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Frankreich: Jugendbanden werden immer aggressiver

Ein 15-Jähriger wurde kürzlich in Paris von einer Bande Jugendlicher brutal zusammengeschlagen. Derartige Vorfälle häufen sich. Das französische Magazin Valeurs actuelles nennt Zahlen und Hintergründe des Phänomens.
Vorstädte von Paris - Bobigny
Foto: Peter Zschunke (dpa) | Wandmalerei an einer Mauer in Bobigny. Der Ort in der Pariser Banlieue gilt als sozialer Brennpunkt. Hier leben rund 48.000 Einwohner, darunter viele Migranten.

Der brutale Angriff auf einen 15-Jährigen in einem eher bürgerlichen Pariser Stadtviertel erschüttert seit einigen Tagen ganz Frankreich. Der Junge namens Yuriy wurde von einem Dutzend jugendlicher Bandenmitglieder aus der Banlieue zusammengeschlagen und auf dem Boden liegend brutal mit Fußtritten traktiert, wie ein im Internet kursierendes Video zeigt. Seine Verletzungen waren so schwer, dass er zeitweise in ein Koma versetzt werden musste. Valeurs actuelles widmet sich den immer gewalttätiger werdenden Bandenkriegen in Paris, aber auch anderswo in Frankreich.

Fast ausschließlich männliche Jugendliche

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Der einstige „Krieg der Knöpfe“ von Jungen, die sich mit Holzschwertern bekämpften, sei nun zu Auseinandersetzungen geworden, die mit Eisenstangen, Lynchjustiz und Messerstichen ausgefochten würden. „Der aufsehenerregende Überfall auf Yuriy – die Folge einer Rivalität zwischen mehreren Banden aus verschiedenen Gebieten der Île-de-France – bildet da keine Ausnahme“, schreibt Valeurs actuelles. In Dijon im Süden kämpften Tschetschenen gegen Maghrebiner, in Essonne im Norden seien am vergangenen Wochenende 36 Personen vorläufig festgenommen worden, darunter auch Minderjährige, die mit Eisenstangen gegeneinander kämpften: „Laut den aktualisierten Zahlen der Pariser Polizeipräfektur soll allein das Pariser Ballungsgebiet ‚46 aktive Banden‘ zählen. Die Polizei weist darauf hin, dass diese Banden fast ausschließlich aus männlichen Jugendlichen bestehen, die meistens minderjährig sind“.

Nach Aussagen des Kriminologen Alain Bauer versuchten diese Banden, ihr Territorium zu verteidigen, aber auch es auszudehnen“. In Paris sei das Phänomen der Schlägereien im Rückgang, insbesondere durch die Einführung von örtlichen polizeilichen Gruppen, die sich speziell dem Bandenphänomen widmen. 2010 wurde ein „Gesetz über die Bandengewalt“ zur Stärkung des Kampfes dagegen erlassen, das es der Polizei ermöglicht, Bandenmitglieder schon dann in Gewahrsam zu nehmen, bevor sie überhaupt eine Tat begehen – allein schon dann, wenn sie sich zu einer Gruppe mit kampflustigen Absichten zusammenschließen.

Steigt die Brutalität tatsächlich an?

Doch warum hat man heute den Eindruck, dass die Gewalt erneut aufflammt?, fragt das Magazin. Ist es nur ein „Gefühl“ der Unsicherheit in Bezug auf die Affäre Yuriy oder steigt die Brutalität tatsächlich an? Thibault de Montbrial, Rechtsanwalt und Gründer der Denkfabrik „Centre de réflexion sur la sécurité intérieure“, merkt dazu an: „Die Gesellschaft wird - je mehr der Staat zurückweicht - nach und nach gewalttätiger. Es besteht kein Grund, dass die Banden diesem Phänomen entgehen“. Man könne bei den Banden eindeutig von einer „Verrohung“ sprechen, „weil der andere, der Rivale, vollständig seines Menschseins beraubt wird. Sein Leben zählt nicht“. Auch wenn die Folgen der Schlägereien manchmal dramatisch sind, schienen die Anlässe nichtig: es könne um ein Mädchen gehen, um eine ausgeborgte oder gestohlene Jacke oder ganz einfach um einen Blick zur Seite“.

Um gegen die Gewalt jugendlicher Banden anzukämpfen, sind die Ordnungshüter, so Valeurs actuelles, mit einem Riesenproblem konfrontiert, das symptomatisch für die Brutalisierung der Banden ist: „Einige der jungen Leute sehen in dem Blau unserer Uniformen die Farbe einer rivalisierenden Bande, der man, wie einer anderen Bande, entgegentreten muss“, teilte ein hochrangiger Polizeibeamter der Île-de-France mit. Das Phänomen sei in bestimmten Banlieues sogar so verbreitet, dass die Angriffe auf Polizeireviere oder Polizeiwagen Legion sind: „Dieser Kampf der Banden gegen die Polizei ist nicht neu“, stellt Alain Bauer fest. „Neu hingegen ist, dass sich früher die Banden wehrten oder vor der Polizei flüchteten, während manche von ihnen heute tatsächlich die Konfrontation suchen“.  DT/ks

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