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Nächstenliebe ist unbezahlbar

Über 500 Unterstützer von 1000plus sind im Helfernetzwerk organisiert – sie helfen Schwangeren in Not ganz konkret. Von Martin Voigt
Über 500 Unterstützer von 1000plus sind im Helfernetzwerk organisiert
Foto: shutterstock | Für eine Schwangere zählt jeder Rückhalt, jede herzliche Bestätigung von Menschen in ihrem Umfeld, die Ja zum Kind sagen und glauben, dass sie trotz schwieriger Umstände eine liebevolle Mutter sein wird.

Objektive Information, kompetente Beratung und konkrete Hilfe“ – wenn sich 1000plus vorstellt, ist diese Reihenfolge nicht willkürlich gewählt. Die Seite profemina.org erreicht rund 300 000 Frauen im Jahr. Dass 1000plus-Beraterinnen inzwischen über 1 000 schwangere Frauen pro Monat beraten können, wäre ohne diese Informations- und Kontaktplattform unmöglich. Die dritte Säule von 1000plus ist das Helfernetzwerk. Es ermöglicht lebensnahe und direkte Hilfe vor Ort.

Der Konflikt um das Leben des eigenen Kindes ist eine existenzielle Krise, die zugespitzter nicht sein kann – weit jenseits finanzieller Fragen. Viele Male im Jahr hilft Pro Femina mit seinem Frauen- und Familienförderungsprogramm. Die finanzielle Unterstützung lindert akute Not, doch hinter der vordergründigen Abwägung, ob man sich das Kind auch „leisten kann“, steht immer die Sehnsucht nach Annahme durch den künftigen Vater, der sich über die Schwangerschaft von ganzem Herzen freut. Seine Ablehnung des gemeinsamen Kindes – aus welchen Gründen auch immer – ist eine tiefe Zurückweisung der Beziehung und der Schwangeren als Person. Umso mehr zählt für sie nun jeder Rückhalt, jede herzliche Bestätigung von Menschen in ihrem Umfeld, die bedingungslos Ja sagen zum Kind und daran glauben, dass sie trotz schwieriger Umstände eine liebevolle Mutter sein wird. Wenn eine verunsicherte oder alleingelassene Schwangere jemanden an ihrer Seite hat, der bereit ist, besondere und alltägliche Belastungen mit aufzufangen, und der eine lebensbejahende Zuversicht für eine Zukunft mit Kind spürbar ausstrahlt, dann ist das unbezahlbar.

Dieser Gedanke ist vorauszuschicken, um das Helfernetzwerk von Pro Femina beschreiben zu können. „Als ich 2001 anfing, bestand das Netzwerk aus etwa 50 Personen“, erinnert sich Cornelia Lassay, die Beratungsleiterin von Pro Femina in Heidelberg. Aktuell sind es 574 Personen oder Ehepaare, die im gesamten deutschen Sprachraum als Helfer für Schwangere und Mütter in Not bei 1000plus registriert sind. Menschen, die Sicherheit und Vertrauen bieten wollen, wann immer in ihrer Nähe eine Schwangere oder eine Familie mit Zuwachs Unterstützung braucht. Das kann ein Zwillingskinderwagen sein, der händeringend gesucht wird, Entlastung durch Babysitten oder es geht um Hilfe bei der Wohnungssuche für eine wachsende Familie. In vielen Fällen geht es jedoch darum, in einer akuten Krisensituation neben der Beraterin eine Bezugsperson vor Ort zu sein.

Das ist keine Aufgabe, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Ein fester Stand im Leben und das bedingungslose Ja zum ungeborenen Kind sind Grundvoraussetzung für die Aufnahme in die Helferkartei. Denn die Überzeugungen von Pro Femina sollen auch bei zunehmender Vernetzung gewahrt bleiben und nicht ins gut Gemeinte, aber Beliebige verwässern. So sei etwa der Satz „Ich bin für Dich da, egal wie Du Dich entscheidest“ Ausdruck einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben, die die Schwangere im Innersten verletzt und im Grunde erneut allein lässt.

Bei der Frage, wie man sich denn als Helfer am besten verhält, muss die Ärztin Barbara Dohr schmunzeln und greift ins Bücherregal hinter sich. Sie habe da ein unglaublich passendes Goethe-Zitat, das den logotherapeutischen Ansatz exakt widerspiegele, sagt die Beratungsleiterin von Pro Femina in München: „Wenn wir die Menschen nur nehmen, wie sie sind, so machen wir sie schlechter; wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.“ Es handle sich um ein Lieblingszitat des Wiener Psychiaters Viktor Frankl, dessen psychotherapeutische Schule – die Logotherapie – zentral für die Beratungsarbeit von Pro Femina sei, betont Dohr.

Nahezu täglich durchsuchen Cornelia Lassay, Barbara Dohr und ihre Kolleginnen die lange Liste mit den Postleitzahlen. Wenn während eines Beratungsgesprächs deutlich wird, dass eine verzweifelte Schwangere in ihrem Umfeld nur auf Ablehnung und Unverständnis stößt oder sogar vom werdenden Vater und ihrer Familie zur Abtreibung gedrängt wird, dann kann ein freundliches Gesicht, das plötzlich auftaucht, wie der sprichwörtliche Strohhalm sein.

„Und dann greifen sie tatsächlich zu, mit beiden Händen und voller Verzweiflung, man wird zur Ansprechpartnerin Nummer 1“, weiß die Helferin Karin Stängel aus eigener Erfahrung. Ihren ersten Einsatz für Pro Femina hatte sie, da stand sie noch nicht in der Helferkartei. Eine Frau aus ihrem Ort, deren Tochter sie als Tagesmutter betreute, hatte ihr freudestrahlend erzählt, dass sie wieder schwanger sei. Doch die Freude währte nicht lange, weil ihr Mann entsetzt war über die Nachricht. Schon einmal habe sie sich von ihm zu einer Abtreibung drängen lassen. Dieses Mal halte sie das nicht mehr aus, gestand sie der Tagesmutter ihrer dreijährigen Tochter.

Da erinnerte sich Karin Stängel an den 1000plus-Stand, den sie auf einer christlichen Veranstaltung gesehen hatte. Kurzerhand rief sie bei Pro Femina an. Doch sie sollte sich wundern, wie schnell es wieder an ihr liegen sollte, ob das Kind einmal seine Mutter mit eigenen Augen sehen wird. Natürlich gab sich die Beraterin am Telefon alle Mühe, das Herz der Verzweifelten zu erreichen. Aber sie stellte fest, dass die Schwangere ihre Hand bereits ausgestreckt hatte nach einer Frau, der sie absolut vertraute. So kam es, dass Karin Stängel mehrmals die Woche oder auch täglich mit Pro Femina telefonierte, um unter professioneller Anleitung um das Leben des Babys zu kämpfen – vor Ort, von Angesicht zu Angesicht und oft genug Arm in Arm.

Wird die kleine Mia die Geschichte einmal erfahren? Sie freut sich jedenfalls immer riesig, wenn sie mit ihrer Schwester im großen Garten ihrer Tagesmutter rumtoben darf. „Sie kennt Dich schon, weil sie Deine Stimme schon während der Schwangerschaft so oft gehört hat“, hatte die überglückliche Mama kurz nach der Geburt festgestellt, als Karin Stängel Mia das erste Mal in ihren Armen hielt.

Ein wenig unangenehm ist es Karin Stängel, als wir sie um ein Foto für diesen Artikel bitten. „Aber dann muss es ein gemeinsames Bild mit meinem Mann sein, denn ohne ihn und den gemeinsamen Glauben an Gott würde das alles nicht funktionieren“, sagt sie und erzählt, wie ihr Arthur abends von der Arbeit kommt und die Hochstühle und Spielsachen der Tageskinder mit einem Lächeln quittiert. Über die Woche verteilt sind es aktuell acht Kinder, die für ein Mittagessen oder zum Spielen kommen und für viel Trubel sorgen. Ihr „1000plus-Kind“ Mia ist die jüngste von ihnen. Die eigenen Kinder der Stängels gehen längst eigene Wege.

Neulich hat auch Pro Femina wieder angerufen. Ein obdachloses Pärchen aus Ungarn, das ein Kind erwartet, suchte Unterkunft und Arbeit und fand schließlich beides mit Hilfe von Familie Stängel, doch das ist eine andere Geschichte (siehe Seite 7).

Über die Jahre ist das Helfernetzwerk immer engmaschiger geworden und hat sich zu einer tragenden Säule von Pro Femina entwickelt. „In den Ballungsräumen sind wir schon ganz gut aufgestellt, wünschen uns aber noch dringend viele weitere Helfer in allen Regionen“, sagt Margarete Kaufmann. Viele Jahre hat sie als Ärztin in psychiatrischen Kliniken gearbeitet, bevor sie zu Pro Femina wechselte. Heute betreut sie die umfangreiche Helferkartei und führt die ersten Gespräche mit neuen Unterstützern, die schon bald Schwangeren in ihrer Region helfen wollen.

Vom jungen Studenten bis zum Pfarrer im „Unruhezustand“, von der mehrfachen Mutter bis zur alleinstehenden älteren Dame sei quer durch die Kirchenbank fast jede Alters- und Berufsgruppe in der Helferkartei vertreten, berichtet Margarete Kaufmann. „Gemeinsam ist ihnen ihre feste Verwurzelung im christlichen Glauben.“ Dies sei auch die Basis des Netzwerks.

Nicht immer geht es hochdramatisch zu. Eine gemeinsame Tasse Kaffee, ein gemeinsam ausgefülltes Behördenformular – vermeintliche Kleinigkeiten und auch einmalige Kontakte können im Herzen der schwangeren Frau den Ausschlag geben. Jeder Helfer wird einmal seine Geschichte erzählen können, wie Beate K., die überglücklich ist, „ein kleines Puzzleteil gewesen zu sein, das daran mitwirkte, dass Lena sich für ihr Baby entschied“:

Ich besuchte Lena am nächsten Tag in der Klinik. Sie strahlte so glücklich, als sie ihr Baby in den Armen hielt. Das war ein wunderschöner Anblick! Später durfte auch ich die kleine Emilia mal halten, die hin und wieder ihre Augen öffnete und mich ansah. Mir liefen einfach nur die Tränen. Vor Dankbarkeit und Freude darüber, dass dieses Kind leben darf! Es ist wirklich ein Wunder und ein großes Geschenk. Als ich zu Lena sagte: „Es war die richtige Entscheidung“, da meinte sie: „Genau dasselbe habe ich auch gedacht, als ich das unschuldige Kleine vor mir hatte. Das war vielleicht ein Kampf und Abenteuer. Dann fügte sie noch hinzu: „Danke, dass du mich so toll begleitet hast.“

Mit einer Spende für 1000plus unterstützen Sie Schwangere in Not. Sie können sich aber auch anders für das Projekt einsetzen: als Helfer. Sie haben Zeit für eine Kinderbetreuung, würden einer Schwangeren bei einem Umzug helfen oder bei einem Behördengang – oder haben einfach nur ein offenes Ohr für sie? Dann sind Sie richtig als Helfer für 1000plus – und damit ganz konkret für Schwangere in Not. Anmelden für das Helfernetzwerk können Sie sich auf www.1000plus.net/mach-mit oder telefonisch unter 089/ 54 04 10 50.

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