Die Sonderkorrespondentin der französischen Tageszeitung „Le Figaro“ in Kiew, Margaux Benn, berichtet über das Schicksal von durch russische Soldaten vergewaltigte Ukrainerinnen. Dabei stützt sie sich auf die Aussagen der ukrainischen klinischen Psychologin Kateryna Haliant, die einige der betroffenen jungen Mädchen und Frauen unter Wahrung ihrer Anonymität kostenlos behandelt. Die Opfer gaben an, von russischen Soldaten in den von ihnen besetzten ukrainischen Gebieten sogar in Anwesenheit von Kindern vergewaltigt worden zu sein.
"Als ob die Russen das geplant hätten"
Die Geschichten ähnelten sich, „als ob die Russen das alles geplant hätten“, meint Kateryna Haliant. Zuerst „kontrollierten die Soldaten morgens oder nachmittags, ob jemand in den Häusern wohne. Dann kamen sie abends zurück, töteten die eventuell noch lebenden Männer des Hauses, plünderten Geld und kostbare Gegenstände. Sie aßen und tranken das, was sie im Haus vorfanden, und als sie betrunken waren, vergewaltigten sie die Mädchen und Frauen. Sogar in Gegenwart von Kindern“, setzt Haliant ihren Bericht fort. Die meisten der Opfer, mit denen die Psychologin und ihre Kollegen bis heute gesprochen hätten, seien minderjährig: „Dies ist ein Hinweis auf die generelle Schwere dieser Verbrechen, doch es ist nur die Spitze des Eisbergs“, so Haliant weiter.
Bis jetzt habe sie persönlich von etwa 20 Fällen erfahren, insbesondere von jungen Frauen, die in Irpin, Butscha und Hostomel lebten, den Epizentren der Kämpfe zwischen den ukrainischen Streitkräften und der russischen Armee nordwestlich von Kiew. Nachdem sich die Russen aus diesen Gebieten zurückgezogen hatten, hätten manche Frauen über das Geschehene berichten können. „Die Opfer, die wir kennen, mussten zwei Hindernisse überwinden: ihrem Martyrium lebend entkommen und es weitererzählen. Doch viele von ihnen sind tot“, sagt die Therapeutin. Manche Fälle würden daher niemals bekannt werden. Von denen unter ihnen, die man lebend aufgefunden habe und die zu schwer verletzt gewesen seien, hätten viele nicht überlebt und seien im Krankenhaus gestorben.
Die Sprache fast völlig verloren
Die drei derzeitigen Patientinnen von Kateryna Haliant, die 16, 17 und 20 Jahre alt sind, hätten ihre Sprache fast völlig verloren. Manche seien, laut Figaro, so schockiert, dass sie sich nicht mehr an ihren eigenen Namen oder ihre Identität oder ihr Leben erinnern könnten. Zusätzlich zu den Traumata, die ihre Erinnerungen und ihre Sprache blockierten, gebe es körperliche Folgen. „Die jungen Mädchen, die ich betreue“, erzählt Haliant, „haben keine Zähne mehr: Die Russen haben sie nicht nur vergewaltigt, sondern ihnen auch die Zähne abgebrochen. Warum? Aus reiner Barbarei? Um sie am Sprechen zu hindern? Ich verstehe das nicht“.
Zu den weiteren körperlichen Folgen der Vergewaltigungen, die die Ärzte an den Überlebenden feststellten, gehörten außerdem Probleme an den inneren Organen. Einige der Opfer müssten umfangreiche gynäkologische Rekonstruktionsoperationen über sich ergehen lassen.
Mehrere informelle Gruppen von freiwillig tätigen Psychologen sammelten nach Aussage des Figaro diese Zeugnisse, die zu einem Dossier zusammengestellt und an den Internationalen Strafgerichtshof geschickt werden sollen. DT/ks
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