Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat geurteilt, dass öffentliche Verwaltungen allen Beschäftigten das Tragen religiöser Zeichen verbieten können – auch wenn diese ohne Publikumskontakt tätig sind. „Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen“, so der Gerichtshof am Dienstag in einer Pressemitteilung. Eine solche Regel sei nicht diskriminierend, wenn sie „allgemein und unterschiedslos“ auf das gesamte Personal dieser Verwaltung angewandt werde und sich auf das Notwendige beschränke.
Die „Politik der strikten Neutralität“ sei durch ein rechtmäßiges Ziel, die Schaffung eines vollständig neutralen Verwaltungsumfeldes, sachlich gerechtfertigt. Ebenso gerechtfertigt sei laut der Pressemitteilung eine Politik, die allgemein und undifferenziert das Tragen von sichtbaren religiösen Zeichen auch bei Publikumskontakt gestattet, ebenso wie ein Verbot solcher Zeichen beschränkt auf Situationen mit Publikumskontakt.
„Strikte Neutralität“ soll mit Religionsfreiheit in Einklang gebracht werden
Die Entscheidung des Gerichtshofs geht auf einen Fall zurück, bei der einer Bediensteten in Belgien untersagt wurde, am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen. Die Frau arbeitete als Büroleiterin ohne Publikumskontakt. Daraufhin hatte die Gemeinde den Arbeitnehmern eine „strikte Neutralität“ vorgeschrieben. Die Betroffene hatte wegen Diskriminierung und dem Verstoß gegen die Religionsfreiheit geklagt. Das Arbeitsgericht Lüttich hatte daraufhin die Frage gestellt, ob die „strikte Neutralität“ an öffentlichen Stellen nach EU-Recht diskriminierend sei.
Die Maßnahmen, die Verwaltungen ergreifen, sollen das Ziel des Verbots, die Politik strikter Neutralität, mit der Religionsfreiheit in Einklang bringen. Das zu überprüfen, liegt laut dem Gerichtshof bei den nationalen Gerichten.
Ein verstörendes Urteil
Der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, Pinchas Goldschmidt, hat das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum sichtbaren Tragen religiöser Zeichen am Arbeitsplatz als verstörend bezeichnet. Dies sei ein "Angriff auf das Grundrecht der Religionsfreiheit", schreibt der ehemalige Moskauer Oberrabbiner in der "Jüdischen Allgemeinen". Zwar sei es im konkreten Fall um ein muslimisches Kopftuch gegangen. Allerdings führe das Urteil zu einem "Kollateralschaden" unter Juden und Jüdinnen in Europa: "Wenn mit höchstrichterlicher Bestätigung religiöse Symbole selbst aus den Hinterzimmern europäischer Amtsstuben verbannt werden, gilt das auch uns", so Goldschmidt. DT/sdu mit Material von KAP
Ergänzt um Stellungnahme von Pinchas Goldschmidt am 30. November 2023 um 15:05 Uhr.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.