Nach Ansicht der von der Bundesregierung eingesetzten „Kommission für Reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ hält die derzeitige Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen – „rechtswidrig, aber straffrei“ binnen 12 Wochen nach einer verpflichtenden, ergebnisoffen zu führenden Beratung der Schwangeren – einer verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung nicht stand. Das erklärten Mitglieder der Kommission am Montagvormittag bei der Vorstellung ihres Berichts vor der Bundespressekonferenz in Berlin.
Die Ampelregierung hatte die Kommission im März 2023 beauftragt, zu prüfen, „ob und wie der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden kann“. Eine weitere Arbeitsgruppe der Kommission sollte prüfen, ob die in Deutschland geltenden Verbote der Eizellespende und Leihmutterschaft aufgehoben und eine „altruistische Leihmutterschaft“ eingeführt werden könne. Die offizielle Vorstellung des Berichts erfolgt heute um 13.00 Uhr im Bundesgesundheitsministerium.
Vorstellung vor der Bundespressekonferenz
Vor der Bundespressekonferenz erklärte die Koordinatorin der Arbeitsgruppe 1, Liane Wörner: „Die Paragrafen 218ff Strafgesetzbuch widersprechen in Teilen den Ergebnissen der Arbeitsgruppe. Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Abbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft, derzeit Paragraf 218a des Strafgesetzbuchs, ist nicht haltbar. Hier sollte der Gesetzgeber tätig werden und den Abbruch der Schwangerschaft rechtmäßig und straflos stellen. Er kann unter Hinzuziehung sämtlicher Abwägungsaspekte auch den Abbruch in der mittleren Phase rechtmäßig und straffrei stellen. In der späteren Phase der Schwangerschaft ist der Abbruch grundsätzlich rechtswidrig, muss aber nicht zwingend strafbar sein.“
Darüber hinaus sei der „Abbruch als rechtmäßig zu erlauben, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft von der Schwangeren wegen einer Indikation nicht verlangt werden darf“. „Wann immer der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft unzumutbar ist, entfällt die Pflicht zur Austragung, der Abbruch muss rechtmäßig sein.“ Ferner gelte es, „die Schwangere vor nicht selbstbestimmten und unsicheren Abtreibungen zu schützen“. Als „strafbar zu erfassen“ seien „der Abbruch gegen ihren Willen, die Nötigung, den Abbruch zu unterlassen und die Nötigung zum Abbruch“, so die Strafrechtsprofessorin der Universität Konstanz.
Abkehr von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Die Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf von der Universität Potsdam erklärte, „in der Frühphase“ der Schwangerschaft seien „die Belange des Ungeborenen und die Belange der Schwangeren anders zu gewichten als im mittleren und späteren Stadium der Schwangerschaft“. Zwar schütze das Grundgesetz „das Recht auf Leben nicht erst für den Menschen nach der Geburt, sondern auch schon für den Embryo im Mutterleib, jedenfalls nach der Nidation, das heißt, ab der Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter. Das Lebensrecht hat aber vor der Geburt nicht das gleiche Gewicht wie danach. Denn zwischen dem Ungeborenen und der Schwangeren besteht eine körperliche Einheit.“ Auch sei „das Ungeborene lange Zeit nicht allein lebensfähig, sondern existenziell abhängig vom Organismus der Schwangeren“.
Ginge man „von einem gleichen Lebensrecht des geborenen und ungeborenen Lebens aus, wie es das Bundesverfassungsgericht in Entscheidungen aus 1975 und 1993 getan hat, dann wären Konflikte ,Leben gegen Leben‘ gar nicht lösbar und der Schwangerschaftsabbruch, selbst in Situationen, in denen die Fortsetzung der Schwangerschaft das Leben der Schwangeren gefährdet, rechtswidrig“. Daher trete „in der Frühphase der Schwangerschaft der Lebensschutz des Ungeborenen gegenüber dem Abbruchverlangen der Schwangeren zurück“. DT/reh
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