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Deutsches Pathos

Bischof von Mainz belehrt Ukrainer über Feindesliebe. Einen eindringlichen Appell an Russland lässt er hingegen vermissen. Besser wäre etwas mehr Empathie.
Peter Kohlgraf predigte am Weltfriedenstag über Feindesliebe.
Foto: ULMER via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Peter Kohlgraf predigte am Weltfriedenstag über Feindesliebe. Es fehlte in Kohlgrafs Predigt ein eindeutiger Appell an Russland.

Ein Prediger begibt sich auf dünnes Eis, wenn er seine persönlichen Befindlichkeiten thematisiert statt die Bibeltexte des Sonntags auszulegen. So geschah es am Sonntag in Worms, als Bischof Peter Kohlgraf zum Weltfriedenstag das Predigtwort ergriff. Der Präsident der deutschen Sektion von Pax Christi schwelgte in Betroffenheit über das Verhalten von Ukrainern, die sich derzeit nicht vorstellen können, jemals zu vergeben. Gleich zweimal erfuhr die Gemeinde vom persönlichen „Erschaudern“ des Predigers über diesen Aufschrei gequälter Seelen.

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Keine öffentlichen Belehrungen 

Es befremdet, dass sich ausgerechnet ein deutscher Bischof bemüßigt fühlt, den Ukrainern Nachhilfestunde in Sachen Feindesliebe zu geben. Noch befremdlicher ist, dass ein Hirte offensichtlich keine seelsorglich angemessene Reaktion auf die Seelenqual von Kriegsopfern zeigt. Jeder Mensch kann sich der Gnade öffnen und verdient einen Wachstums- und Heilungsraum. Das braucht Zeit und ein Forum internum statt öffentlicher Belehrungen. Warum nimmt sich der Bischof nicht als Seelsorger wie ein kluger Arzt im geschützten Raum der verletzten Seelen mit Liebe und Geduld an, statt die Tragödie des ukrainischen Volkes als Folie für eine pathetische Belehrung einzusetzen?

Kein Postulat an Russland

Nicht, dass sich deutsche Bischöfe am Weltfriedenstag öffentlicher Ermahnungen enthalten sollten. Im Gegenteil. Doch in der vom Bistum Mainz verbreiteten Fassung der Predigt sucht man vergebens nach einem expliziten Aufruf zur Umkehr an die Adresse der russischen Aggressoren. Der erste Schritt zum Frieden bleibt aber, endlich die Waffen niederzulegen. Bischof Kohlgraf klammerte im Zusammenhang mit der deutsch-polnischen Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg auch aus, welches Enttäuschung die kühle Antwort der deutschen Bischöfe auf den Versöhnungsbrief der polnischen Hirten 1965 dem Vernehmen nach in Polen auslöste. Schulden die Deutschen den Ukrainern am Ende eher Empathie und Geduld als klerikalen Betroffenheitsjargon?

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