiligen Katharina, der heiligen Margareta und dem Erzengel Michael den Auftrag bekam, Frankreich von den Engländern zu befreien und dem Dauphin die Krone zu gewinnen. Der Rest ist Geschichte!

So hatte die Krankheit Karls VI. ganz Frankreich in den Wahnsinn gestürzt, aber auch die Bühne geschaffen, auf dem sich das Wunder der von Benedikt XV. 1930 heiliggesprochenen Johanna ereignen konnte. Man könnte auch sagen: Ohne Karl VI. keine Johanna. Gott schreibt eben doch auf krummen Zeilen gerade.

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Dirk Weisbrod Bürgerkriege Heinrich V. Jeanne d’Arc Karl VI. Mordanschläge

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