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In göttlicher Mission

Kunst: Kaum jemand hat die christliche Kunst nachhaltiger geprägt als das Universalgenie Michelangelo Buonarotti. Von Natalie Nordio
Der Höllenschlund
Foto: IN | Der Höllenschlund: Die Teufelsfratzen sollen den Betrachter an das Jüngste Gericht erinnern.

Mit seinem muskulösen Oberkörper stemmt sich Petrus von dem Kreuzbalken nach oben. Der Kopf des Heiligen ist leicht angehoben und nach rechts gedreht. Sein strenger Blick, der unmissverständlich auf den Betrachter gerichtet ist, hat etwas Vorwurfsvolles und zugleich Mahnendes. Zum letzten Mal sollte Michelangelo für die „Kreuzigung Petri“, die gemeinsam mit der „Bekehrung des Paulus“ für die Cappella Paolina zwischen 1542 und 1550 entstand, einen Pinsel in die Hand nehmen. Papst Paul III. hatte ihn mit der Ausmalung des nach ihm benannten privaten Andachtsortes betraut. Nicht weit von der Sixtinischen Kapelle entfernt diente die „Paolina“ aber auch als Sakraments- und Konklavekapelle. Das Bildprogramm war daher einem sehr exklusiven Kreis vorbehalten, denn für gewöhnlich kamen nur der Papst und das Kardinalskolleg hier zusammen. Ein Umstand, den Michelangelo nicht nur kannte, sondern in der Kreuzigung des Petrus auch gezielt für eine Botschaft nutze. Michelangelo kritisierte die kirchliche Obrigkeit und so schaut Petrus, der Erste in der Nachfolge Jesu, mit mahnendem Blick auf die Besucher, also den amtierenden Papst und die künftigen Kandidaten auf dem Stuhl Petri.

Er machte in Bildern seinem Ärger Luft

Auf dem nur kurz zuvor fertiggestellten Jüngsten Gericht in der Sixtinischen Kapelle hatte Michelangelo mit der gleichen Absicht den Höllenschlund auf direkter Augenhöhe zum Altar ins Bild platziert. So musste der Zelebrant die heilige Messe mit direktem Blick auf die teuflischen Fratzen feiern. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der sehr gläubige Michelangelo nicht mit allem einig war, was am päpstlichen Hof vor sich ging, und er seinem Ärger mit Worten oder in Bildern Luft machte. All seinem Groll zum Trotz muss man aber ehrlicherweise einräumen, dass Michelangelo seine Karriere größtenteils dem Papst und der kirchlichen Obrigkeit verdankte. Denn in ihrem Auftrag schuf er einige seiner berühmtesten Kunstwerke.

Eigentlich waren die Buonarottis in Florenz ansässig und gehörten dort zur besseren Gesellschaft. Eine wirtschaftliche Schieflage zwang jedoch Michelangelos Vater, Ludovico di Leonardo Buonarroti Simoni, nach jedem finanziellen Strohhalm zu greifen, der sich ihm bot – und dazu gehörte auch das wenig prestigeträchtige, aber recht gut bezahlte Amt des Stadtvogts von Caprese. So kam es, dass Ludovico mit seiner Frau Francesca di Neri del Miniato del Sera, Michelangelos Mutter, und ihrem ersten Kind, dem zweijährigen Lionardo, um das Jahr 1475 nicht in der Hauptstadt Florenz lebte, sondern in der toskanischen Provinz. Hier in Caprese kam am 6. März 1475 Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni als zweites von insgesamt fünf Kindern zur Welt. Noch heute kann man in der Tausendseelen-Gemeinde in der Provinz von Arezzo auf den Spuren des berühmten Dorfbewohners wandeln und neben dem Wohnhaus der Familie auch die kleine Dorfkirche San Giovanni Battista besuchen, in der am 8. März 1475 der nur zwei Tage alte Michelangelo getauft wurde.

Seine Kindheit und Jugend verbrachte Michelangelo im Florenz des späten fünfzehnten Jahrhunderts und damit in einer Stadt der Gegensätze. Unter der Herrschaft der Medicis stieg Florenz zur florierenden Handels- und Finanzmetropole auf. Im Zeitalter der Renaissance war es die Kunst- und Kulturhauptstadt Europas und Hochburg des neuen humanistischen Denkens, das am Hofe der Medicis in allen Facetten gelebt wurde. Hier verkehrten die berühmtesten Künstler. Wissenschaftler aller Disziplinen, Philosophen, Dichter und Denker tauschten am Hof ihre Ideen aus. Baumeister hinterließen in der Stadt weithin sichtbare Zeichen dieser neuen Denk- und Kunst-Kultur – wie Brunelleschis atemberaubende Kuppel von Santa Maria del Fiore. Doch das höfische Treiben der Medicis war einem ganz besonders bitter aufgestoßen: Girolamo Savonarola. Der Dominikanermönch störte sich besonders an dem verschwenderischen und wenig sittsamen Lebenswandel der Florentiner Upperclass, die er immer wieder in öffentlichen Bußpredigten anprangerte, womit er kurzzeitig in der Stadt sogar die Oberhand gewann.

In diesem wechselseitigen Stimmungsgefilde begann für den dreizehnjährigen Michelangelo als bezahlter Lehrling in der Werkstatt des Domenico Ghirlandaio der Ernst des Lebens. Gegen den Willen des Vaters hatte sich der starrsinnige Michelangelo bereits durchgesetzt. Seit frühester Kindheit stand für ihn fest, dass er ein großer Künstler wird. Nun galt es, auch den Meister von sich zu überzeugen. Domenico Ghirlandaio war bereits ein angesehener Maler und steckte beim Eintritt Michelangelos in seine Werkstatt mitten in den Arbeiten am Dominikanerkonvent von Santa Maria Novella. Wie die meisten seiner Kollegen war auch Ghirlandaio sehr gläubig und viele der dortigen Mönche gehörten zu seinem privaten Freundeskreis. Von ihm bekam Michelangelo sein theologisches Rüstzeug, das gemeinsam mit seinem Glauben, wie er ihn im familiären Umfeld lebte und praktizierte – einer seiner Brüder war als Mönch sogar ins Kloster eingetreten – zum Fundament seines Kunstverständnisses wurde.

Am Hofe der Medici folgte für Michelangelo der zweite Teil seiner Ausbildung. Als Stipendiat der von Lorenzo de' Medici, auch „der Prächtige“ genannt, gegründeten Kunstakademie, die unter der Leitung von Bertoldo di Giovanni, dem letzten Assistenten des großen Donatello, stand, bekam Michelangelo das humanistische Handwerkszeug. Hier in den Gärten von San Marco widmete er sich dem Studium der antiken Skulpturen und wurde in der Bildhauerkunst unterwiesen. Bei einem seiner vielen Besuche in den Gärten soll Lorenzo „der Prächtige“ auf Michelangelo aufmerksam geworden sein und den damals etwa Fünfzehnjährigen fortan wie eine Art Adoptivsohn behandelt haben. Zeitweise soll Michelangelo dann sogar im Palast der Medicis gewohnt haben.

Der Glaube bestimmt sein künstlerisches Schaffen

So gegensätzlich wie das Gesicht der Stadt Florenz war auch Michelangelos Ausbildung, in der sich traditionell religiöse Eindrücke mit antik-mythologischen vermischten. Von Anbeginn ist es aber dennoch der Glaube, der sein Kunstschaffen konditioniert. Das zeigt bereits die „Madonna an der Treppe“, die als frühestes bekanntes Werk Michelangelos gilt und auf das Jahr 1491 zu datieren ist. Denn anders als es von dem stark humanistisch geprägten Umfeld, in dem das Werk entstand, zu erwarten wäre, sitzt Maria hier nicht in erster Linie als Frau und Mutter, sondern als Königin und „Mater Ecclesiae“.

Der große Durchbruch für Michelangelo als Bildhauer kam rund zehn Jahre später während seines ersten Aufenthalts in Rom. In der Papststadt hatte der französische Kardinal Jean Bilheres de Lagraulas den gerade einmal Zwanzigjährigen mit einer Marmorskulptur beauftragt. Das Ergebnis kann man noch heute in der ersten Kapelle im rechten Seitenschiff von Sankt Peter bewundern: die Pieta. Die Figur aus feinstem Carrara-Marmor ist die mit Abstand schönste trauernde Maria der Kunst. Meisterhaft hat Michelangelo den Gegensatz zwischen der trauernden und blutjungen, aber vor Leben strotzenden Maria und dem toten Jesus herausgearbeitet, aus dessen Körper bereits alles Leben gewichen ist und dessen rechter Arm schlaff und leblos vom Schoss der Mutter herabhängt.

Wie sehr Michelangelo sich dem Thema der Pieta verbunden fühlte, zeigte er zum Ende seiner Karriere. Die „Pieta Rondanini“, die heute in Mailand aufbewahrt wird, entstand zwischen 1552 und 1564 als eine seiner letzten Arbeiten und zählt zur Gruppe der so genannten „Non-finito“-Skulpturen, was so viel heißt wie unfertig. Wie die Mailänder Pieta war auch die Florentiner Version, die „Pieta Bandini“, von Michelangelo für sein eigenes Grabmal bestimmt. Als solche sind sie als letzte Ehrbezeugung des Künstlers an Jesus Christus zu verstehen. Denn die Figur des heiligen Nikodemus, die in der Florentiner-Pieta den sterbenden Gottessohn von hinten stützt, ist kein anderer als Michelangelo selbst. Für den Bildhauer war die Pieta der Startschuss, für den Maler die Decke der Sixtinischen Kapelle. Nach anfänglichen Schwierigkeiten – „...zum Malen taug ich nicht“, soll er Papst Julius II. geantwortet haben, als dieser ihn mit dem Auftrag betraute – fand Michelangelo auch in der Malerei zu meisterhaften Formen und brachte seine größten Kritiker – wenn auch nur vorübergehend – zum Schweigen.

Als Julius II. am 1. November 1512 zum ersten Mal unter der neuen Decke die Messe feierte, muss allen Anwesenden beim Anblick von Michelangelos Schöpfungsgeschichte, um die sich im Wechsel heidnische Sybillen, alttestamentarische Propheten, nackte muskulöse Jünglinge und noch einiges anderes Beiwerk tummeln, vor Staunen der Mund offen gestanden haben. Nie zuvor hatte man etwas Vergleichbares gesehen. Mit dem rund zwanzig Jahre später entstandenen Jüngsten Gericht, an dem der nun 61-jährige Michelangelo von 1536 bis 1541 im Auftrag Papst Pauls III. arbeitete, setzt Michelangelo in der Sixtina seinen persönlichen Schlussakkord. War an der Decke noch der Anfang von allem das Thema, folgte an der Stirnwand das Ende. Doch kein liebenswerter und gutmütiger Jesus steht dort inmitten der Heiligen und schaut herab, sondern der Richter mit strengem Blick, der gekommen ist, um sein Urteil über die Menschheit zu verkünden. Den Blick in den Höllenschlund gab es für den Zelebranten von Michelangelo gratis dazu.

Seine Gedichte sind Gebete

Dieses tiefe religiöse Gefühl, das in allen seinen Kunstwerken immer nur vermutet oder als solches interpretiert werden kann, liefert Michelangelo, der Poet, ganz unverblümt und direkt. Denn fast alle seine Gedichte gleichen Gebeten, die er an Jesus und Gottvater richtet. Den Glauben selbst bezeichnet er in einem Sonette gar als „dono dei doni“, als „Geschenk aller Geschenke“ und damit als das höchste Gut, das man besitzen kann.

Als Michelangelo von Papst Paul III. 1547 die Leitung für das Bauprojekt der neuen Peterskirche übertragen wurde, sprühte er nicht gerade vor Begeisterung. Doch er nahm den Auftrag an, allerdings ohne dafür entlohnt werden zu wollen, denn allein der Ehre und Liebe Gottes und der Apostel wegen wolle er in Sankt Peter ans Werk gehen. So schildert es später der Kunstbiograf und Freund Michelangelos, Giorgio Vasari. Dem ersten der Apostel und Fels der Kirche Jesu zu Ehren eine Basilika zu erbauen war für Michelangelo keine Frage des Geldes, sondern vielmehr eine göttliche Mission, die er, komme was wolle, zu Ende bringen wollte.

Bis zu seinem Tod trieb Michelangelo den Bau voran, musste sich letztlich aber dem Wettlauf gegen die Zeit geschlagen geben. Als er im Alter von knapp neunzig Jahren am 18. Februar 1564 starb, war Sankt Peter noch für etliche Jahre im Bau. Die Fertigstellung der Kuppel erfolgte mit wenigen Änderungen nach seinen Berechnungen und ist heute das Symbol des Papsttums in der ganzen Welt.

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