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„Arche“-Gründer Jean Vanier: Mehr Opfer als gedacht

Der Gründer der internationalen Organisation „L’Arche“ soll 25 Frauen sexuell missbraucht haben. Noch erschreckender sind jedoch neue Erkenntnisse, wie es zur Gründung kam.
Arche-Gründer Jean Vanier
Foto: Wikicommons | Lange vor der Gründung der Arche war Jean Vanier bereits Mitglied eines engen, von den Verfassern der Studie als sektiererisch bezeichneten Kreises um den Dominikanerpater Thomas Philippe.

Ein am Montag in Paris vorgestellter Bericht fördert weitere Details über die Missbrauchstaten des Gründers der internationalen Organisation L’Arche zutage. Bereits 2020 hatte eine erste Veröffentlichung über die dunkle Vergangenheit Jean Vaniers und seines geistlichen Ziehvaters, des Dominikaners Thomas Philippe, die internationale Gemeinschaft der Arche erschüttert. In fast 40 Ländern leben in den Gemeinschaften der Arche Menschen mit und ohne Behinderung zusammen.

Dunkelziffer wohl weit höher

Der von der Arche in Auftrag gegebene Bericht umfasst 900 Zeiten. Ebenfalls am Montag veröffentlichten die französischen Dominikaner einen 700-seitigen Bericht zur Aufarbeitung der Vergangenheit des Dominikanerordens in Bezug auf die Dominikanerpater und leiblichen Brüder Thomas Philippe und Dominique-Marie Philippe, dem Gründer der Johannesbrüder. Beide Berichte wurden von unabhängigen Kommissionen unter Mitarbeit von Historikern verfasst.

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Während der Bericht von 2020 noch von sechs Betroffenen sexuellen Missbrauchs durch Jean Vanier sprach, so identifiziert die gestern im Auftrag der internationalen Arche-Gemeinschaft erstellen Studie 25 Frauen. Die Verfasser der Studie gehen von einer weit höheren Dunkelziffer aus. In allen Fällen handelt es sich um volljährige Frauen ohne Behinderung – verheiratet, ledig, im Ordensstand -, die zwischen 1952 und 2019 intime oder sexuelle Akte durch Jean Vanier erfahren haben. Einige davon bezeichnen sich als Opfer, andere gaben an, einer sexuellen Beziehung zugestimmt zu haben.

Noch erschreckender sind die Erkenntnisse über die Umstände, die zur Gründung der Arche geführt haben. Lange vor der Gründung der Arche war Jean Vanier bereits Mitglied eines engen, von den Verfassern der Studie als sektiererisch bezeichneten Kreises um den Dominikanerpater Thomas Philippe. Dieser war 1956 aufgrund seiner mystisch-erotischen Praktiken innerhalb dieses Kreises von Rom dazu verurteilt worden, in Zukunft weder die Sakramente zu feiern, noch ein Amt zu bekleiden. Der Zirkel um Thomas Philippe blieb jedoch brieflich in Kontakt, bis sich seine Mitglieder 1964 erneut um ihn versammeln, im kleinen Ort Trosly-Breuil bei Compiègne. In diesem Kontext gründet Jean Vanier die Arche, ein idealer Vorwand für das Zusammenleben der Gruppe.

"Sektiererische Logik bei der Gründung"

„Es gibt durchaus eine sektiererische Logik bei der Gründung [der Arche, A.d.R.], und gleichzeitig beruht das Projekt, mit Menschen mit Behinderungen zusammenzuleben, auf einer tiefen und aufrichtigen Intuition bei ihnen“, erläutert der Historiker Florian Michel, der zur Erstellung der Studie beigetragen hat. Der Bericht zeichnet eine traurige Weitergabe mystisch-erotischer Praktiken von Generation zu Generation nach, die zur Gründung der Arche geführt haben. 

In einem Schreiben an die Mitglieder der Organisation verurteilen Stephan Posner et Stacy Cates-Carney , die Leiter von „L’Arche Internationale erneut die Handlungen Jean Vaniers und Thomas Philippes und bitten die Opfer um Verzeihung. „Wir erkennen unsere institutionelle Verantwortung dafür an, dass es uns nicht gelungen ist, diesen Missbrauch zu verhindern, zu erkennen, zu melden und zu beenden. Gleichzeitig empfinden wir die Zustimmung unseres Gründers zu den Lehren von Thomas Philippe und die Nachahmung seiner Praktiken, ihre Vertuschung und die daraus resultierenden Lügen als schweren Vertrauensbruch gegenüber der Arche und ihren Mitgliedern“, so Posner und Cates-Carney. Dabei betonen sie, dass die Arbeit der Studienkommission nicht vermuten lässt, dass auch Menschen mit Behinderung innerhalb der Arche Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sein könnten. Was das Dasein der Arche rechtfertige, sei nicht ihr Gründer, sondern „das Leben ihrer Mitglieder, mit und ohne Behinderung, im Dienst einer menschlicheren Gesellschaft. Wir hoffen, durch die Aufarbeitung der Vergangenheit dieser Verpflichtung treu zu bleiben“, enden die Arche-Leiter mit einer hoffnungsvollen Note.

In einer Pressemitteilung erinnert die Organisation daran, dass sie seit 2020 eine systematische Überprüfung aller 157 Gemeinschaften in der ganzen Welt vorgenommen hat. Daraus ergab sich ein ausführliches Dokument zur Missbrauchsprävention. 2020 hat die Arche ebenfalls eine Stelle geschaffen, bei der sich Betroffene sexuellen Missbrauchs melden können.  DT/fha

In der nächsten Ausgabe der Tagespost erhalten Sie einen ausführlichen Bericht über den Stand der Aufarbeitung der Missbrauchs-Vergangenheit verschiedener geistlicher Gemeinschaften.

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