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Der Mühlstein

Vor einem Jahr hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts den § 217 Strafgesetzbuch für nichtig erklärt und ein neues Grundrecht erfunden. Ein Kommentar.
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
Foto: via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Die Karlsruher Richter waren es, die nach dem Motto "nach mir die Sintflut" jede Höflichkeit vermissen ließen und es dem Gesetzgeber überließen, die von ihnen verfügte "Quadratur des Kreises" rechtlich auszugestalten.

Auf den Tag genau ein Jahr ist es her, da kassierte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts das „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ (§ 217 StGB) und erfand – mir nichts dir nichts – ein neues Grundrecht auf „selbstbestimmtes Sterben“. Zugegeben, das ist ziemlich unfreundlich formuliert. Dasselbe lässt sich auch höflicher bewerkstelligen. Etwa so: „Wie der Zweite Senat in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 selbst anführt, stand das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bei seiner Prufung des § 217 StGB vor der Aufgabe, die Kollision zwischen dem Selbstbestimmungsrecht derjenigen, die sich fur die eigene Lebensbeendigung entscheiden und dafur die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen wollen, mit dem fundamentalen Schutzgut des Lebens aufzulosen. Dieser Aufgabe hat sich das Gericht am Ende auf eine fur viele uberraschende, geradezu handstreichartige Weise entzogen, indem es eine neue Letztbegrundung der Freiheit zum Suizid proklamierte.“ (Eberhard Schockenhoff).


Oder so: Das Urteil beruhe auf einer „gewagten – wenn nicht sogar juristisch unsystematischen – Gesamtinterpretation von Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes“ (Volker Kauder, CDU). Oder noch höflicher: „Dieses Gesetz ist von den Verfassungsrichtern überraschend auf der Grundlage einer Interpretation des Grundgesetzes verworfen worden, die man so vornehmen kann, aber nicht so vornehmen muss.“ (Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, CDU).

Diabolische Zumutung

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Nun ist Höflichkeit keine journalistische Tugend. Die Höflichkeit von Journalisten ist eine Umgekehrt-Proportionale. Je mächtiger die handelnden Personen sind, je gravierender sich die Folgen ihres Wirkens ausnehmen, desto weniger dürfen Journalisten sich um Höflichkeit scheren. Das fällt im Fall der Karlsruher Richter allerdings auch nicht sonderlich schwer. Schließlich waren sie es, die nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ jede Höflichkeit vermissen ließen und es dem Gesetzgeber überließen, die von ihnen verfügte „Quadratur des Kreises“ rechtlich auszugestalten.

Die nähere Beschaffenheit dieser Zumutung lässt sich nur schwer in Worte fassen. „Sadistisch“ wäre vermutlich noch zu höflich, „diabolisch“ wohl treffender. Seitdem ist guter Rat teuer. Will der Gesetzgeber niederländische Verhältnisse vermeiden, ist er gut beraten, die Hände von dem Mühlstein zu lassen, den sich die Richter mit diesem Urteil um den Hals gehängt haben.

Der Staat darf um Zuwendung werben

Stattdessen könnte er – wie Lebensrechtler nun fordern – die Palliativmedizin und Hospizarbeit weiter ausbauen und bundesweite Kampagnen zur Suizidprävention starten. Warum – statt für den Gebrauch von Kondomen – nicht einmal um mehr Zuwendung und Solidarität mit allein gelassenen, lebensmüden und kranken Mitmenschen werben? Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, die Republik nach dem Takt zu gestalten, in dem die kalten Herzen tollkühner Richter schlagen. Karlsruhe hat ihm untersagt, die Beihilfe zu Suizid zu verbieten. Deswegen muss er sie noch lange nicht organisieren.

 

 

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