Im Zeitalter der digital übermittelten Informationen ist es üblich geworden, sich Städte, Ortschaften, Restaurants, Hotels und Gegenden im Internet erst einmal in einem „virtuellen Rundgang“ anzuschauen, bevor man sie besucht. Daran zeigt sich, dass der Begriff „virtuell“ keineswegs mit „unwirklich“ übersetzt werden darf. Denn das, was in einer virtuellen Sichtweise dargestellt wird, hat ja schließlich den Anspruch etwas Wahres darzustellen. Virtuell bedeutet also nicht „fiktiv“, sondern eher „denkbar“, „vorstellbar“ und also „real“, wenn auch nicht greifbar.
Erleben, was der Herr gönnt
Hätte es bei den Erscheinungen des Auferstandenen den Begriff der virtuellen Realität schon gegeben, dann wäre es der Apostel Thomas gewesen, der mit ihm gehadert hätte. Denn ihm war nicht das Anfassen der Realität vergönnt wie den anderen. Ihm sollte der Bericht genügen. Eben das ist ihm zu wenig real, zu wenig anfassbar. Er will das erleben, was der Herr durchaus gönnt, wenn Er - wie uns die Evangelien berichten - sich berühren lässt, sogar vor ihren Augen probehalber Fisch und Brot isst, um sie zu überzeugen.
Als es für Thomas so weit ist, reicht ihm die Erzählung der anderen nicht. Es ist ihm zu virtuell, wenn er nicht selbst seinen Finger in die Wunden des Herrn legen kann. Er weiß noch nicht, was er heißt, zu glauben. Als er den Auferstandenen dann vor sich stehen sieht, wird er beschämt. Denn jetzt gibt es keinen Zweifel mehr, keine Herausforderung, keine Mutprobe, zu glauben. Jetzt sieht er, was er nicht glauben wollte - kein Kunststück mehr.
Die Auferstehung will geglaubt werden
So ist ein für alle Mal klargestellt: alle, die den Herrn nicht mit verklärten Wunden vor sich stehen sehen, müssen glauben, um zu sehen. Und sie müssen verstehen, dass „Glauben“ immer ein „Den-anderen-glauben“ bedeutet, ein Angewiesensein auf das Wort derer, die Ihn gesehen haben.
Mit einem Abstand von 2000 Jahren dürfen wir froh sein über den Bericht von Thomas, dessen menschliche Schwäche für das Anfassbare wir alle teilen, wenn es um die Frage der Realität geht. Denn an der Beschämung des Thomas können wir lernen, dass die Auferstehung geglaubt werden will und nicht begriffen. Und dass seliger macht, den Zeugen zu vertrauen, die gesehen haben, damit wir – ihnen – glauben, als zu berühren, was sich nicht fassen lässt.
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