Angst ist ein politisches Kapital. Denn sie mobilisiert. Wer ängstlich auf ein denkbares Zukunftsszenario schaut, ist auch bereit, etwas dafür zu tun, dass diese gefährliche Situation erst gar nicht eintrifft. Im politischen Handwerk gibt es daher schon lange ein Propaganda-Rezept: Schaffe eine Stimmung der Angst, benenne einen Schuldigen, von dem die Gefahr droht und die Sache läuft.
Dabei ist zwischen Sorge und Angst zu unterscheiden. Sorge entzündet sich an einem konkreten Problem, ist auf Lösung ausgerichtet. Angst hingegen ist existentieller. Und Angst wirkt total, auch wenn sie sich zunächst nur auf ein bestimmtes politisches Problem beschränkt, bestimmt sie irgendwann den Blick auf die Welt insgesamt. Angst wird zum Grundgefühl.
Aus politischer Sorge wird Angst gemacht
In diesen Tagen erleben wir, wie aus politischer Sorge Angst gemacht wird. Und zwar in allen politischen Lagern. Die berechtigte Sorge vor der Bedrohung unserer Demokratie durch extremistische Kräfte von rechts, sie wurde vor allem bei großen Demonstrationen in dieser Woche offenbar, schlägt allzu oft in eine letztlich irrationale Angst vor einer faschistischen Machtübernahme um. Verbunden mit einer jede Diskussion verweigernden Unbedingtheit. Alles, was jenseits des linksliberalen Mainstreams geäußert wird, wird als faschistische Bedrohung gebrandmarkt.
Umgekehrt ein ähnlicher Effekt: Die Sorge vor den Folgen einer unkontrollierten Migration ist völlig berechtigt. Schlägt sie aber in eine wirre Angst vor einem „Volkstod“ um oder wird zum Anlass genommen, gegen Ausländer und politische Gegner als „Volksfeinde“ zu hetzen, haben wir hier den gleichen Effekt wie auf der linken Seite.
Je größer der Angst-Pegel, umso höher der Mobilisierungsgrad
Die Angst schließt die jeweiligen Lager fest zusammen. Je größer der Angst-Pegel, umso höher der Mobilisierungsgrad. Und genau darum geht es: Mobilisierung der eigenen Blase. Die Bestätigung der eigenen Angst-Vision steht im Vordergrund. Möglich wäre aber auch: der Wille zur Überzeugung. Für den demokratischen Streit ist es entscheidend, dass die Streitparteien in ihrer Auseinandersetzung darauf abzielen, mit ihren Argumenten Vertreter der anderen Seite überzeugen zu wollen.
Es ist die spannende Frage für die kommende Wochen, ob es noch einmal gelingen wird, in diese streitende Grundposition zu kommen. Hier wird sich zeigen, wer tatsächlich über politische Führungskraft verfügt.
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