Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Nach der Wahlannullierung

Ein politisches Erdbeben in Rumänien, Teil II

EU-Gegner und Putin-Fans räumen bei Präsidentschaftswahlen ab und erzielen mehr als 50 Prozent der Stimmen. Auch nach dem Ausschluss Georgescus verlieren die regierenden Parteien.
George Simion bei der Abstimmung
Foto: IMAGO/Alex Nicodim (www.imago-images.de) | Dann halt er: Calin Georgescu (links), der mittlerweile ausgeschlossene Präsidentschaftskandidat, unterstützt nun den anderen rechtsextremen Bewerber, George Simion (mittig).

Die politische Landkarte in Rumänien hat sich bei dieser Präsidentschaftswahl am Sonntag völlig neu gefärbt. Aus den mehrheitlich roten und blauen Kreisen der Regierungsparteien – den konservativ-bürgerlichen Nationalliberalen/PNL und den Sozialdemokraten/PSD – ist nun fast flächendeckend Gold geworden, die Farbe der rechtsradikalen „Allianz für die Vereinigung der Rumänen“ (AUR). Deren Kandidat, der 38-jährige George Simion, hat mit über 40 Prozent deutlich mehr Stimmen abgeräumt als vorhergesagt. Das proeuropäische Lager ist gedemütigt, muss sich aber rasch aus der Schockstarre befreien, um bei der Stichwahl am 18. Mai eine Chance gegen den Populisten zu haben.

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Simion verspricht mit markigen Sprüchen, den Ausverkauf Rumäniens zu stoppen und das Land für das rumänische Volk „zurückzuholen“. Er sympathisiert mit US-Präsident Donald Trump und sieht sich als Teil der weltweiten MAGA-Bewegung. Aus den USA kam auch besonders scharfe Kritik an der vom Rumänischen Verfassungsgericht wegen Wahlbeeinflussung bis hin zur Wahlkampffinanzierung rechtsextremer Kandidaten aus Moskau annullierten Präsidentschaftswahl vom November 2024. Dem damaligen überraschenden Wahlsieger Călin Georgescu, ein erklärter Bewunderer Putins und rechtsextremer Bewegungen der Vergangenheit, wurde die erneute Kandidatur verboten. Er war als unabhängiger Kandidat angetreten. Nach dem Verbot seiner neuerlichen Kandidatur gab es rasch den Schulterschluss mit Simion und dessen AUR.

Nun hat Simion dieses Rekordergebnis für die Rechten in Rumänien geholt, obwohl er eigentlich nur die zweite Wahl war. Er lehnt Hilfen und Militärunterstützung für die Ukraine ab und ist in der Ukraine und im zweiten rumänischen Staat, der Republik Moldau, persona non grata. Simion selbst nahm als Kandidat an keiner der TV-Debatten mit den Mitbewerbern teil, gab so gut wie keine Interviews und versteckte sich auch am Wahlabend hinter einer vorher aufgezeichneten Videoansprache, statt live aufzutreten. Das irritierte Anhänger und Medien vor seinem Parteisitz gleichermaßen.

Verheerende Niederlage für Sozialdemokraten und Bürgerlich-Liberale

Für die Sozialdemokraten wie das bürgerlich-liberale und proeuropäische Lager insgesamt ist das Wahlergebnis vom Sonntag eine verheerende Niederlage. Simion erreichte so viele Stimmen wie der gemeinsame Kandidat der Regierungskoalition, Crin Antonescu, und der Kandidat der Reformpartei USR und beliebte Oberbürgermeister von Bukarest, Nicuşor Dan, zusammen, die jeweils auf rund 20 Prozent kamen. Aufgrund eines hauchdünnen Vorsprungs wird nun Dan in die Stichwahl ziehen. Bemerkenswert ist, dass der PSD-Dissident und frühere Ministerpräsident Victor Ponta, der Simions antieuropäischen Kurs zuletzt unterstützte, als Unabhängiger ebenfalls auf 13 Prozent kam. Damit konnte das prorussische und europakritische Lager erstmals in Rumänien deutlich über 50 Prozent der Stimmen erzielen.

Jahrzehntelange Korruption in großem Stil, Politik und Mandate als Geschäftsmodell, maßlose Selbstbereicherung führender Politiker und ihrer Cliquen und Claqueure, gleichzeitig unappetitliche Dauerfehden und gegenseitige persönliche Hasstiraden der Parteien und Akteure der etablierten Parteien seit 1989, dazu nach wie vor teilweise prekäre Lebensbedingungen verbunden mit mancher Nostalgie haben in der Mentalität der Menschen eine tiefe Dauerfrustration erzeugt und diesen Wahlausgang befördert.

Dabei wird kaum wahrgenommen, dass es über Jahrzehnte weitgehend korrekt durchgeführte Wahlen ohne gravierende Unregelmäßigkeiten wie auch funktionierende Regierungswechsel gab und auch kontinuierlicher Aufschwung vor allem seit dem Jahr 2000 dem Land steigenden Wohlstand beschert hat. Die Abneigung gegen die abgehobene Kaste der Politiker, die nur als Abzocker wahrgenommen werden, ist indes tief verwurzelt. Die Wahl Simions ist eine Protestwahl gegen das politische Establishment seit 1989, das sich aus Altkommunisten und Neureichen zusammensetzt, die ihren Luxus teilweise auf degoutante Weise vorführen.

Ein Land der zwei Geschwindigkeiten

Die sehr auf die florierende Hauptstadt Bukarest und die dort dominierenden Revolutionsgewinner und Business-Kreise fixierten Parteien und auch Politanalysten aus dem In- und Ausland vergessen oft, dass Rumänien bis heute ein Land der zwei Geschwindigkeiten ist. Der ländliche Raum wird massiv vernachlässigt und ist politisch kein Thema. Das hat sich einmal mehr gerächt.

Drei Phänomene lassen zudem aufhorchen. So haben die Kreise mit hohem ungarischen Bevölkerungsanteil etwa im Szeklerland und in Nordwestrumänien mehrheitlich den Kandidaten der Regierungskoalition und damit proeuropäisch gewählt, ist doch der Ungarnverband UDMR an der Regierung beteiligt. Unter den Auslandsrumänen, die in vielen Ländern auf der ganzen Welt bestens integriert sind, gut verdienen und auch Milliarden von Euro jährlich an ihre Familien überweisen, hat überraschend der prorussische Simion, der die EU- und NATO-Mitgliedschaft in Frage stellt, teilweise bis zu 74 Prozent erreicht (so in Deutschland). Die im November Zweitplatzierte Elena Lasconi (USR) landete dieses Mal mit rund drei Prozent unter ferner liefen. Ihre eigene Partei sympathisierte mit dem unabhängigen Kandidaten Nicuşor Dan. Auch dies eine der vielen Pirouetten der nie langweiligen Demokratie in Rumänien.

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