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Zurück zu den Wurzeln

Woher kommen wir, wohin gehen wir, warum sind wir hier? In der biblischen Erzählung von Adam und Eva verdichten sich die existenziellen Fragen des Lebens. Das mag der Grund sein, warum sie Menschen zu allen Zeiten fasziniert hat. Ein Blick in die Geschichte des wohl „mächtigsten Mythos der Menschheit“. Von Barbara Stühlmeyer
Wandbild von George Nene in Rhodesien im Januar 1977
Foto: Hans Knapp (KNA) | Wandbild in der Kirche Sankt Pius in einem Township bei Bulawayo. Es stammt von George Nene in Rhodesien im Januar 1977. Es zeigt Adam und Eva im Paradies.

Die Geschichte von Adam und Eva ist eine der wenigen biblischen Erzählungen, bei der man noch voraussetzen kann, dass ihre Erwähnung auch bei kirchenfernen Zeitgenossen ein Echo hervorruft. Allerdings kein sehr starkes, denn sie wird nicht mehr wie in früheren Jahrhunderten als für viele verbindliche Sinngeschichte begriffen, die Entscheidendes über unsere Herkunft und den Status unserer irdischen Existenz zu sagen hat. Genau das aber war über mehrere tausend Jahre hinweg ganz anders. Das, was Adam und Eva im Paradies dachten, sagten, taten und unterließen, war eine Erklärung für den je gegenwärtigen Zustand der Welt und der Menschen. Denn der war und ist durchaus erklärungsbedürftig. Doch wie man ihn deutet, unterschied sich beträchtlich.

Schaut man sich beispielsweise altorientalische Schöpfungsmythen wie das Gilgamesch-Epos an, stellt man fest, dass sie zu ganz anderen Denkmodellen kommen und die Frage nach dem Woher, dem Wohin, dem Wie und dem Warum in anderer Weise beantworten, als die Bibel das tut. Man kann sie daher, wie Stephen Greenblatt es in seiner überaus unterhaltsam geschriebenen Rezeptionsgeschichte der Genesiserzählung tut, zum Zeitpunkt ihrer Entstehung als Reaktion auf die bereits vorliegenden Erzählungen deuten. Damals, als das Volk Israel an den Wassern zu Babel saß und weinte, wenn es an Zion dachte und seine Harfen an die Zweige der fremden Bäume hängte, weil ihm die Freude zum Singen fehlte, war eine Erklärung, warum um alles in der Welt die Geschichte eine so unglückselige Wendung genommen hatte, dringend vonnöten.

Und die Bibel liefert genau die. Das Exil, das die Menschen damals so schmerzlich erlebten, war ganz klar eine Folge ihres Ungehorsams. Sie hatten die richtige Blickrichtung verloren, hatten ihre Augen schweifen lassen, hin zu fremden Göttern, obwohl sie wussten, dass Jahwe kein Regionalgott war, den man bei Urlaubsreisen oder der Heirat mit einer Fremden nach Belieben gegen die Götter anderer Regionen austauschen oder durch sie ergänzen konnte. Wer nicht auf Gott hört, findet sich gesondert von der Quelle des Lebens, eine Folge der Sünde; und die geht, wie man bei Adam und Eva klar sehen kann, auf das Handeln der beiden ersten Menschen zurück. Sie haben uns neben vielem Guten auch die Neigung zum Sündigen vererbt.

Wie groß die Bandbreite der Deutungen sein kann, entfaltet Greenblatt anhand der Geschichte, die den Kirchenvater Augustinus mit der Genesiserzählung verbindet. Er ist zunächst überzeugt, dass es sich hier um eine ziemlich langweilige, geradezu flache Story handelt, die einer näheren Beschäftigung nicht würdig ist. Als Philosoph hatte er andere, besser erzählte Bücher zur Hand und ließ das Buch Genesis deshalb lange links liegen. Dann entdeckte er die Möglichkeit, die Geschichte als Mythos zu lesen, hinter dessen verborgene Subtexte zu kommen auf einmal sehr interessant erschien. Schließlich aber kam er zu dem Schluss, dass es sich einzig und allein um einen wörtlich zu verstehenden Tatsachenbericht handeln müsse und verwendete lange Jahre seines Lebens darauf – am Ende vergeblich – zu versuchen, diese These zu beweisen.

Was Augustinus bei allem theologischen, aber letztlich graue Theorie bleibenden Streben nicht vermochte, gelang schließlich John Stuart. Er erweckte Adam und Eva mit seiner literarischen Genesis-Version „Paradies lost“ zu so blühendem Leben, dass die handelnden Personen den Leser gewissermaßen ansprangen. Bemerkenswert daran ist nicht nur, dass der Dichter, der die Keuschheit und die eheliche Treue so hoch schätzte, durch eine besonders unglücklich verlaufende Verbindung zu seiner Geschichte inspiriert wurde, sondern auch, dass seine Dichtung zu einem Zeitpunkt erschien, an dem der bis dahin über Jahrhunderte hinweg relativ unangefochtene Glaube an die Historizität der Genesiserzählung erheblich ins Wanken geraten war.

Der Grund für die wachsenden Zweifel daran, dass die Geschichte von Adam und Eva schlicht und einfach die Wirklichkeit abbildet, hängt nicht nur mit der Aufklärung zusammen, sondern auch damit, dass der Handlungsradius der Menschen immer größer wurde. Aber wie sollte man sich nach der Entdeckung Amerikas erklären, dass hier wie dort auf dem neuen Kontinent Menschen lebten? Sie konnten doch nicht herübergeschwommen sein. Bemerkenswert ist, dass es schon damals die These einer einst vorhandenen Landverbindung gab, die sich erst viel später als richtig erweisen würde, die zum Zeitpunkt ihrer ersten Formulierung aber laut verlacht wurde.

Charles Darwin lachte nicht. Der ernsthafte und sehr gründliche Forscher war aus gutem Grund vielmehr sehr vorsichtig damit, seine Forschungsergebnisse über die Entstehung der Arten zu veröffentlichen und wagte den entscheidenden Schritt, in dem er enthüllte, was er über die Genese der Menschen dachte, erst lange, nachdem er sich ganz allgemein über die Evolution geäußert hatte.

Stephen Greenblatts Rezeptionsgeschichte der Genesiserzählung enthält noch weit mehr Stimmen als die hier geschilderten, die gewissermaßen die Solisten im großen Chor der Genesisleser- und Deuter sind. Sein Buch ist nicht nur eine spannende Lektüre, es ist auch kenntnisreich geschrieben. Auch wenn man nicht jeden Blickwinkel teilen wird – bei Augustinus und Milton reitet der Autor allzu sehr auf dem Thema Sexualität herum – liest man die Beschreibung der vielen unterschiedlichen Zugänge zur biblischen Schöpfungsgeschichte doch mit großem Gewinn.

Stephen Greenblatt: Die Geschichte von Adam und Eva. Der mächtigste Mythos der Menschheit. Siedler Verlag, München 2018, 448 Seiten, ISBN 978-3-8275-0045-8, EUR 28,–

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