Der Kanzler scheint die Basis nicht gut zu kennen, so scheint es. Vom neuen Hebammenvertrag, der am 1. November vollständig umgesetzt wurde und der die Existenz von freiberuflichen Hebammen bedroht, da ihnen Einkommenseinbußen von bis zu 30 Prozent drohen, wusste Friedrich Merz zumindest nichts.
Die Hebamme, die ihn in der „ARD Arena“ am Montagabend auf das Thema ansprach, wirkte fassungslos. Verständlich, angesichts der intensiven öffentlichen Debatte, der vielen Demonstrationen, Petitionen und Kundgebungen im Vorfeld. Zahlreiche Medien, darunter die „Tagesschau“, hatten Hebammen zu Wort kommen lassen, die ihre Existenzängste offen schilderten. Auch eine Ende Oktober veröffentlichte Hebammenstudie hatte für mediale Aufmerksamkeit gesorgt: Diese kam zu dem alarmierenden Ergebnis, dass ganze 44 Prozent der über 800 befragten Hebammen darüber nachdenken, ihren Beruf aufzugeben.
Damit Merz mitbekommt, was die „kleinen Leute“ umtreibt
Freiberuflich arbeitende Beleghebammen begleiten in Deutschland 20 Prozent aller Geburten, in Bayern sogar 80. Insofern war der Aufschrei der Vorsitzenden des Bayerischen Hebammenlandesverbands (BHLV), Mechthild Hofner, Monate vor dem Inkrafttreten des neuen Vertrags gut nachvollziehbar. Sie warnte davor, dass „die Versorgungssituation der gesamten Geburtshilfe“ in Gefahr sei. Der Deutsche Hebammenverband berichtet inzwischen auf seiner Website, dass „die Engpässe in der Versorgung von Schwangeren durch Beleghebammen“ bereits in den Kliniken angekommen sind.
Des Kanzlers Unkenntnis ist symptomatisch für die Ignoranz der politischen Klasse insgesamt gegenüber der demografischen Krise und der Situation von Eltern in unserem Land. Man fragt sich, ob sie überhaupt verstanden hat – und falls ja, ob sie gewillt ist, das Problem mit all seinen Konsequenzen auch wirklich anzugehen –, dass man dem demografischen Wandel durch Familien- und Kinderfreundlichkeit entgegenwirken könnte…
Obwohl der Gesundheitsausschuss des Bundestags sich bereits im Juni mit der Problematik des neuen Hebammenvertrags befasst hat, scheint sie nicht bis zum Kanzler durchgedrungen zu sein. Das ist bedauerlich. Umso besser, dass Merz nun mit den Sorgen einer systemrelevanten Berufsgruppe – und aller Eltern, die ein Kind erwarten – konfrontiert wurde. Für Nachhilfeunterricht zeigte er sich aufgeschlossen und bat die besagte Hebamme nach der Sendung, ihm die Problemlage per E-Mail zu schildern. Bleibt nur zu hoffen, dass die E-Mail nicht im Spam landet, dass sein Versprechen, sich der Sache anzunehmen, keine leeren Worte waren – und er und seine Kollegen sich ernsthaft Gedanken machen, an welchen Stellschrauben realistisch gedreht werden muss, um Ehepaare tatsächlich zu einer Familienplanung zu ermutigen.
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