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Debatte in England über illegale Spätabtreibung

Nach der Haftstrafe für eine Mutter, die ihr Baby in der 32. bis 34. Woche abgetrieben hat, gibt es Proteste. Die Labour-Partei und viele Publizisten wollen das Abtreibungsrecht weiter liberalisieren.
Abtreibungspille Mifeprex
Foto: imago images | In Großbritannien tobt eine politische Diskussion über eine weitere Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.

Die Verurteilung einer 44-jährigen Frau zu einer Haftstrafe wegen einer illegalen Spätabtreibung schlägt in Großbritannien noch immer hohe Wellen und hat eine politische Diskussion über eine weitere Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ausgelöst. Viele rufen nach einer noch radikaleren Freigabe. Stimmen, die dagegen nach dem Lebensrecht des getöteten Kindes fragen, sind dagegen in der britischen Debatte nur leise zu hören.

Die oppositionelle Labour-Partei versucht die Grenzen für Schwangerschaftsabbrüche noch weiter auszudehnen. Bislang ist Abtreibung bis zur 24. Woche erlaubt – das ist schon länger als in den meisten anderen Ländern. Die Reform des Abtreibungsrechts mit dem „Abortion Act“ von 1967 hat den Abbruch bis zu diesem Zeitpunkt faktisch legalisiert, wenn zuvor zwei Ärzte konsultiert werden. Dazu gibt es noch wenige Ausnahmen. Das Gesetz „Offences Against the Person Act“, nach dem die Frau verurteilt wurde, stammt indes aus dem Jahr 1861. Darauf zielen jene Kräfte ab, die jetzt auf eine weitere Freigabe der Abtreibung dringen.

"Ein obszöner und grausamer Vorschlag"

In einer Unterhausdebatte am Donnerstag forderte die Labour-Abgeordnete Diana Johnson, die Regierung und das Parlament müssten „diese überholte Gesetzgebung anschauen und fit für das 21. Jahrhundert machen“. Die Richtung, in die es gehen soll, deutete Johnsons Labour-Kollegin Stella Creasy in einem Kommentar für den linksliberalen „Guardian“ an: Keine Frau sollte ins Gefängnis müssen, weil sie eine Abtreibung durchführen lasse. Mehrere weibliche Labour-Abgeordnete machten am Donnerstag Druck.

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Der konservative Abgeordnete Edward Leigh warnte, dass nun einige versuchten, den „tragischen Fall“ dazu zu nutzen, Abtreibungen bis zur Geburt möglich zu machen. „Bedenkt man, dass viele Kinder ab der 24. Woche überleben, ist das ein obszöner und grausamer Vorschlag.“ Für Empörung auf der Linken sorgte eine Aussage des Tory-Abgeordneten Nick Fletcher, der sagte: „Ich habe den Eindruck, dass jedes Mal, wenn jemand an diesen Ort (die Commons) kommt oder offen über die Rechte des ungeborenen Kindes spricht, dann wird er niedergeschrien und verhöhnt.“

Edward Argar, Staatsminister im Justizministerium, machte klar, dass die Regierung keine Änderung plane. Das Abtreibungsrecht solle bleiben, wie es ist. Seit Beginn der Corona-Krise im März 2020 hat es ohnehin einen Schub zu einem nochmals gelockerten Abtreibungsrecht gegeben. Damals beschloss die Regierung, dass Frauen sich Abtreibungspillen per Post nach einer Online-Beratung schicken lassen können. Dies war zunächst als temporäre Ausnahme gedacht, doch dann hat das Parlament 2022 abgestimmt, die „Pille per Post“ zum Dauerzustand gemacht. Nicht nur Labour, auch eine große Zahl Tory-Abgeordnete stimmten dafür. 

Eine der höchsten Abtreibungszahlen in Europa

Großbritannien hat eine der höchsten Zahlen von Abtreibungen in Europa: Laut der jüngsten verfügbaren Statistik wurden im Jahr 2021 in England und Wales 214.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt – so viele wie noch nie seit Beginn der Statistik 1967 (Abortion statistics, England and Wales: 2021 - GOV.UK (www.gov.uk)). Etwa jede vierte Schwangerschaft endet mit Abtreibung, was in Westeuropa ein besonders hoher Anteil ist. Die meisten Abtreibungen finden innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate statt. Nach der 10. Woche muss ein Abbruch in einer Klinik erfolgen.

Wie berichtet hatte die nun zu einer Haftstrafe verurteilte Frau über den Stand ihrer Schwangerschaft gelogen, als sie 2020 von der Abtreibungsorganisation „British Pregnancy Advisory Service“ (BPAS) bei einer Fernberatung um eine „Pille per Post“ bat. Sie wusste, dass sie über die 10. Woche weit hinaus weit war. Dies belegen ihre Internetsuchen. Die Frau, die schon drei Kinder hat, schrieb dort „Ich muss abtreiben, aber ich bin schon über 24 Wochen hinaus" und „Könnte ich ins Gefängnis kommen, wenn ich mein Baby in der 30. Woche abtreibe“.

Der Richter in Stoke-on-Trent verurteilte die Frau zu 28 Monaten Strafe, die Hälfte davon soll sie ins Gefängnis. Zuvor hatten Verbände der Gynäkologen und der Hebammen in einem ungewöhnlichen Schritt den Richter per Brief bedrängt, von einer Verurteilung abzusehen. Auch der PNAS, eine „Charity“, die an Abtreibungen verdient, forderte Straffreiheit.

Feministinnen auf Seite der Frau

Zahlreiche Feministinnen schlugen sich in den Medien auf die Seite der Frau. Auch in der bürgerlichen „Times“ forderte eine Leitartiklerin, man dürfe keine „vulnerablen“ Frauen ins Gefängnis schicken. „Abtreibung ist Alltagsleben“, schrieb „Times“-Redakteurin Alice Thomson. „Lehrer, Abgeordnete, Doktoren, Mütter und Sozialarbeiter haben Schwangerschaftsabbrüche aus unzähligen vernünftigen Gründen.“

Eine Minderheitenposition vertrat dagegen die Autorin Alison Pearson im konservativen „Telegraph“: „Wenn Sie entscheiden, ein Kind in der 32. Schwangerschaftswoche abzutreiben, dann ist das Gefängnis genau der richtige Platz für Sie“. Die „reproduktiven Rechte“ einer Frau umfassten nicht das Recht, den Herzschlag eines Kindes zu stoppen, das schon außerhalb des Mutterleibes überleben könne. 

Die Moderatorin Michelle Dewberry vom rechtskonservativen TV-Sender GB News teilte auf Twitter Fotos ihres eigenen Babys, das mit 31. Wochen zur Welt kam. „Er wurde mit drei Pfund geboren. Jetzt ist er ein glückliches, keckes Kleinkind. Wenn wir diesen tragischen Abtreibungsfall diskutieren, dann sollten wir daran denken, dass das getötete Kind älter war als dieser Junge hier.“

Das liberal-konservative Magazin „The Spectator“ war in einem Leitartikel vor allem darum bemüht davor zu warnen, dass der amerikanische Kulturkampf um die Abtreibung ins Vereinigte Königreich importiert werde.

Alles in allen hat die jüngste Debatte wieder einmal gezeigt, dass die Pro-Life-Bewegung in Großbritannien gegenüber der sehr viel größeren Pro-Choice-Bewegung stark in der Defensive ist.

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Claudia Hansen Abtreibungsrecht Lebensrechtsbewegung Lebensschutz

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