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Abtreibung verweigert: Polen muss Schmerzensgeld zahlen

Polen muss 15.000 Euro Schmerzensgeld zahlen, urteilt der EGMR. Ärzte hatten eine Abtreibung wegen Down-Syndroms verweigert.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Foto: IMAGO/imageBROKER/Daniel Schoenen (www.imago-images.de) | Nach Ansicht der Mehrheit der Richter verstieß Polen, als es der Frau in dieser speziellen Situation eine Abtreibung verweigerte, gegen Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen ...

Mit fünf gegen zwei Stimmen hat ein Kammergericht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Polen zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 15.000 Euro verurteilt. Der Grund: Ärzte hatten aufgrund einer tags zuvor ergangenen Gesetzesänderung einer schwangeren Frau die bereits geplante Abtreibung ihres Kindes verweigert, bei dem das Down-Syndrom (Trisomie 21) diagnostiziert worden war. Die Klägerin ließ das Kind daraufhin in einer Privatklinik in den Niederlanden abtreiben. Zur Begleichung der dabei entstandenen Kosten verurteilte das Kammergericht Polen zur Zahlung von weiteren 1.004 Euro.

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Der Hintergrund: 1993 trat in Polen ein Gesetz in Kraft, das vorgeburtliche Kindstötungen für legal erklärte, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft das Leben oder die Gesundheit der Mutter gefährdete, das Kind bei einer Vergewaltigung gezeugt wurde oder bei dem Kind eine Anomalie diagnostiziert wurde. Im Oktober 2020 verhandelte der polnische Verfassungsgerichtshof eine von 104 Parlamentariern eingereichte Klage und entschied, dass Abtreibungen aufgrund einer Behinderung des Fötus gegen die Verfassung verstießen. Rechtskraft erlangte das Urteil am 27. Januar 2021. Am 28. Januar hatte die Klägerin einen Termin für die Abtreibung ihres Kindes. Der sie behandelnde Arzt teilte ihr mit, dass sie aufgrund der neuen Gesetzeslage keine Abtreibung in Polen vornehmen lassen könne und sagte den Termin ab.

EGMR: Klägerin nicht hinreichend „vor Willkür“ geschützt

Nach Ansicht der Mehrheit der Richter verstieß Polen, als es der Frau in dieser speziellen Situation eine Abtreibung verweigerte, gegen Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Konvention der Menschenrechte. In ihrer Entscheidung begründen die Richter des EGMR dies unter anderen damit, dass die Frau zu Beginn der medizinischen Behandlung nach der geltenden Rechtslage zur Abtreibung berechtigt gewesen sei. Mit dem Urteil des Verfassungsgerichtshof sei in ein bereits in Gang gesetztes Verfahren eingegriffen worden und habe die Klägerin nicht hinreichend „vor Willkür“ geschützt. Auch sei die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs illegitim gewesen, weil an dem Urteil Richter beteiligt gewesen seien, die in einem Verfahren ernannt worden seien, bei dem es zu erheblichen Regelverstößen gekommen sei. Da der Verfassungsgerichtshof nicht hinreichend demokratisch legitimiert gewesen sei, eine solche Entscheidung zu fällen, habe die alte Rechtslage gegolten, welche die Frau zu einer Abtreibung berechtigt hätte.

In ihrem am Donnerstag der Vorwoche veröffentlichten Urteil hoben die Richter hervor, dass Artikel 8 der Konvention „nicht so ausgelegt werden kann, dass er ein Recht auf Abtreibung gewährt“ und „jede“ gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs einen „Eingriff in das Recht der Mutter auf Achtung ihres Privatlebens“ darstelle. In einem Sondervotum bedauerten zwei der Richter die Verurteilung Polens durch die Mehrheit ihrer Kollegen und äußern die Sorge, dass „das vorliegende Urteil dazu beitragen wird, die Vorurteile gegenüber der äußerst verletzlichen Gruppe von Personen mit Trisomie 21 zu verstärken und sie als Belastung für ihre Familien zu sehen“. Nach Ansicht der Richter sollte „in einer demokratischen Gesellschaft ein inklusiverer Ansatz bevorzugt … und … genetische Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als mögliche Quelle der Bereicherung wahrgenommen werden“. Marina Casini, Präsidentin der Europäischen Föderation „One of us“, lobte das Sondervotum und erklärte: „Jedes Leben mit einer Behinderung verdient es, als lebenswert angesehen zu werden. Es ist notwendig, die Grundrechte aller Menschen zu respektieren und den Wert jeder Person anzuerkennen, unabhängig von ihrem genetischen Zustand.“

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Stefan Rehder Abtreibung Schwangerschaftsabbruch

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