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Erstmals regiert ein Muslim Schottland

Der „progressive“ Humza Yousaf gewinnt nur knapp gegen die christlich-konservative Kate Forbes.
Früherer Gesundheitsminister Humza Yousaf wird neuer Leiter der Scottish National Party.
Foto: ROBERT PERRY (EPA) | Früherer Gesundheitsminister Humza Yousaf wird neuer Leiter der Scottish National Party.

Der neue schottische First Minister Humza Yousaf übernimmt eine gespaltene und geschwächte Partei und dürfte es schwer haben, dem Zug zur Unabhängigkeit des Landes wieder Schwung zu geben. Nur überraschend knapp konnte sich der 37-Jährige in der Mitgliederbefragung der Scottish National Party gegen die Zweitplatzierte Kate Forbes durchsetzen, obwohl er klarer Favorit des Parteiestablishments um die zurückgetretene Nicola Sturgeon war. Yousaf kam auf 52 Prozent der Stimmen, Forbes auf rund 48 Prozent.

Konservative Forbes verliert knapp gegen liberalen Yousaf

Das knappe Ergebnis ist durchaus bemerkenswert. Denn beide standen für grundverschiedene Richtungen: Der praktizierende Muslim, dessen Großeltern aus Pakistan einwanderten, präsentierte sich als Vertreter einer betont „progressiven Agenda“: Er will die Unabhängigkeit Schottlands und zurück in die EU. Gleichzeitig steht er für eine linksliberal-grüne Gesellschaftspolitik. Ausdrücklich stellte sich Yousaf auch hinter das umstrittene schottische Transgender-Gesetz, das schon für 16-Jährige einen einfachen Wechsel ihres Geschlechtseintrags ermöglichen soll.

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Im Unterschied dazu gilt Forbes als wertkonservativ. Die erst 32-jährige bisherige Finanzministerin bekennt sich zu ihrer Mitgliedschaft in einer christlich-konservativen schottischen Freikirche. Dafür wurde sie während der Mitgliederentscheids hart angegriffen und musste sich rechtfertigen. Empörung brandete auf, weil sie bekannte, sie hätte einst gegen das Gesetz zur Homo-Ehe gestimmt, das vor knapp zehn Jahren beschlossen wurde. Das aktuelle Transgender-Gesetz lehnt sie klar ab. Dass dennoch fast die Hälfte der SNP-Mitglieder für sie votierten, zeigt, dass viele offenbar konservativer als gedacht eingestellt sind. Forbes genoss einige Sympathien. Befragungen zeigen zudem, dass Humza in der schottischen Bevölkerung wenig populär ist. Eine Mehrheit hat laut Umfragen eher keine gute Meinung vom bisherigen Gesundheitsminister. Er wird für den schlechten Zustand der Krankenhäuser und Arztversorgung verantwortlich gemacht.

Eine Partei mit Baustellen

Der erbitterte Wahlkampf hat Wunden in der Partei hinterlassen. Ob es Yousaf gelingen wird, die Unabhängigkeitsbewegung Schottlands gegen Londons Widerstand voranzubringen, darf bezweifelt werden. Im ersten Referendum 2014 stimmten 45 Prozent für die Unabhängigkeit. Laut einer aktuellen Umfrage ist die Zustimmung jetzt auf 39 Prozent gefallen. Die SNP erscheint aktuell auf dem absteigenden Ast. Nach dem überraschenden Rücktritt von Nicola Sturgeon ist die langjährige Regierungspartei durch eine chaotischen und schmerzhaften Neuwahlprozess gegangen, der ihre Erfolgschancen zurückwerfen dürfte. Die seit 2014 in Edinburgh regierende Sturgeon galt als charismatische Politikerin, die sich als geschickte Gegenspielerin des britischen Premiers Boris Johnson inszenierte. Noch vor acht Wochen erschien sie als herausragende Parteiführerin in Schottland.

Doch mit dem verunglückten Transgender-Gesetz und ihrem folgenden abrupten Rücktritt als Ministerpräsidentin entglitt ihr die Macht. Die Partei liegt nun in Trümmern. Besonders peinlich war, als die SNP-Führung Mitte März eingestehen musste, dass die Partei im vergangenen Jahr etwa 30.000 Mitglieder, rund ein Drittel, verloren hat und die Presse über diesen Niedergang belogen hatte. Der Kommunikationschef und mehrere Politiker der alten Garde traten zurück. Auch Sturgeons Ehemann Peter Murrell, der langjährige SNP-Geschäftsführer, musste das Handtuch werfen. Zudem laufen Ermittlungen wegen dubiosen Finanzgebarens der Partei. Medien wie das Londoner Magazin „The Spectator“ schrieben von einer „Implosion der SNP“. Davon profitieren dürfte bei der nächsten Wahl die Labour-Partei, die in Schottland wieder mehr Mandate gewinnen könnte.

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Claudia Hansen Boris Johnson Muslime

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