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John Henry Newman: Ein freier katholischer Geist

Die Biografie zur Heiligsprechung: "John Henry Newman" von Charles Stephen Dessain als Neuausgabe erschienen.
Kardinal John Henry Newman, Porträt von John Everett Millais
Foto: Wikipedia

Bald ist es soweit: der selige Kardinal John Henry Newman wird heiliggesprochen. Just zu der Zeit, da in Rom die Amazonas-Synode stattfindet, die bereits im Vorfeld für erhebliche theologische Spannungen und Konflikte sorgte, wird der Brite zur Ehre der Altäre (13. Oktober) erhoben. Groß ist die Freude – sowohl bei Traditionsbewussten wie auch bei progressiven Katholiken, denn beide Strömungen, die heute die Gestalt der Kirche so entscheidend prägen, proklamieren Newman für sich, was darauf hindeuten könnte, dass der große Theologe und Denker, der 1801 in London zur Welt kam und 1845 zum Katholizismus konvertierte, ein von bipolarem Lagerdenken freier Geist war.

Davon Zeugnis gibt die von Charles Stephen Dessain (1907-1976) verfasste Biografie „John Henry Newman“, die bereits 1980 im St. Benno Verlag erschien und nun – passend zur Heiligsprechung – von Media Maria neu herausgegeben wird. Dessain, der viele Jahre Verantwortung trug für das Newman-Archiv in Birmingham und zu Lebzeiten als Experte von Newmans Biografie und Schriften galt, präsentiert „il mio cardinale“ (Leo XIII.) als einen Mann der stetigen spirituellen und intellektuellen Weiterentwicklung. Und als prophetische Gestalt.

Dementsprechend brandet einem schon beim Vorwort von Werner Becker eine große V2-Begeisterung entgegen. „Das Konzil brachte in der katholischen Kirche einen ganz neuen Anstoß für die theologische Reflexion über ihr Wesen und ihre Sendung und eine neue Zuwendung zur Welt. Wir sahen, dass die theologische Situation in der Mitte unseres Jahrhunderts von Newman erheblich mitgeprägt war. Und so war es nicht eigentlich überraschend, dass Papst Johannes XXIII. sich gleich in der Enzyklika, die er zur Einberufung des Konzils schrieb, auf Newman berief.“ Auch Papst Paul VI. hielt die „Stunde Newmans“ für gekommen und betonte: „Newman, dessen Leben unter dem Wort stand: ,Ich habe eine Sendung zu erfüllen‘, hat einzig von der Liebe zur Wahrheit und der Treue zu Christus geleitet einen Weg vollendet, der zu den wirkmächtigsten und auch zu den bedeutendsten, charakteristischsten und konsequentesten Wegen gehört, die das menschliche Denken im vergangenen Jahrhundert, ja man kann sagen, in der ganzen modernen Zeit gegangen ist, mit dem Ziel, zugleich zur Füllwe der Weisheit und des inneren Friedens zu gelangen.“

Da Newman ein entschiedener Kritiker des Ersten Vatikanischen Konzils war und bekanntlich zuerst auf das Gewissen und dann erst auf den Papst anzustoßen gewillt war, kann man die Newman-freundliche Haltung der Konzilspäpste verstehen.

Demütige Geradlinigkeit im Umgang mit Schwierigkeiten

Sehr gut gelingt es Dessain, die verschiedenen Stationen in Newmans Leben darzustellen – mit all den theologischen Kämpfen und Denk-Risiken, die für Newman, diesem messerscharfen Analytiker, entscheidend waren. Besonders die Konversion des einstigen Anführers der anglikanischen „Oxford Bewegung“ und ihr theologisches Fundament schildert Dessain mit fachkundigem Wissen: „Mit dem Essay on the Development of Christian Doctrine (Über die Entwicklung der Glaubenslehre) wollte Newman auch der Pflicht genügen, anderen die Gründe für den Wandel in seinen Überzeugungen darzulegen. Die Entwicklungstheorie war ,eine Hypothese zur Erklärung einer Schwierigkeit‘, nämlich des Unterschiedes zwischen der Lehre der ursprünglichen Kirche und der des 19. Jahrhunderts. Es war der gleiche Unterschied, der zwischen einem Kind und einem Erwachsenen besteht. Newman entwickelte sieben pragmatische Kriterien, um legitime Entwicklungen von Verfälschungen (,Korruptionen‘) zu unterscheiden: die Treue zur ursprünglichen Idee, die Kontinuität der Prinzipien, die Kraft, Ideen von außen zu assimilieren, die frühe Vorwegnahme der späteren Lehre, eine durch die Untersuchung der Entwicklungen erkennbare logische Folgerichtigkeit, die Bewahrung der frühen Lehre, die ungebrochene Fortdauer kraftvollen Lebens.“ Heute könnte man diese Kriterien als die Newman-Option bezeichnen.

Mit viel Sympathie und belegt durch zahlreiche Briefe und Artikel schildert Dessain auch die demütige Geradlinigkeit Newmans beim Umgang mit Schwierigkeiten, die seinen Dienst in der katholischen Kirche begleiteten. Etwa die nur kurzzeitige Tätigkeit als Chefredakteur der Zeitschrift „Rambler“, bei der Newman seine Einstellung zur Rolle der Laien zum Verhängnis wurde. „Newman hatte nur zu bald für diesen Akt der Ritterlichkeit zu büßen. Der Ushawer Theologe Dr. Gillow schrieb ihm, es sei Häresie zu sagen, die Laien würden in Sachen der Lehre konsultiert. Newman gelang es zwar, sich zu rechtfertigen und Dr. Gillow zu beschwichtigen, aber er sandte dessen Brief an Bischof Ullathorne mit der Bitte, einen theologischen Zensor für den Rambler zu benennen. Ullathorne jedoch, der sich nicht festlegen wollte, stattete am 22. Mai dem Oratorium einen Besuch ab.“ Newman wurde von seinem Hirten quasi gezwungen, das Amt niederzulegen. Sein Erkenntnisgewinn: „Wer zur falschen Zeit etwas versucht, was in sich selbst richtig ist, kann zum Häretiker oder Schismatiker werden ... Wenn ich einmal nicht mehr bin, wird man vielleicht erkennen, dass mich andere daran hinderten, ein Werk zu tun, das ich möglicherweise hätte vollbringen können.“

Dass Newman, dessen Klassiker „Apologia pro vita sua“ ebenfalls im Media Maria Verlag erschienen ist, bei traditionsbewussten Gläubigen eine Reputation besitzt, dürfte an seiner kritischen Haltung zum Liberalismus liegen.

Unvergessen seine Dankesrede als 78-jähriger, neu gekürter Kardinal: „Seit dreißig, vierzig, fünfzig Jahren habe ich nach besten Kräften dem Geist des Liberalismus in der Religion widerstanden. Niemals vorher bedurfte die heilige Kirche der Vorkämpfer gegen den Liberalismus schmerzlicher als jetzt. (…) Liberalismus in der Religion ist die Lehre, dass es keine bestimmte religiöse Wahrheit gäbe ... Er verträgt sich nicht mit der Anerkennung einer Religion als der wahren. ... Offenbarungsreligion ist für den Liberalismus nicht eine Wahrheit, sondern Gefühl und Geschmack ... Frömmigkeit ist nicht notwendig aus Glauben begründet.“

Die Kardinal Newman-Biografie von Charles Stephen Dessain führt den Leser auf anregende Weise zu einem großen katholischen Denker und Gläubigen der Neuzeit. Man lernt viel über Newman und seine Zeit und auch einiges über die unsrige.

Charles Stephen Dessain: John Henry Newman. Wegbereiter der Erneuerung der Kirche. Media Maria, Illertissen 2019, 352 Seiten, ISBN 978-3-9479310-8-8, EUR 19,95
 

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