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Das Kanzleramt verspielt, die Macht gerettet

Sebastian Kurz musste nach Korruptionsermittlungen als Bundeskanzler abtreten, zieht aber weiter die Fäden in der ÖVP.
Regierungskrise in Österreich
Foto: Georg Hochmuth (APA) | Spätestens als der grüne Koalitionspartner ihm öffentlich das Misstrauen aussprach, dürfte Sebastian Kurz klar gewesen sein, dass ein „Augen zu und durch“ nicht funktionieren würde.

„Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben“, ließ Mark Twain einst inserieren. Mit Sebastian Kurz ist es ähnlich: Er sah sich am Samstag gezwungen, das Amt des Bundeskanzlers aufzugeben, war jedoch geschickt genug, sein politisches Überleben zu organisieren. Nach Hausdurchsuchungen im Wiener Bundeskanzleramt waren die Vorwürfe angeschwollen, und der Druck auf den ÖVP-Kanzler wurde immer stärker. Spätestens als der grüne Koalitionspartner ihm öffentlich das Misstrauen aussprach, dürfte Sebastian Kurz klar gewesen sein, dass ein „Augen zu und durch“ nicht funktionieren würde.

Kurz hat seine Partei fest im Griff

Was jedoch Kurz von Laschet unterscheidet: Der Österreicher hat nach zwei Wahlsiegen seine Partei fest im Griff. Und so gelang ihm am Samstagabend eine gewagte Rochade. Kurz macht den bisherigen Außenminister Alexander Schallenberg, einen loyalen und integeren Berufsdiplomaten, zum Bundeskanzler und behält selbst alle Fäden in Partei und Fraktion fest in der Hand. Als ÖVP-Partei- und Fraktionschef wird Sebastian Kurz weiter der starke Mann der österreichischen Bundesregierung sein, ohne dieser selbst anzugehören.

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Zu kurz gedacht waren die spontanen Reaktionen der Oppositionsparteien, Kurz flüchte sich vor der Strafermittlung in die parlamentarische Immunität. Im Gegenteil muss der nun zum zweiten Mal vorzeitig gestrauchelte Kanzler alles daran setzen, die strafrechtlichen Vorwürfe gegen ihn schnellstmöglich zu entkräften: möglichst vor den nächsten bundesweiten Wahlen, aber jedenfalls bevor irgendwelche Granden innerhalb der ÖVP auf den Gedanken kommen, über eine alternative Parteiführung nachzudenken.

Das Hasardspiel der Grünen hätte ins Chaos geführt

Handlungsbedarf herrscht auch bei den Grünen: Ihren eigenen Funktionären müssen sie erklären, warum sie nach den jüngsten Wogen moralischer Empörung das „System Kurz“ unter einem neuen Kanzler als Juniorpartner in der Regierung weiter tragen. Allen anderen Österreichern müssen sie erklären, warum sie ersthaft mit der Option spielten, diese Regierung in Allianz mit den Liberalen (NEOS), den Sozialdemokraten (SPÖ) und der rechts-nationalen FPÖ zu sprengen. Nicht nur in der Migrations- oder Corona-Politik steht die FPÖ für alles, was Grünen, Roten und Liberalen Alpträume bereitet.

Eine rot-grün-liberale Allianz hätte keine parlamentarische Mehrheit, ein Bündnis dieser Drei mit der FPÖ aber keine Zukunft. Die Grünen wagten also ein gefährliches Hasardspiel, das die Republik mitten in der Corona- und Wirtschaftskrise in staatspolitisches Chaos gestürzt hätte.

Lesen Sie einen ausführlichen Hintergrundbericht über die innenpolitischen Chaostage in Österreich in der kommenden Ausgabe der Tagespost.

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Stephan Baier

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