„Anders katholisch sein“ rief Bischof Georg Bätzing nach dem Ad-limina-Besuch der deutschen Oberhirten im November als ein Ziel aus. Im selben Monat verabschiedeten die Bischöfe eine neue Grundordnung des kirchlichen Dienstes, die für fast alle Laien-Angestellten arbeitsrechtlich maßgeblich ist und nun noch jeweils einzeln in den Diözesen in Kraft gesetzt werden muss. Sie setzt das „anders katholisch sein“ in einem Ausmaß um, das Markus Graulich – maßgeblicher deutscher Kirchenrechtler in der vatikanischen Fachbehörde – die Frage stellen ließ, wozu es dann überhaupt noch eines eigenen kirchlichen Arbeitsrechtes bedürfe. Der staatliche Kirchenaustritt führt nun nicht mehr automatisch zur Kündigung, wie auch nicht die erneute standesamtliche Ehe nach Scheidung oder die gleichgeschlechtliche Verbindung. Wie aber soll der kirchliche Charakter einer Einrichtung gestärkt werden, wenn Mitarbeiter in ihrer persönlichen Lebensführung der kirchlichen Lehre widersprechen, lautet die Frage, die sich aufdrängt.
Die selbst zugefügte Erosion des Katholischen auch in diesem Sektor ist die eine Sache, eine veränderte Sicht der Gerichte auf die grundgesetzlich geschützte Autonomie der Kirchen und Religionsgemeinschaften die andere. Oliver Hiltl, Priester des Bistums Regensburg und Jurist beider Rechte, beleuchtet in seiner kirchenrechtlichen Dissertation die Hintergründe der zunehmend laizistisch geprägten Rechtsprechung europäischer und deutscher Gerichte, bietet aber auch Lösungen, wie ein eigenständiges kirchliches Arbeitsrecht „gerettet“ und zukunftssicher gemacht werden kann.
Juristisches Ringen
Der Fall wurde in den Medien breit diskutiert: Der Chefarzt eines katholischen Krankenhauses im Erzbistum Köln geht nach der Scheidung eine zweite Zivilehe ein; nach Gesprächen mit dem Krankenhaus-Träger erreicht ihn eine ordentliche Kündigung. Es setzte ein Rechtsstreit ein, bei dem drei Arbeitsgerichte die Kündigung für unwirksam hielten, an dem aber auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Bundesverfassungsgericht einen Anteil hatten. Die Luxemburger Richter waren wenig gewillt, sich auf die konkordatär und verfassungsrechtlich gesicherte Sonderstellung der katholischen Kirche in Deutschland einzulassen, die in dieser Form weltweit einmalig ist und hielten fest, dass die katholische Ehelehre keine „wesentliche und gerechtfertigte“ berufliche Anforderung an den Chefarzt eines katholischen Krankenhauses sein könne. In Karlsruhe – das dem EuGH nicht alles durchgehen lässt – sah man das anders, wie Hiltl genau nachzeichnet, doch unterblieb ein zweiter Gang zum deutschen Höchstgericht, der wohl die fehlende Diskriminierung durch die Kündigung festgestellt hätte. Denn mittlerweile hatte eine Änderung der Grundordnung die zivile Zweit-Ehe als Kündigungsgrund verworfen, so dass die Argumentationsgrundlage wegbrach.
Wie sich bei dem jahrelangen Ringen tektonisch-unterirdisch die Bemessungsgrundlagen der Juristen änderten, interessiert Hiltl bei diesem und anderen Fällen, aber auch die Frage, wie eine Kirche, die sich zur eigenen Lehre bekennt, angesichts des Mentalitätswandels agieren soll. Er spricht von „Autonomiekollisionen in diversifizierter Gesellschaft“. Nicht zu bestreiten ist, dass in unserem immer säkularer geprägten Land breite Bevölkerungsschichten mit der katholischen Sexual- und Ehemoral fremdeln, so dass es kaum mehr möglich erscheint, kirchliche Arbeitsstellen mit kirchlich verpflichteten Arbeitnehmern zu besetzen. So „wurden auch nicht katholische Christen, Angehöriger anderer Religionen und Atheisten in die kirchliche Dienstgemeinschaft eingestellt, die sich erst gar nicht der katholischen Morallehre verpflichtet wussten und auch nicht auf Ethos-überzeugungen des Naturrechts und des göttlichen Rechts verpflichtet wurden“. Die in das Grundgesetz übernommenen Kirchen-Artikel der Weimarer Reichsverfassung garantieren mit Art. 140 des Grundgesetzes der Kirche das Recht, sich im Rahmen der Gesetze selbstständig zu ordnen und zu verwalten.
Verfassungen haben keine Ewigkeits-Garantie
Zwar ist seit 1985 geklärt, dass von der Kirche privatautonom begründete Arbeitsverhältnisse grundsätzlich dem Anwendungsbereich des staatlichen Arbeitsrechtes unterliegen, doch bleiben sie geschützte „eigene Angelegenheiten“ der Kirche. Der darauf fußende „dritte Weg“ – den Gewerkschaften ein Dorn im Auge – sieht bis zum heutigen Tag die Verhandlung von Tarifverträgen und Streiks nicht vor, setzt dagegen auf eigene Mitarbeiter-Vertretungen und Arbeitsgerichte. Ob das zu retten sein wird, hängt – so Oliver Hiltl – nicht unwesentlich von der Kirche selber ab. Verfassungen können geändert werden, haben, anders als die Kirche als Heils-Gemeinschaft, keine Ewigkeits-Garantie. Staatlich respektierte Kirchen-Autonomie wird nur da Zukunft haben, „wo die Reziprozität zwischen Ethos und Autonomie transparent nachvollziehbar erscheint“. Von daher hält es der Autor für sinnvoll, auf die „Kraft des Kirchenrechts“ zu setzen. Dieses ist letztlich, über den römisch-rechtlichen Strang, der Vater der europäischen Rechtskulturen, auch wenn die wieder heidnisch gewordenen Kinder einstweilen davon nichts mehr wissen wollen. Doch weiß die Kirche „Rechtskulturen zu verbinden in weltweit umspannender kulturübergreifender gesetzlicher Geltung kirchlicher Gesetzgebung“, die ebenso à jour gebracht und kontinuierlich überarbeitet wurde wie die weltliche Geschwister-Disziplin. Daraus folgt nun als Aufgabe zum einen, am Profil zu arbeiten und zu zeigen, wofür man steht.
Keine leichte Arbeit, wenn aus der eigenen Organisation heraus hinterrücks geschossen wird, wenn fest geglaubtes Fundament sich in Treibsand verwandelt. Doch auch im Arbeitsrecht sieht Hiltl die Bischöfe am Zuge: Es ist „nicht etwa Sache eines Personalchefs vor Ort, sondern die Pflicht des Diözesanbischofs, die ihm vom römischen Pontifex für die Teilkirche übertragen wurde, die Einhaltung der Vorschriften letztlich zu verantworten“. Davor dürfe man sich nicht wegducken, denn „gesellschaftliche Relevanz ist (...) eine Folge des kirchlichen Missionsauftrages mit Blick kirchlichen Handelns auf das bonum commune“. Doch hält es der Autor im Rahmen einer Gesamtschau für erlaubt und sinnvoll, im kirchlich geführten Unternehmen Differenzierungen hinsichtlich der Zuordnung der Bereiche zum Gesamt von Lehre und Sitte der Kirche vorzunehmen: „so dass Personal für Parkplatz- und Parkhausorganisation, Reinigung und Gebäudetechnik, für Essensverpflegung in der Küche und für physiotherapeutische wie auch kosmetische Bereiche als nicht kirchliche Unternehmen geführt werden könnten innerhalb eines katholischen Krankenhauses, während die leitende ärztliche Führung, spirituelle Begleitung, Besuchsdienst (...) sowie Gottesdienste nicht nur von Seelsorgern, sondern von allen damit im weiteren Sinn verbundenen Personen als Unternehmen der Religionsgemeinschaft geführt wird, um so klar das Profil zu schärfen“. Eine solche Differenzierung gäbe es bereits in kirchlichen Krankenhäusern und Pflegeheimen, wenn Frisörsalon, Bistro oder Kiosk fremd geführt werden.
Es liegt an den Menschen
Letzten Endes liegt es an Menschen, an solchen in dienenden Funktionen, die sich als Glied beim Aufbau des Reiches Gottes verstehen, und eben an Chefärzten und anderen Leitenden, die für sich anzunehmen bereit sind, dass sie eine Repräsentativ-Funktion für die Heilsbotschaft nach innen und nach außen innehaben. Dass man an diesem Anspruch auch scheitern kann, schreckt den Autor nicht, der unverblümt auf die unterschätzte Funktion der Beichte hinweist. In seiner umfassend und glänzend argumentierten Arbeit fordert er zu neuer Anstrengung auf, weil auch Europa letztlich ein Gefüge verschiedener Rechtskonzeptionen sei und zur Abwehr von Totalitarismus gut daran tue, die einzelnen bestehenden Autonomien zu achten und einzubinden.
Oliver Hiltl: Autonomiekollisionen in multidiversifizierter Gesellschaft. Arbeitsrechtliche Abwägungen bei Ethosgemeinschaften. Verlag Duncker & Humblot, Berlin, 2022, 458 Seiten, ISBN 978-3-428-18659-4, EUR 99,90
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