Zwei Richter am Obersten Gerichtshof der USA, dem „Supreme Court“, äußern sich bei einer privaten Abendveranstaltung zur Polarisierung der US-Gesellschaft und zu der Frage, ob die USA eine christliche Nation sind – und werden dabei von einer linken Aktivistin heimlich mitgeschnitten. Angesichts einer Reihe anstehender Gerichtsurteile in Fällen, die unter anderem auch den Ausgang der Präsidentschaftswahl beeinflussen könnten, liefern die Äußerungen der Richter neuen Stoff für die derzeit geführte Diskussion um die Rolle der Justiz.
Bei einer jährlich stattfindenden Gala der „Supreme Court Historical Society“ gab sich die linke Aktivistin und Dokumentarfilmerin Lauren Windsor als abtreibungskritische konservative Katholikin aus und sprach mit dem konservativen Richter Samuel Alito und dem ebenfalls konservativen, jedoch immer wieder zur Mitte orientierten John G. Roberts, der auch Vorsitzender des „Supreme Court“ ist. Die heimlich aufgenommenen Gespräche veröffentlichte sie dann im Magazin „Rolling Stone“ sowie auf der Plattform „X“.
Alito: "Die eine oder die andere Seite wird gewinnen"
Im Gespräch mit Alito, das Windsor aktiv suchte, wie aus der Aufnahme hervorgeht, stellt sie die Frage, wie man die Polarisierung in den USA überwinden könne. Als Katholikin, „der ihr Glaube wirklich etwas bedeutet“, sei sie sich nicht sicher, ob man mit den Linken so verhandeln könne, dass die Polarisierung ein Ende finde. Vielmehr gehe es doch darum, „zu gewinnen“.
Alito kommentiert die Äußerungen der als gläubige Katholikin getarnten Aktivistin mit den Worten: „Ich denke, damit liegen Sie wahrscheinlich richtig. Die eine oder die andere Seite wird gewinnen, ich weiß es nicht.“ Es könne zwar einen Weg geben, friedlich zusammenzuarbeiten und zusammenzuleben, jedoch gestalte sich dies schwierig, „denn es gibt Differenzen in fundamentalen Dingen, bei denen man keine Kompromisse eingehen kann“. Windsor betont daraufhin, es gehe darum, die „moralische Diskussion“ zu gewinnen. „Die Leute in diesem Land, die an Gott glauben, müssen weiter dafür kämpfen, unser Land in einen gottesfürchtigen Ort zu verwandeln“. Er stimme ihr zu, so Alito.
Offenbar hatte Windsor im Rahmen derselben Veranstaltung bereits ein Jahr zuvor ein Gespräch mit Alito aufgenommen, das die Aktivistin in dem von ihr nun veröffentlichten Mitschnitt unmittelbar an die Unterhaltung in diesem Jahr anhängte. Daraus geht hervor, dass sie Alito bereits 2023 dazu befragte, wie man die Polarisierung im Land überwinden und das Ansehen des „Supreme Court“ als „letzte Bastion des Vertrauens der Öffentlichkeit“ wiederherstellen könne.
Alito: Mache die Medien verantwortlich
Alito antwortet ihr, er wisse es nicht und ergänzte, es sei leicht, die Medien für die Lage verantwortlich zu machen. „Doch ich mache sie dafür verantwortlich, denn sie tun nichts anderes, als uns zu kritisieren.“ Damit hätten sie das Vertrauen in den Obersten Gerichtshof ausgehöhlt. Gleichzeitig äußert Alito jedoch auch, dass Amerikas Bürger grundsätzlich selbst daran arbeiten müssten, die Polarisierung zu überwinden, da diese sehr gefährlich sei.
An dieser Stelle erklärt Windsor, sie sei „sehr pro-life“ und befürworte auch das neue Grundsatzurteil des „Supreme Court“ in der Abtreibungsfrage. Ob das Gericht denn nicht etwas tun könne, um mehr Leute auf diese Seite zu ziehen? Dies verneint Alito: „Wir haben eine klar definierte Rolle, und wir müssen tun, was wir tun sollen.“
Abschließend fragte Windsor nach, ob man die Person gefunden habe, die im Mai 2022 vorab das Grundsatzurteil in der Abtreibungsfrage an die Medien durchgestochen habe. Auch hier lässt sich Alito nichts entlocken und verweist nur darauf, dass die Mittel des Obersten Gerichtshofs begrenzt seien, man sei schließlich keine Strafverfolgungsbehörde.
John Roberts äußert sich zurückhaltend
In einem separaten Audiomitschnitt unterhält sich Windsor mit dem Vorsitzenden des „Supreme Court“, John G. Roberts, über ähnliche Themen. Roberts äußert sich jedoch noch zurückhaltender als Alito. Man lebe in einer „turbulenten Zeit“, eröffnet Windsor das Gespräch, das ebenfalls von ihr erzwungen wirkt. Wie könne man da die Spaltung des Landes beheben? Roberts antwortet darauf mit der Gegenfrage, wann die Zeiten einmal nicht turbulent gewesen seien? Und er nennt zahlreiche historische Beispiele aus der Vergangenheit, vom Kampf gegen die Sklaverei bis hin zum Vietnamkrieg und der Bürgerrechtsbewegung, um zu belegen, dass die derzeitige Situation im Land nicht unbedingt turbulenter sei. Daraufhin setzt die Aktivistin nach, sie habe einfach das Gefühl, man befinde sich an einem Punkt, an dem die Spaltung im Land so extrem sei, dass man sie nicht mehr reparieren könne. Roberts gibt ihr allerdings zu verstehen, dass er diese Ansicht nicht teile.
Zudem will Windsor auch von Roberts wissen, ob er denn nicht denke, dass es die Rolle des Obersten Gerichtshofs sei, „uns auf einen moralischeren Pfad zu führen“? Dies verneint Roberts: „Die Rolle des Gerichts ist es, Fälle zu entscheiden.“ Das Land auf einen moralischeren Pfad zu führen, sei die Aufgabe der gewählten Volksvertreter, nicht der Juristen.
Kritik an Windsors Vorgehen
Windsor hält dagegen, dass die Gründerväter gottesfürchtig gewesen seien und man ja in einem christlichen Land lebe. Diese Einschätzung teilt Roberts so nicht. „Ich habe viele jüdische und muslimische Freunde, die sagen würden, vielleicht ist das nicht so.“ Die Aufgabe des Obersten Gerichts sei es jedenfalls nicht, festzustellen, ob man in einem christlichen Land lebe, sondern die vorgebrachten Fälle bestmöglich zu entscheiden, erklärt Roberts nochmals.
Die „Supreme Court Historical Society“ verurteilte Windsors Vorgehen, nachdem die Audioaufnahmen bekannt geworden waren. Dies widerspreche dem Geist der Veranstaltung völlig. „Es entspricht unseren Standards, sicherzustellen, dass alle Teilnehmer, inklusive der Richter, mit Respekt behandelt werden“, hieß es in einer Stellungnahme. Die Teilnehmer seien daran erinnert, „dass es streng untersagt ist, laufende oder von diesem Gericht entschiedene Fälle oder die Rechtsprechung eines Richters zu besprechen. Dies kann zum Verlust der Mitgliedschaft in der Society führen.“
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