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Gräueltaten der Roten Khmer: Wer Brille trug, musste sterben

Der Prozess gegen die Roten Khmer in Kambodscha geht dem Ende entgegen. Von Robert Luchs
Völkermord-Tribunal
Foto: deinabdruck | Laut einer an der kalifornischen Universität Berkeley durchgeführten Untersuchung begrüßen mehr als zwei Drittel der Befragten das Völkermord-Tribunal.

Das Völkermord-Tribunal in Kambodscha ist eine der größten juristischen Herausforderungen in der jüngeren Geschichte. Groß nicht nur, was die Dauer und den finanziellen Aufwand angeht. Groß vor allem die Menge der ungeheuerlichen Anschuldigungen, von Völkermord, Zwangsvertreibungen, Massenverheiratungen bis hin zu organisierten Vergewaltigungen. Monströs auch die Zahl der Opfer. Fast vier Jahrzehnte nach der Niederlage der Roten Khmer in Kambodscha ist die Suche nach Gerechtigkeit fast beendet. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass eines der schwärzesten Kapitel in der Geschichte des südostasiatischen Landes schon bald abgeschlossen sein wird.

Unter dem Terror-Regime der Roten Khmer starben zwischen 1975 bis 1979 mindestens zwei Millionen Menschen. Ziel der Rebellen war die „perfekte Revolution“; das südostasiatische Land sollte in eine kollektivistische Agrargesellschaft umgewandelt werden. Die Roten Khmer, ihre Spitzenkader hatten mit mehr oder weniger Erfolg an der Pariser Sorbonne studiert, steigerten sich im Verlauf ihrer Herrschaft in einen Blutrausch, dem schließlich auch eigene Leute zum Opfer fielen.

Überwiegend Kindersoldaten bildeten die Speerspitze im Kampf, und auch die im Dschungel geschulten Anführer der schwarz gekleideten Rebellen waren nicht älter als zwanzig Jahre. Jeder, der eine Brille trug, galt als der verhassten Intelligenz zugehörig, und wurde umgebracht. Buddhisten wurden gnadenlos verfolgt und erschlagen; die Pagoden zum größten Teil zerstört und verbrannt. Banken wurden in die Luft gejagt. Vietnamesen wurden ebenso umgebracht wie die ethnische Minderheit der Cham. Ausgedacht hatte die Gräueltaten das kranke Hirn von Pol Pot, ein Bauernsohn mit Namen Saloth Sar.

Fast 38 Jahre nach dem Ende der Gewaltorgie bestätigte das Tribunal in einem Berufungsverfahren die lebenslangen Haftstrafen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord für die Rot-Khmer-Anführer Nuon Chea (90), Chefideologe, und Khieu Samphan (85), den von den Roten Khmer eingesetzten Präsidenten. In einem weiteren Verfahren wird den beiden hohen Kadern Genozid an der vietnamesischen und der muslimischen Minderheit in Kambodscha zur Last gelegt, außerdem massenhafte Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen.

Bisher ist nur ein weiterer Anführer verurteilt worden. Kaing Guek Eav, alias Duch, war der Chef des berüchtigten S21-Gefängnisses in der Hauptstadt Phnom Penh und verantwortlich für den Tod von 14 000 Gefangenen, darunter auch einige Ausländer. Sie wurden auf den „Killing Fields“ vor den Toren der Hauptstadt Phnom Penh mit Haken erschlagen. Duch hat gestanden, dass es sogar chirurgische Experimente an lebenden Gefangenen gegeben hat. Auch Duch musste lebenslang hinter Gitter.

Zwar hatte Duch erklärt, im Auftrag des Zentralkomitees gehandelt zu haben. Er leugnete jedoch nicht, dass er Schuld auf sich geladen habe. „Es tut mir leid, was damals passiert ist. Jetzt muss Gott über meine Zukunft entscheiden“, erklärte er nach seiner Festnahme. Er habe das Christentum gewählt, weil er sicherstellen wollte, dass nach seinem Tod für seine Kinder gesorgt werde. Der Chef-Folterer soll das Schreckensgefängnis Tuol Sleng mit eiskalter Präzision geleitet haben.

Einige hochrangige Rote Khmer entkamen durch ihren Tod der Gerechtigkeit. Pol Pot, genannt „Bruder Nummer eins“, starb 1998, nachdem ihm seine eigenen Leute im Dschungel den Prozess gemacht hatten. Neth Pheaktra, ein Sprecher des von den Vereinten Nationen unterstützten Tribunals, umreißt dessen Aufgabe: „Der Gerichtshof fördert Versöhnung und bietet Kambodschanern gleichzeitig die Möglichkeit, ihre Geschichte aufzuarbeiten.“

Juristen an dem von den Vereinten Nationen unterstützten Tribunal halten die Beweislage, vor allem bei Khieu Samphan, für schwierig. Der frühere Ermittlungsrichter Marcel Lemonde sagte in einem Interview, das Verfahren gegen die Roten Khmer wäre keineswegs gescheitert, auch wenn es zu Freisprüchen komme. Solche Urteile müssten den Kambodschanern ausreichend erklärt werden. In den kambodschanischen Medien war immer wieder der Vorwurf erhoben worden, das Völkermord-Tribunal habe den Kambodschanern nicht ausreichend erklärt, worin seine Ziele bestünden.

Die Ermittler sind kürzlich auf ein weiteres Gefängnis aus der Zeit der Schreckensherrschaft gestoßen. Zeugenaussagen und Beweise über weitere Folter könnten dem Tribunal eine unerwartete Wende geben. Es ist kein Geheimnis, dass in der Regierung von Ministerpräsident Hun Sen noch Rote Khmer sitzen, die das Tribunal fürchten. Hun Sen selbst war Kommandeur eines Regiments der Rebellen, bevor er nach Vietnam flüchtete. Auch Parlamentspräsident Heng Samrin war unter Pol Pot ein hoher Kader.

Kambodschanische Staatsanwälte am Tribunal wenden sich dagegen, dass weitere mutmaßliche Täter vor Gericht gebracht werden. Sie berufen sich auf die Prozessordnung, wonach nur die engste Führungsschicht und die Hauptverantwortlichen („most responsible person“) angeklagt werden dürfen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Hun Sen droht, das ganze Gerichtsverfahren platzen zu lassen und sich über die Gerichtsbarkeit hinwegzusetzen. Wären dem Tribunal nicht enge Grenzen gesetzt worden, dann wäre seine Einsetzung vor über einem Jahrzehnt am Veto der Volksrepublik China im Weltsicherheitsrat gescheitert.

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