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Kardinal Rai: Politiker haben nicht auf die Stimme Gottes gehört

Im Libanon droht die Eskalation. Gemeinsame Erklärung der Patriarchen. Kirche stellt sich hinter Forderungen des Volkes.
Im Libanon droht die Eskalation der Gewalt
Foto: Marwan Naamani (dpa) | Im Libanon droht die Eskalation der Gewalt. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gab es zuletzt hunderte Verletzte.

Der maronitische Patriarch des Libanon, Kardinal Bechara Boutros Rai, und der griechisch-orthodoxe Patriarch Youhanna X. von Antiochien haben sich angesichts der eskalierenden Krise im Libanon besorgt gezeigt. Beide Kirchenführer stellten sich hinter „die berechtigen Forderungen“ der Demonstranten. In einer gemeinsamen Erklärung nach einem Treffen am maronitischen Patriarchatssitz in Bkerke verurteilten sie am Mittwoch den „Missbrauch religiöser Überzeugungen und Symbole“ der vergangenen Tage.

Die Kirche stehe hinter den berechtigten Forderungen des libanesischen Volkes im Kampf gegen die Verschwendung öffentlicher Ressourcen sowie gegen Korruption und Missstände bei der Verwaltung, zitiert die KNA die Patriarchen und bezieht sich dabei auf das arabisch-christliche Nachrichtenportal „Abouna“, das über deren gemeinsame Erklärung berichtet hatte. 

Die Stabilität des Landes wiederherstellen  

Die Patriarchen riefen die Verantwortlichen auf, die Erfüllung der berechtigten Forderungen zu beschleunigen und die Integrität und Transparenz der Regierung sicherzustellen. Ferner forderten sie eine schnelle Regierungsbildung, um „die Stabilität des Landes wiederherzustellen und seiner Bevölkerung ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen“. Kardinal Rai und Youhanna X. appellierten an die Sicherheitskräfte des Landes, zusätzliche Anstrengungen zum Schutz der Demonstranten, der Meinungsfreiheit sowie des privaten und öffentlichen Besitzes und des Friedens im Land zu unternehmen.

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Bereits am Sonntag hatte sich der maronitischen Patriarch Rai mit scharfen Worten zur Krise des Libanon geäußert. „Wenn Politiker wirklich vom göttlichen Willen inspiriert wären und beten würden, würde sich der Libanon heute nicht in einer verzweifelten wirtschaftlichen und finanziellen Situation mit gelähmten Institutionen befinden.“

Kardinal Rai: Das Volk wird gedemütigt, es hungert

In seiner Sonntagspredigt war Rai auf die Proteste im Land eingegangen. Das Volk werde gedemütigt, es hungert, kritisierte der Patriarch nach Angaben des Missionsdienstes Fides. Mindestens ein Drittel der Bürger lebe unterhalb der Armutsgrenze, die Hälfte der Libanesen sei arbeitslos. „Hätten die führenden Politiker auf die Stimme Gottes gehört, hätten sie keine öffentlichen Gelder verschwendet, die Ministerien nicht unter sich aufgeteilt und die Forderungen der Demonstranten und Streikenden nicht ignoriert“, betonte Rai.

Der Kardinal zeigte sich überzeugt, dass die Unzufriedenheit alle Bereiche der libanesischen Gesellschaft durchziehe. Ein Phänomen, das Politiker „nicht ignorieren oder unterschätzen sollten“, mahnte der Kardinal.

Caritas-Chef: Die vielen Flüchtlingen sind eine zusätzliche Belastung

Erst vor kurzem hatte der Präsident der libanesischen Caritas, Paul Karam, vor einer Eskalation der Situation im Libanon gewarnt. In den vergangenen beiden Jahren hätten sich die Spannungen weiter verschärft. Die Libanesen seien in ihrer Würde verletzt, sagte Karam. Die Infrastruktur breche zusammen, es gebe keine ausreichende Stromversorgung, und die 1,7 Millionen Flüchtlinge im Land seien eine zusätzliche Belastung. „Die Libanesen haben das Gefühl, dass sich niemand um sie kümmert.“ Sie hätten das Vertrauen in die Regierung verloren. „Und jetzt rufen die Menschen: Genug!“ Das sei in den Augen der Kirche nachvollziehbar. „Als Kirche sind wir uns allerdings auch bewusst, was auf dem Spiel steht“, betonte Karam.

Seit über zwei Monaten demonstrieren die Menschen im Libanon gegen ihre politische Eliten. Der wachsende Zorn der Demonstranten richten sich gegen Misswirtschaft, Korruption und die strenge Aufteilung politischer Posten nach religiösem Proporz. In Beirut war es zuletzt bei Demonstrationen zu schweren Zusammenstößen mit Hunderten Verletzten gekommen. Laut libanesischen Medienberichten sind an zentralen Stätten des Protestes verstärkt Sicherheitskräfte aufgezogen und haben Barrikaden errichtet. Die Lage sei angespannt. 

DT

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