Erneut kam es im Kosovo zu blutigen Zusammenstößen. Erneut wurden Soldaten der Kosovo-Schutztruppe KFOR schwer verletzt, brannten Autos, randalierten Demonstranten. Dem fernen Beobachter drängen sich Klischees auf, die zur politischen Resignation und zum Desinteresse an Südosteuropa verführen. Doch die immer wiederkehrende Eskalation im Kosovo hat ihre Ursache nicht etwa darin, dass „die da unten auf dem Balkan eben so sind“ – also wild, ungezügelt, gewaltbereit und der Blutrache zugeneigt. Nein, die Menschen auf dem Balkan sehnen sich ebenso nach einem Leben in Frieden und Sicherheit wie die Menschen in Deutschland, Österreich, Ungarn und Italien.
Nationalistische Denkmuster
Die Tragik Südosteuropas liegt darin, dass manche politischen Wortführer tief im 19. Jahrhundert stecken geblieben sind. Sie agieren gemäß jenen nationalistischen Denkmustern, die einst in den Ersten Weltkrieg führten und in Westeuropa durch die Europa-Idee überwunden wurden. Europa hat bereits viel Erfahrung in der Lösung jener Probleme, die bis heute den Kosovo belasten. Auch die Südtirol-Frage und das Nordirland-Dilemma schienen einst unlösbar. Entschärft wurden sie und andere Zeitbomben durch die europäische Integration und durch Volksgruppen- sowie Minderheitenrechte.
Auch das kosovarische Dilemma ist lösbar, wenn die Kosovo-Serben und der Staat Serbien akzeptieren, dass es einen souveränen Staat Kosovo gibt, der demokratisch funktioniert und mehrheitlich albanisch ist. Umgekehrt muss Prishtina den multinationalen Charakter des Landes und seiner Geschichte schätzen lernen und den Serben umfassende Volksgruppenrechte geben. Doch Serbiens Autokrat Aleksandar Vučić heizt lieber Spannungen an, instrumentalisiert die Serben im Kosovo und zelebriert einen Nationalismus, der seiner Heimat schon vor drei Jahrzehnten irreparablen Schaden zugefügt hat.
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