In den nördlichen Wäldern Armeniens verstecken sich Juwelen des mittelalterlichen armenischen Kulturerbes: Das Kloster und die Siedlung Arakelots. „Arakelots“, das ist armenisch und bedeutet so viel wie „Kloster der Apostel“. Das Heilige-Apostel-Kloster – so tatsächlich auch sein Name – stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert. Beeindruckende Wälle und Wachtürme befestigen es. Zwei Kirchen, eine Ölmühle, eine selbsttragende halbkreisförmige Steinbrücke und eine Karawanserei – eine ummauerte Herberge an der Karawanenstraße – machen weitere nennenswerte Überreste der verlassenen Siedlung aus. Obwohl die Denkmäler in der Nähe des Flusses Kirants in der Region Tavusch wertvolle Einblicke in das kulturelle und wirtschaftliche Leben des 13. Jahrhunderts bieten und die kulturelle Vielfalt und friedliche Koexistenz ihrer Zeit widerspiegeln, sind sie weitgehend unerforscht. Der Ort ist seit dem 17. Jahrhundert unbewohnt – und steht nun vor dem Verfall.
Armenien-Expertin Jasmine Dum-Tragut aus Salzburg möchte das verhindern. Arakelots solle auf Vordermann gebracht werden. „Heute sind das Kloster und die Siedlung Arakelots erheblichen Gefahren ausgesetzt. Die sich ausbreitende Vegetation, der Verfall der Bausubstanz und klimabedingte Gefahren wie übermäßige Niederschläge und Erdrutsche gefährden ihren Erhalt“, so die Armenologin gegenüber „Kathpress“. Den Verfall des Klostergebäudes treiben die über 7 000 ansässigen Fledermäuse – zum Teil handelt es sich bei ihnen um „bedrohte Arten"– mit voran. „Es geht zunächst darum, die ganze Stätte überhaupt zu reinigen, in Ordnung zu bringen und die erhaltenen Gebäude zu stabilisieren, Bauelemente wieder zusammenzuführen, Kreuzsteine wieder aufzurichten und Inschriften der Kirchen zu erneuern“, erklärt Dum-Tragut im Gespräch mit der „Tagespost“. Abgesehen von der materiellen Instandhaltung erhoffe man sich, durch die Maßnahme einen Beitrag zur Stabilität in der konfliktbeladenen armenisch-aserbaidschanischen Grenzregion zu leisten.
Direkt an der Grenze zu Aserbaidschan
Im September 2023 hatte Aserbaidschan in einem Blitzkrieg die armenische Region Berg-Karabach (Arzach) überfallen. Nach kurzem Widerstand kapitulierte sie, fast alle Überlebenden flohen nach Armenien. Der armenisch-apostolische Bischof für Mitteleuropa und Skandinavien, Tiran Petrosyan, sprach rückblickend von einem Genozid. Arakelots liegt nur zwei Kilometer von der aserbaidschanischen Grenze entfernt. „Es erschwert natürlich die Lage, dass es genau im vergangenen Jahr hier zu einer Versetzung der Grenzlinie gekommen ist, die in ganz Armenien viel Unruhe verbreitet hat“, bemerkt Dum-Tragut gegenüber dieser Zeitung. Kulturgut im Grenzgebiet bedürfe ganz besonderer Aufmerksamkeit. Arakelots könnte zum Sinnbild von Versöhnung und Wiederaufbau werden. Man könne das mittelalterliche Dorf wieder zum Leben zu erwecken und Europa die armenische mittelalterliche Kultur näherbringen, die in unseren Breiten mehr oder weniger unbekannt sei. Was also gilt es zu tun? Kloster und Siedlung sollen für das internationale Programm der sieben am stärksten gefährdeten europäischen Kulturstätten „7 Most Endangered“ von „Europa Nostra“ nominiert werden.
Dafür setzt Dum-Tragut sich ein. „Das wunderschöne, jedoch beschädigte Fresko in der Klosterkirche zeigt den beliebten armenischen Heiligen Sargis, den Schutzpatron der Jugendlichen und der Liebenden, dessen Heiligentag dieses Jahr der 15. Februar war. Vielleicht hat mir das ja schon Glück gebracht“, äußert sie sich gegenüber dieser Zeitung.
Große Konkurrenz unter den Denkmälern
In der engeren Auswahl befinde Arakelots sich bereits, durch seinen Platz auf der Liste der 14 am stärksten gefährdeten Kulturdenkmäler Europas. „Die Konkurrenz ist groß und schwierig zu vergleichen, es handelt sich um zum Teil relativ unterschiedliche Kulturdenkmäler“, gibt die Armenien-Expertin zu bedenken. So etwa Schloss Ath, eines der authentischsten Zeugnisse des 18. Jahrhunderts in Belgien. Ebenso die Große Synagoge im polnischen Orla oder die Paulistas-Kirche mit Konvent in Lissabon.
Das Programm „7 Most Endangered“ identifiziert die am meisten gefährdeten Stätten und Denkmäler in Europa und sucht anschließend nach tragfähigen Zukunftslösungen für sie. Dazu macht es auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene öffentliche und private Unterstützer ausfindig. Partner ist das Institut der Europäischen Investitionsbank (EIB), Unterstützung kommt auch vom Programm „Kreatives Europa“ der Europäischen Union. Laut dem Beratungsgremium von „7 Most Endangered“ erfordert der prekäre Zustand von Arakelots sofortiges Handeln. Das gab „Europa Nostra“ in der vergangenen Woche in einer Pressemitteilung bekannt.
Die Einheimischen mit einbeziehen
Die Restaurierung und Förderung des Klosters und der Siedlung Arakelots kann als Katalysator für Versöhnung, regionale Stabilität und nachhaltige Entwicklung wirken“ – urteilt „Europa Nostra“, immerhin das führende zivilgesellschaftliche Netzwerk für Kulturerbe in Europa, und teilt damit die Einschätzung Dum-Traguts.
Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen gehören eine ganzheitliche Erforschung, Reinigung und Erhaltung des Klosters und der Siedlung Arakelots sowie die Entwicklung eines nachhaltigen Ökotourismus. „Ich möchte nicht, dass das schöne Waldgebiet durch unnötige Eingriffe zerstört wird. Es ist sehr viel zu tun, aber das Allerwichtigste ist es, in unser Tun immer die lokale Bevölkerung einzubeziehen. Sie soll im Endeffekt von Arakelots profitieren“, so die Österreicherin. Alles sei langfristig, nichts könne innerhalb eines Jahres geschehen: Da gelte es etwa den Forstweg zu sanieren und instand zu halten, auch müsse strenger auf den Umweltschutz und die Sauberkeit geachtet werden. Wege zu den einzelnen Stätten habe man vor anzulegen, darüber hinaus brauche es die museumstypischen Tafeln und Broschüren.
Eigenes Kulturgut und dessen Geschichte erfahren
Im April fällt die Entscheidung, ob Arakelots es unter die „Top 7“ schafft. Die von Dum-Tragut und von der Abteilung für Armenische Studien am Zentrum für Studien des Christlichen Ostens der Universität Salzburg federführend vorangetriebene Nominierung wird vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport der Republik Armenien, der Gemeinde Atscharkut, Blue Shield Armenien und dem Institut für Archäologie und Ethnographie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Republik Armenien unterstützt.
„Besonders wichtig ist uns neben der Erhaltung, dass die Menschen lernen, ihr eigenes Kulturgut und dessen Geschichte zu erfahren, zu schätzen und zu schützen. Ich möchte dort etwas schaffen, was es in Armenien in dieser Form nicht gibt. Quasi wie ein mittelalterliches Freilichtmuseum“, erläutert Dum-Tragut der „Tagespost“ ihre Vision.
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