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Wilhelm Röpcke: Der Staat als Schiedsrichter

Christliche Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft: Wilhelm Röpcke. Teil IXX.
Schiedsrichter zeigt rote Karte
Foto: Patrick Seeger (dpa) | In der Not soll der Staat die rote Karte zeigen können. Wilhelm Röpcke wollte der Kartellbildung vorbeugen.

Unter den Vordenkern der Sozialen Marktwirtschaft ist Wilhelm Röpcke nicht nur wegen seiner wissenschaftlichen Grundlagenforschung bedeutsam. Der einstmalige Shooting-Star der deutschen Nationalökonomie befasst sich im Herbst seines Schaffens zusehends mit kritischen Begleiterscheinungen der Marktwirtschaft; er ist zugleich Bewahrer und Mahner. Jahrzehnte vor den Debatten über die ökologische Dimension der Ökonomie und die unabsehbaren Folgen schrankenloser Kapitalströme warnt Wilhelm Röpcke, bleibt aber in der deutschen und europäischen Wirtschaftspolitik ein Rufer in der Wüste, den man nicht hört oder nicht hören möchte.

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Die Lehre von der Wirtschaft

1899 in einer Kleinstadt bei Hannover geboren und kurzzeitig noch Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, studiert Röpcke zunächst Rechts- und Staatswissenschaften, später Nationalökonomie in Marburg und Tübingen. Schon im Alter von 22 Jahren wird er promoviert, zwei Jahre später ist Wilhelm Röpcke durch seine Berufung an die Universität Jena der jüngste Professor Deutschlands.

Es folgen ein USA-Aufenthalt, finanziert durch ein Stipendium der Rockefeller-Stiftung und Lehrtätigkeiten in Graz und Marburg. Bereits früh setzt sich Röpcke sehr kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinander. Die Machtergreifung Hitlers bezeichnet er als „Massenaufstand gegen alles, was wir Kultur nennen“. Die Folge ist postwendend die Beurlaubung von seiner universitären Arbeit; Röpcke geht ins Exil, zunächst nach Istanbul, später nach Genf. In der Türkei verfasst er sein Standardwerk „Die Lehre von der Wirtschaft“.

Einfluss der Konsumenten

Dem Staat kommt in der Lehre Wilhelm Röpckes durch die Schiedsrichterrolle insbesondere die Aufgabe zu, gegen die Bildung von Monopolen zu wirken, Schwächere zu schützen, Interessen auszugleichen und die Menschenrechte zu garantieren. Daher sieht er staatlichen Interventionen ambivalent gegenüber und unterscheidet zwischen marktkonformen und nichtkonformen Elementen. Staatliche Wettbewerbsregeln müssen sichern, dass der Konsument durch seine Entscheidung am Markt auf die Produktion Einfluss nehmen und sie damit steuern kann.

„Die größte innere Bedrohung der Welt liege in der Selbstvergottung des Menschen.“ Wilhelm Röpcke

Röpcke wendet sich in den 1950er Jahren vehement gegen Schutzzölle für die Ölindustrie; gleichzeitig befürwortet er ausdrücklich eine Strukturpolitik, die durch die Elemente Raumplanung, gezielte Eigenkapitalförderung und eine Forschung, die soziale und Umweltaspekte mit berücksichtigt, das Ziel verfolgt, die Marktbedingungen kleiner Betriebe in Gewerbe und Landwirtschaft im Wettbewerb mit Konzernen zu schützen. Röpcke konstatiert eine von ihm genannte „Asymetrie der Marktwirtschaft“; der Markt brauche Regeln im Sinne von Ehrlichkeit, Fairness, Menschenwürde und Gemeinsinn. Diese sittlichen Regeln erzeuge der Markt aber nicht von sich aus – im Gegenteil: er verbrauche sie.

Er sah den Ost-West-Konflikt voraus

Insbesondere der Kontakt zur „Neuen Zürcher Zeitung“ verschafft Wilhelm Röpcke in seiner schweizer Zeit, wo er ab 1937 in Genf am „Institut des Hautes Etudes Internationales“ tätig ist, das Forum für eine ganze Reihe von Publikationen: in drei Werken (Gesellschaftskrisis der Gegenwart, Civitas humana, Internationale Ordnung), erschienen in den 1940er Jahren, legt er seine Vorstellungen für eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Nachkriegszeit dar. Von Bedeutung ist auch seine kurz vor Kriegsende verfasste Studie „Die deutsche Frage“, in der er den Ost-West-Konflikt noch vor seiner Entstehung beschreibt und daraus folgert, der Westen müsse sich zur Sicherung der Freiheit notfalls unter Preisgabe der staatlichen Einheit auf die Gründung eines Teilstaates in Deutschland einlassen.

Der Historiker Hans-Peter Schwarz wird ihn später hierfür einen der geistigen Gründerväter der Bundesrepublik nennen. 1947 gehört Wilhelm Röpcke zu den Gründungsmitgliedern der „Mont Pelerin Society“, in der sich wirtschaftsliberale Gelehrte zu einer Art Denkfabrik zusammenfinden. Nach einem Streit mit Friedrich August von Hayek, der staatliche Eingriffe in die Wirtschaft kategorisch ablehnt, tritt Röpcke aus der Gesellschaft aus.

Auf Distanz zum Wohlfahrtsstaat

Die Publikationen Röpckes in der Nachkriegszeit zeichnen sich durch einen zunehmend kulturkritischen Akzent aus. Er geht auf Distanz zum Wohlfahrtsstaat, weil er das Wachsen maßloser Ansprüche fürchtet, weshalb der Wohlfahrtsstaat dann zu einer nicht-kommunistischen Gesellschaftsform mutieren könne, in der sich der Mensch trotzdem zunehmend dem Staat unterwirft. Vielleicht aus heutiger Sicht zu kritisch geht Wilhelm Röpcke mit Adenauers Europapolitik um. Auch wenn seine Mutmaßung, der gemeinsame Markt verkomme zu einer Art „gemeinsamer Kommandowirtschaft“ nicht eintrifft, liegt er mit seiner Annahme, die Festung Europa schade dem freien Handel mit der Dritten Welt nicht ganz falsch.

Der Kern des Übels liege in der Konzentration; wirtschaftliche Konzentration ziehe politische Konzentration in der Verwaltung nach sich. Dieser Teufelskreis ist für Röpcke, eng am Prinzip der Subsidiarität, nur durch konsequente Dezentralisierung zu durchbrechen. Kritiker werden ihm später Inkonsequenz vorwerfen, weil er einerseits Kritik an europäischer Subventionspolitik formuliere und andererseits selbst agrarpolitische Strukturförderung postuliere. Insofern sei Röpckes Wettbewerbsbegriff nicht klar genug, da man je nach Sichtweise sowohl den freien Markt als auch den Protektionismus daraus ableiten könne. In seinem letzten öffentlichen Vortrag 1965 wird der Ökonom mit Blick auf seine religiösen Wurzeln nochmals grundsätzlich: die größte innere Bedrohung der Welt liege in der Selbstvergottung des Menschen, der sich als Herr der Welt geriere und keine Grenzen seines Tuns mehr kenne.

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