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Sind Gender Studies Wissenschaft?

Medizin, Soziologie, Pädagogik, Sprache: Wertvolle Analysen geben Orientierung für die Auseinandersetzung mit der Genderpolitik.
Gender-Studies
Foto: dpa | Alle unter einem Dach. Die Gender-Anhänger wollen die Einheitsgesellschaft.

Seit etlichen Jahren haben die sogenannten Gender Studies eine außerordentliche Bedeutung an den Universitäten erlangt: In den Kultur- und Geisteswissenschaften verlangen viele Ausschreibungen auch „Gender“- „Kompetenzen“. Das bedeutet in der Regel eine pro-feministische Orientierung. Und wer sonst zu keinem eigenständigen Gedanken fähig ist, kann in einer Diskussion immer noch dadurch punkten, dass sie die Frage nach der „Gender“-Relevanz eines beliebigen Themas stellt.

Viele heutige Autoren signalisieren durch ihre unkritische, begeisterte oder auch bloß opportunistische Übernahme des „Genderns“ ihre Zugehörigkeit zum „Mainstream“; sie beteiligen sich an der Verhunzung der Sprache durch angeblich geschlechtergerechte Schreibweisen, etwa das Binnen-I oder Gendersternchen. In der Politik reichen die Auswirkungen der Gender-Studien inzwischen sogar in Bereiche wie die Bundeswehr, in der unter Ursula von der Leyen Geschlechterpolitik schließlich wichtiger wurde als Einsatzbereitschaft.

Was aber sind die Grundlagen dieser Entwicklungen? Und wie stichhaltig sind sie? Dazu liegt jetzt ein ausgesprochen lesenswerter Band vor, den Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig herausgegeben haben und der als Einstieg in die notwendige Beschäftigung mit diesem Thema gute Dienste leistet. Das Spektrum der Themen, in die das Genderdenken eindringt, ist breit, und dies spiegelt sich auch in diesem Band, der von der Biologie und Medizin über philosophische und sozialwissenschaftliche Ansätze bis hin zu Pädagogik, Sprach- und Literaturwissenschaft reicht. Einige Beiträge – etwa die zur Biologie der Geschlechter von Axel Meyer – sind eher kurz und prägnant, während andere Studien tiefer in die Materie hineinführen. So erläutert der Arzt Adorjan Kovács, dass im Bereich der Medizin geschlechterspezifische Ansätze sehr wohl ihre Berechtigung haben. Doch bestehe die Gefahr einer Politisierung der Medizin durch den Begriff des „Gender“, was auch durch eine einseitige Konzentration auf Frauen geschehe. Oder Wolfgang Tischner stellt ausführlich die Befunde dar, die bisher zur Geschlechtergerechtigkeit in der Jungenpädagogik vorliegen

Gender Studies: Über die Ideologie der „sozialen Konstruktion“

Weil es zu den Standardbehauptungen der Genderstudien gehört, das Geschlecht sei allein oder im wesentlichen „sozial konstruiert“, knöpft sich der Philosoph Alexander Ulfig den Grundbegriff der „sozialen Konstruktion“ vor und stellt ihm den des „Produkts“ gegenüber. Dieses kann nämlich auch das Resultat nicht-beabsichtigter Einflüsse sein, während eine „Konstruktion“ den Eindruck erweckt, man könne sie auch ganz anders „konstruieren“. Diese Konstruktionsideologie ist aber nicht einfach eine wissenschaftliche Hypothese. Sie dient vielmehr als Instrument zur Durchsetzung von Genderpolitik mit ihrer ausufernden Klientelpolitik.

Besonders scharf fällt die Kritik der Gender Studies aus der Sicht der Sozialwissenschaftlerin Heike Diefenbach aus. Sie vertritt die These, es handele sich bei diesen „Studien“ nicht um Wissenschaft, schon gar nicht um Sozialwissenschaft. Denn diese bräuchte die Gender Studies schon deshalb nicht, weil die soziale Kategorie des Geschlechts schon immer Teil der Soziologie war. Doch Geschlecht ist hier nicht pauschal immer irgendwie wichtig, so Diefenbach, sondern nur, wenn sich das empirisch bestätigen lasse. Gender Studies prüfen aber nicht wissenschaftlich, ob „Geschlecht“ in einem bestimmten Fall von Belang ist, sondern setzen es als erklärende Variable immer schon voraus. Und sie haben keine Probleme damit, sich zum politisch-ideologischen Dienstleister des Feminismus zu machen. Weil Gender Studies somit ein politisches, kein wissenschaftliches Projekt seien, hätten sie auch an Wissenschaftseinrichtungen nichts zu suchen.

Für diejenigen, denen die Verwendung aller möglichen „geschlechtergerechten“ Schreibweisen selbst in amtlichen oder quasi-amtlichen Texten auf die Nerven gehen, bietet Heinz-Dieter Pohl eine sehr hilfreiche Analyse dieses „Neuschreib“, wie er in Anlehnung an Orwells „Neusprech“ sagt: Er zeigt detailliert, warum die angeblich gendergerechten Schreibweisen den elementaren Regeln von Grammatik und Rechtschreibung des Deutschen widersprechen. So ignorieren die Propagandisten der Gendersprache den grundlegenden Unterschied von grammatikalischem und natürlichem Geschlecht, was zu allerlei weiteren Irrtümern führt.

Staatlicher Schutz für Gender-Netzwerke

Exemplarische Bedeutung hat die abschließende Analyse von Strukturen und Netzwerken der Gender Studies durch Schulze-Eisentraut, der anhand eines Tagungsberichts und der Ausbreitung von Gender an den Universitäten zeigt, wie das „Gender-Mainstreaming-Kartell“ seinen Einfluss immer weiter ausdehnt. Warum, so fragt man sich, werde an deutschen Hochschulen so gut wie keine offene Kritik am Ideologiesystem der Gender Studies geübt? Es liegt nahe, hier an die staatliche Protektion der Gender-Netzwerke zu denken, denn „durch die allgegenwärtigen Frauen-, Gleichstellungs- und Diversitätsbeauftragten sind sie auf allen Ebenen des Hochschulbetriebs präsent“. Und auch wer bei jeder Gelegenheit unkritisch den Gender-Begriff verwendet, fördert damit letztlich die kulturelle Hegemonie dieser Netzwerke.

Das ausgesprochen lesenswerte Buch stellt einen ersten Versuch dar, auch kritische Stimmen in einem Bereich zu Gehör zu bringen, der von einem erstaunlichen Konformismus geprägt ist. Insofern bringen die Autoren frischen Wind in eine muffig gewordene Welt, die zunehmend von engen Meinungskorridoren geprägt ist. Für eine nachhaltige Delegitimierung der Gender Studies reicht dies aber nicht aus. Wenn staatlicherseits die Beendigung einer speziellen finanziellen Förderung der Gender Studies erfolgte, wäre das kein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit, sondern nur die Abschaltung eines ideologisch motivierten Steuerungsprogramms, das von vornherein ohnehin nicht wissenschaftlich motiviert war. Es wäre daher sehr zu wünschen, dass insbesondere Entscheidungsträger beiderlei Geschlechts in Politik und Wissenschaft die Analysen dieses wichtigen Buches gründlich studierten – und Konsequenzen daraus zögen.

Harald Schulze-Eisentraut/Alexander Ulfig:
Gender Studies – Wissenschaft oder Ideologie?
Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2019, 249 Seiten, EUR 24,95

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